Historischen Teil - Carl Stumpf Gesellschaft
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Margret Kaiser-el-Safti 19<br />
Scholz 2001: 163 ff.). Wenn Scholz auf den besonders in Göttingen, seinerzeit<br />
Mekka der Mathematik, weiterwirkenden Einfluss Herbarts hinweist (ebd, S.<br />
165), ist nachzutragen, dass in Göttingen auch der Physiker Wilhelm Weber,<br />
Freund und Mitarbeiter Gustav Theodor Fechners und Hermann Lotze, der zu<br />
seiner Zeit profilierteste Philosoph und Psychologe Deutschlands, bei dem der<br />
junge <strong>Carl</strong> <strong>Stumpf</strong> promovierte und habilitierte, zu Hause waren. Der historischbiographische<br />
Kontext soll hier aber nicht vertieft werden; stattdessen soll<br />
Herbarts Ausrichtung am Strukturgedanken angesprochen werden, der den<br />
bahnbrechenden Wechsel in der Konzeption bezüglich des Gegensatzes<br />
,Körperlich-Materielles versus Geistig-Immaterielles„ in ein, einer bestimmten<br />
Ordnung unterworfenes System (Struktur) begünstigte. Herbart dürfte<br />
gewissermaßen die Theorie des ,intelligiblen Raumes„ an den Strukturbegriff<br />
weitergeleitet und in diesem Kontext auch für <strong>Stumpf</strong>s Lehre zunehmend an<br />
Bedeutung gewonnen haben.<br />
Scholz macht in seiner Studie darauf aufmerksam, dass Herbart „während<br />
einiger Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts über den geisteswissenschaftlichen<br />
Bereich hinaus bis in die mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächer<br />
als intellektueller Bezugspunkt“ wirkte und noch im ersten Drittel des 20.<br />
Jahrhunderts die Durchsetzung eines „modernen Standpunktes“ initiierte (S.<br />
161). Der Strukturgedanke entfaltete sich im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert<br />
interdisziplinär; innerhalb der Psychologie griffen ihn vornehmlich<br />
Wilhelm Dilthey und <strong>Carl</strong> <strong>Stumpf</strong>, wenngleich mit jeweils anderen Grund- und<br />
Zielvorstellungen, auf (vgl. <strong>Stumpf</strong> 1907 b und Uwe Wolfradts Beitrag in<br />
diesem Band); in der „Erkenntnislehre“ fallen die Begriffe ,Ganzes„ und<br />
,Struktur„ zuletzt zusammen und werden ihrem philosophischen Ursprung nach<br />
auf Aristoteles zurückgeführt (vgl. <strong>Stumpf</strong> 2011, S. 765), während Dilthey wie<br />
viele Zeitgenossen dem Hegelschen Gedanken des „objektiven Geistes“ Folge<br />
leistete.<br />
Zu <strong>Stumpf</strong>s „Tonpsychologie“ führten dann folgende Überlegungen: Herbart<br />
denkt prinzipiell systemisch und erfasst Raum, Zeit, Zahl, Intensitätsgrade,<br />
Begriffsbildung im Modus der Reihenform. Die Form der Reihe wird strukturell,<br />
nicht als bloße zeitliche Aneinanderreihung begriffen; sie produziere und<br />
reproduziere sich bei der Zusammenstellung gleichartiger Empfindungen nach<br />
der je besonderen Möglichkeit des Übergangs aus einer in eine andere<br />
Empfindung (vgl. SW Bd. 4, S. 324 f.). Am deutlichsten sei die Reihenform<br />
ausgebildet beim Raum, etwas wenig deutlich bei den Tönen; am wenigsten<br />
deutlich, aber immer noch erkennbar, auch bei jeder logischen Anordnung der<br />
Begriffe, wo Ausdrücke wie ,Umfang„ oder ,Sphäre„ eines Begriffs an räumliche<br />
Symbole erinnerten. Es versteht sich fast von selbst, dass Herbart auch die<br />
Tonlinie (nicht die Tonleiter, die auf einer ästhetischen Ordnung beruht) der<br />
Reihenform unterordnet. Es gehört zu den weniger sympathischen Seiten von<br />
<strong>Carl</strong> <strong>Stumpf</strong>, dass er Herbarts diesbezügliche Vorleistungen reichlich spät und