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Historischen Teil - Carl Stumpf Gesellschaft

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Margret Kaiser-el-Safti 50<br />

<strong>Stumpf</strong> expliziert in diesem Abschnitt zum einen genauer, was in Bezug auf<br />

Ganze unter „Eigenschaft“ zu verstehen ist und hebt zum anderen – entwicklungspsychologisch<br />

und kognitionspsychologisch von Belang – auf die<br />

frühkindliche Bedeutung präverbaler Analysefähigkeit ab. Gegen den seiner<br />

Auffassung nach unpräzisen Ehrenfelsschen Ausdruck „Gestaltqualität“ votiert<br />

<strong>Stumpf</strong> für Gestalteigenschaften, um wiederum Komplexeigenschaften von<br />

Gestalteigenschaften zu unterscheiden. Ganze können Komplexeigenschaften<br />

haben, die nicht mit den Gestalteigenschaften zu verwechseln sind (vgl. 2011, S.<br />

237). Ein Klang, dessen <strong>Teil</strong>töne nicht unterschieden werden, kann die Eigenschaft<br />

„glatt“, „rauh“ oder „leer“ haben; Gestalteigenschaften sind dagegen<br />

funktionspsychologisch nur für die intuitive Auffassungsweise vorhanden,<br />

nämlich geknüpft an den Gesamteindruck aller <strong>Teil</strong>verhältnisse. <strong>Stumpf</strong> räumt<br />

ein (gegen die Auffassung seines Schülers Wolfgang Köhler), dass man die<br />

Wurzel für die Einheitlichkeit des Gestalteindrucks sehr wohl im Gefühl<br />

vermuten könnte. Besonders in der Kunst habe man mit den Gefühlswirkungen<br />

des Gestalterlebens zu rechnen.<br />

Auch für diese Unterscheidung zwischen Komplex- und Gestalteigenschaften<br />

im Sensorischen gibt es eine Analogie logisch-kognitiver Verfahrensweisen.<br />

Bernard Bolzano unterschied im Rahmen seiner Inbegriffslehre zwischen<br />

Merkmalen (Eigenschaften) von Wahrnehmungsdingen (Gegenständen) und<br />

Beschaffenheiten von Begriffen. Wahrnehmungsdinge können Eigenschaften<br />

haben, die Begriffe von ihnen nicht aufweisen und umgekehrt (vgl. dazu<br />

ausführlicher Neemann 1974, S. 84).<br />

Was den vorsprachlichen Stellenwert der Gestalterkennung anbelangt,<br />

verweist <strong>Stumpf</strong> auf die alltägliche Beobachtung, dass bereits Kinder im<br />

vorsprachlichen Alter Lagen- und Größentranspositionen wiedererkennen; auch<br />

Melodien können von musikalisch begabten Kinder schon vor dem Spracherwerb<br />

wiedererkannt und sogar nachgesungen werden; das heißt, dass<br />

gewissermaßen Analyse- und Abstraktionsprozesse geleistet werden, noch bevor<br />

Sprache (Begriffe) verfügbar ist. In diesem Kontext bedeutet „Transponierung“<br />

ja nichts anderes, als dass bei der Wahrnehmung und dem vorsprachlichen<br />

Erkenntnisprozess nicht auf Einzelinhalte, sondern primär auf die – sowohl für<br />

das logische Denken und den Spracherwerb als auch für Musikalität<br />

unabdingbar notwendige – Wahrnehmung und Wiedererkennung von Verhältnissen<br />

geachtet wird. Derartige gestalttheoretisch bedeutsame Leistungen in der<br />

präverbalen Entwicklung des Kindes sind inzwischen weltweit auch<br />

experimentell nachgewiesen worden (vgl. dazu u. a. Dornes 1993 über den<br />

„kompetenten Säugling“), wie <strong>Stumpf</strong> im Übrigen schon vor hundert Jahren auf<br />

einen Tatbestand hingewiesen hat, der erst in den letzten 20 Jahren in der<br />

Forschung Beachtung fand, nämlich dass Säuglinge bereits hörend auf die Welt<br />

kommen (vgl. <strong>Stumpf</strong> 1890, S. 117). Selbst Tieren ist in einem gewissen<br />

Umfang die intuitive Gestaltwahrnehmung, wenngleich nicht die diskursive

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