Historischen Teil - Carl Stumpf Gesellschaft
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Margret Kaiser-el-Safti 27<br />
sich mit Zuspitzung seiner Theorien wieder von ihr (vgl. dazu Carnap 1939).<br />
Erkenntnistheoretisch hielt der „Wiener Kreis“ an der Kantischen Unterscheidung<br />
zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven fest, wenngleich<br />
diese Orientierung nicht von Kant hergenommen wurde, sondern mit den<br />
erkenntnistheoretischen und logischen Theorien Bolzanos und Freges und einer<br />
von dort her übernommenen antipsychologischen Grundeinstellung in<br />
Zusammenhang gebracht werden muss, worauf hier aber nicht mehr<br />
eingegangen werden kann. Erkenntnistheorie hatte nach Ende des Zweiten<br />
Weltkrieges aus noch zu eruierenden Gründen ausgedient (vgl. dazu Rorty<br />
1997); und an ihrer Stelle wurden die Grundlagen der Wissenschaft im Bereich<br />
des Logischen und der Sprachanalyse verankert oder bei der Neurologie Rat<br />
gesucht. Im Folgenden werden stichwortartig einzelne Aspekte ohne Anspruch<br />
auf Vollständigkeit erwähnt, die lediglich dazu dienen sollen, das Feld der<br />
Ganzheits- und Gestaltpsychologie noch etwas abzustecken respektive zu<br />
weitergehender interdisziplinärer Forschung anzuregen.<br />
1. 4. Berhard Bolzanos Einfluß auf Ganzheits-und Gestaltpsychologie<br />
1. 4. 1. Der Logiker, Mathematiker und Theologe Bernard Bolzano (1781-1848)<br />
zählt zu den frühen Kantkritikern und gilt heute als der geistige Großvater der<br />
formalen Logik (Gottlob Frege) und der amerikanischen analytischen Philosophie<br />
(vgl. Dummett 1993. 32 f.). Schon Edmund Husserl hatte 1900 im ersten<br />
Band der „Logischen Untersuchungen“ auf die überragende Bedeutung<br />
Bolzanos als Logiker hingewiesen (vgl. Husserl 1928, S. 225), aber ohne noch<br />
auf breiterer Basis das heute beachtlich angewachsene Interesse an Bolzano zu<br />
erregen. Unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges erinnerte 1946 der<br />
Phänomenologe und Logiker P. F. Linke an die Bedeutung Bolzanos und<br />
erwähnte in dieser Arbeit auch in wichtigen Punkten eine geistige Verwandtschaft<br />
zwischen Gottlob Frege und <strong>Carl</strong> <strong>Stumpf</strong> (vgl. Linke 1946, S. 84, 90, 96).<br />
Die verzögerte Rezeptionsgeschichte Bolzanos steht in Zusammenhang mit<br />
seiner ungewöhnlichen wissenschaftlichen Vita und dem Publikationsverbot<br />
durch die katholische Kirche. Das Interesse Brentanos und seiner Schule an<br />
Bolzano speist sich aus mehreren Quellen.<br />
1. 4. 2. Stärker als Herbart, den Bolzano gut gelesen, geschätzt, allerdings auch<br />
kritisiert hatte, betonte Bolzano den Unterschied logischer und psychologischer<br />
Erkenntnis, ohne die Psychologie jedoch von erkenntnistheoretischen Fragen<br />
abschneiden zu wollen, was sich erst im 20. Jahrhundert durch die sich<br />
zuspitzende Psychologismus-Kontroverse ergab. Von Bolzano dürfte logisch<br />
weitgehend das Konzept des Ganzen und der <strong>Teil</strong>e (das „Kontextprinzip“ im<br />
Wortlaut Gottlob Freges) ausgegangen sein (vgl. dazu Ewen 2008). Es wurzelt<br />
in Bolzanos Wahrheitstheorie, die entschieden zwischen den Akten des Urteilens<br />
und den Inhalten respektive „Sätzen an sich“ trennt. Weder der Urteilsakt noch