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Historischen Teil - Carl Stumpf Gesellschaft

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Margret Kaiser-el-Safti 28<br />

die Zusammenfügung (Assoziation) von Begriffen, sondern allein allgemeine,<br />

vom Erkenntnissubjekt unabhängige ,objektive„ Wahrheiten – „Sätze an sich“<br />

und „objektive Vorstellungen“ als <strong>Teil</strong>e von Sätzen – sollten als Grundlage<br />

logischer Argumentation in Frage kommen; mathematisch erklärte Bolzano den<br />

Summenbegriff zum mathematischen Inbegriff. Als Grundlage des logischen<br />

Urteils ist also nicht eine Synthese von Begriffen, ein „Actus der Spontaneität“<br />

oder eine „Verstandeshandlung“ laut Kantischen Prämissen anzunehmen;<br />

anstelle der Synthese ist der Analyse der Primat einzuräumen. Bolzano<br />

unterschied vor Brentano und anders als Kant ausdrücklich zwischen dem<br />

psychischen Akt des Urteilens und dem Urteilsinhalt respektive Urteilsgegenstand;<br />

letztere Unterscheidung wurde von Brentano aufgegriffen und in<br />

<strong>Stumpf</strong>s Erkenntnislehre weiterentwickelt. Eine Diskussion über die<br />

angedeuteten Verhältnisse wurde 1894 nochmals durch K. Twardowsky und<br />

dessen Arbeit über „Die Lehre vom Inhalt und Gegenstand der Vorstellungen“<br />

auslöst, an der sich namhafte Brentanoschüler (<strong>Carl</strong> <strong>Stumpf</strong> erst in 1907 b)<br />

beteiligte (vgl. zusammenfassend dazu P. F. Linke 1929, S. 79 ff.). In der<br />

zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts taucht sie dann wieder bei Karl Popper auf<br />

(vgl. Popper/Eccles 1981).<br />

Das Schwergewicht von Bolzanos Auseinandersetzung mit Kant lag auf der<br />

Kritik der Kantischen Philosophie der Mathematik, sowohl Kants Votum für<br />

reine Anschauungsformen zur Fundierung der Geometrie als auch das Postulat<br />

„synthetischer Urteile a priori“ die Arithmetik betreffend. Die Geltung geometrischer<br />

Axiome bedarf keiner Anschauung, sondern einer strengen logischanalytischen<br />

Prüfung mathematischer Grundbegriffe und logischer Ableitungsverfahren.<br />

Was die Arithmetik anbelangt, hatte Kant, anscheinend nicht im<br />

Bilde über das Kommutativgesetz der Addition, den mathematisch wichtigen<br />

Begriff der Summe (als Vorläufer des Mengenbegriffs) missverstanden und in<br />

diesem Kontext nicht nur den analytischen Charakter der Mathematik, sondern<br />

den Analysebegriff selbst in seiner Reichweite unterschätzt (vgl. Bolzano<br />

1810/1927). Mit diesem Grunddilemma der Kantischen Philosophie befasste<br />

sich bereits die Habilitation des jungen <strong>Stumpf</strong> „Über die Grundsätze der<br />

Mathematik“, vermutlich durch Bolzano inspiriert, die aber erst 2008<br />

veröffentlicht wurde (vgl. <strong>Stumpf</strong> 2008). Bolzanos Eifer, den durch Kant<br />

initiierten Anschauungscharakter der Mathematik gänzlich auszumerzen, führte<br />

zu einer extrem reduktionistischen Auffassung von ,Anschauung„ und ,Wahrnehmung„,<br />

die nach Bolzano lediglich das Moment der psychischen<br />

Veränderung infolge einer Reizerregung ,bedeuten„, also eigentlich noch nichts<br />

bedeuten sollte. In diesem Kontext wurde der Wahrnehmung jegliche Relevanz<br />

für die Erkenntnis entzogen und wiederum die alte (idealistische) Auffassung<br />

von dem angeblich irrationalen Charakter der Wahrnehmung begünstigt<br />

respektive ,Erkenntnis„ ausschließlich von begrifflich-sprachlicher Vorannahme<br />

abhängig gemacht.

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