Historischen Teil - Carl Stumpf Gesellschaft
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Margret Kaiser-el-Safti 41<br />
eine an Ernst Machs „Ökonomieprinzip“ orientierte Tendenz der „Reduzierung<br />
von Komplexität“, die von der Gestaltwahrnehmung alles abzutrennen und auf<br />
den Komplex als das unmittelbar Gegebene zu reduzieren trachtete; das heißt,<br />
unter den Tisch fallen ließ, was in den schwierigen Bereich der Gestalterfassung<br />
respektive Gestaltung und damit in die Bereiche Logik (Urteilslehre) und<br />
Deskriptive Psychologie fiel. Letztere Tendenz resultierte aus der zu dieser Zeit<br />
vorherrschenden Theorie des Psychophysischen Parallelismus und des ebenfalls<br />
durch Ernst Mach, Richard Avenarius und Hans Cornelius vertretenen wissenschaftstheoretischen<br />
Einfachheits- oder Ökonomie-Prinzips, mit dem die<br />
Gestaltpsychologen sympathisierten. Dem Phänomenalismus und Psychophysischen<br />
Parallelismus, der die von <strong>Stumpf</strong> geforderte Unterscheidung der<br />
psychischen Funktionen von den sinnlichen Erscheinungen negierte, wurden<br />
sowohl die Verhältnislehre als auch die Aktpsychologie Brentanos und <strong>Stumpf</strong>s<br />
geopfert. <strong>Stumpf</strong> hat diese reduktionistischen Motive erst in der „Erkenntnislehre“<br />
kritisch unter die Lupe genommen (vgl. 2011, S. 242 f.), eine scharfe<br />
Kritik der „Haltlosigkeit“ der phänomenalistischen Machschen Erkenntnis- und<br />
Wissenschaftstheorie hatte <strong>Stumpf</strong> aber bereits 1907 verlauten lassen (vgl.<br />
<strong>Stumpf</strong> 1907 b, S. 14 f.).<br />
„Reduktion“ – ein beliebter wissenschaftstheoretischer (oder besser:<br />
wissenschaftskosmetisch und populärwissenschaftlich verwendbarer) Leitgedanke<br />
im ausgehenden 19. Jahrhundert, sowohl von Friedrich Albert Lange und<br />
Ernst Mach als auch von William James befürwortet und befördert – kann ein<br />
durchaus wertvolles Verfahren sein, aber Psychologie ist nun einmal eine – trotz<br />
gegenteiliger Meinung der Vertreter der sogenannten „Alltagspsychologie“ –<br />
,von Haus aus„ eine reichlich komplexe Angelegenheit. In diesem Jahrhundert<br />
sind auch wieder wissenschaftstheoretisch zu begrüßende Tendenzen zu<br />
erkennen, ganz entschieden über die Folgen eines unangemessenen<br />
Reduktionismus nachzudenken und für den Erhalt von „Komplexität“ zu<br />
votieren (vgl. dazu Mitchell 2008). Wie diesbezüglich mit dem Verhältnis von<br />
Gestalt und Komplex zu verfahren und also zwischen dem ehemaligen Lehrer<br />
und den Schülern zu vermitteln wäre, demonstrierte <strong>Stumpf</strong> leider erst in seinem<br />
letzten Werk, das beiden Aspekten, dem Gestalt- und Komplexgedanken,<br />
gerecht zu werden suchte.<br />
Man darf davon ausgehen, dass <strong>Stumpf</strong> sich bereits zu einem sehr frühen<br />
Zeitpunkt seines Forschens, nämlich unmittelbar nach Abschluss seiner<br />
Habilitation 1870, in die Gestalt- und Ganzheitsperspektive einzuarbeiten<br />
begann, zunächst im Kontext einer geplanten historisch-kritischen Rekonstruktion<br />
des Substanzbegriffs und des Assoziationsbegriffs (vgl. <strong>Stumpf</strong> 1924,<br />
S. 212), sodann zunehmend mit den empirischen Grundlagen des Substanzbegriffs<br />
beschäftigt war, den die britischen Erfahrungsphilosophen zu früh als<br />
rein metaphysischen Begriff ohne empirisches Fundament verworfen hatten.<br />
<strong>Stumpf</strong>s letztes Werk, die „Erkenntnislehre“, beginnt nach sechzig Jahren