Historischen Teil - Carl Stumpf Gesellschaft
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Margret Kaiser-el-Safti 48<br />
fassens sowohl bei jeder Verhältniswahrnehmung als auch bei der Gestaltwahrnehmung<br />
vorausgesetzt sind. Man dürfe nicht wie frühere Psychologen in den<br />
Fehler verfallen, Gestalten lediglich als Produkt einer zusammenfassenden<br />
Tätigkeit (Synthese, „Vorstellungsproduktion“ in der Grazer Schule) zu definieren.<br />
Ohne Unterscheidung von <strong>Teil</strong>en innerhalb eines Komplexes kann nicht von<br />
Gestalten gesprochen werden. So kann ein Instrumentenklang ohne jede<br />
Unterscheidung von <strong>Teil</strong>tönen wahrgenommen werden, der physikalisch oder<br />
physiologisch durchaus ein gegliederter Komplex sein mag, psychologisch aber<br />
für das unmittelbare Bewusstsein des Hörenden ungegliedert ist – wie beispielsweise<br />
die Klangfarbe (sie wurde von v. Ehrenfels fälschlicherweise den Gestaltqualitäten<br />
subsumiert).<br />
Ausschließlich jede Gestalt enthält immer eine Mehrheit von Einzelverhältnissen.<br />
Die Folge von nur zwei Tönen enthält die Verhältnisse ihrer<br />
Höhe, ihrer Stärke, ihrer zeitlichen Dauer und Folge; ein gesehener rechter<br />
Winkel enthält außer den Richtungsverhältnissen seiner Schenkel auch ihre<br />
Lageverhältnisse, das Helligkeitsverhältnis zum Hintergrund, die Entfernung<br />
und Lage im Raum.<br />
<strong>Stumpf</strong> betonte entgegen der Auffassung seiner Schüler, die „unbemerkte<br />
Empfindungen“ prinzipiell ablehnten, dass von diesen Verhältnissen in jedem<br />
Augenblick nur wenige auf einmal Gegenstand des Bemerkens seien und auch<br />
diese würden nicht immer gleich deutlich bemerkt. Die Verhältnisse sind uns je<br />
nach Deutlichkeitsgrad, „viele aber ganz unbemerkt gegeben“ (S. 234). Daraus<br />
folgt nach <strong>Stumpf</strong> die Möglichkeit, auch einen Begriff wie das Kontinuum dem<br />
Grundsatz der Deskriptiven Psychologie entsprechend wahrnehmungstheoretisch<br />
zu erfassen (wobei die unendliche <strong>Teil</strong>barkeit des Stetigen, des Kontinuums,<br />
eine besondere Definition in Bezug auf Grenzen anstelle von Punkten<br />
erfährt). Denn ohne das Zugeständnis unbemerkter und wie beim Kontinuum<br />
unmerkbarer <strong>Teil</strong>gestalten gäbe es ebenso wenig eine Wesenstheorie der<br />
Gestalten wie eine Wesenstheorie der Kontinua.<br />
<strong>Stumpf</strong> hebt an dieser Stelle hervor, dass er unter „Bemerken“ oder<br />
„Wahrnehmen“ nicht auch verstehe, dass das Wahrgenommene oder Bemerkte<br />
stets unter Begriffe oder gar Maßbegriffe rubriziert werden müsste. „Es heißt<br />
eben nur: von der Erscheinung oder dem Verhältnis Notiz nehmen, weiter<br />
nichts“ (S. 234). <strong>Stumpf</strong> zieht unter funktionspsychologischen Gesichtspunkten<br />
die Bezeichnung „Bemerken“ dem „Wahrnehmen“ vor, weil mit letzterer<br />
Bezeichnung häufig der Akt (Wahrnehmen) mit dem Inhalt (der Substantivierung,<br />
also Wahrnehmung) vermengt wird und sodann zu erkenntnistheoretischen<br />
Unklarheiten (über die „Wirklichkeit“ des einen oder anderen)<br />
evoziert.<br />
6. Diskursive und intuitive Stadien der Gestaltwahrnehmung