11.01.2014 Aufrufe

Historischen Teil - Carl Stumpf Gesellschaft

Historischen Teil - Carl Stumpf Gesellschaft

Historischen Teil - Carl Stumpf Gesellschaft

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Margret Kaiser-el-Safti 45<br />

4. Gestalt als Verhältnisganzes – Übertragbarkeit als ihre Haupteigenschaft<br />

<strong>Stumpf</strong> begreift die Gestalt als Verhältnisganzes. Betrachtet man eine Hand aus<br />

der Nähe oder der Ferne, so ändert sich die Lage der Farbflecke, aber deren<br />

Lage gegeneinander, ihre Anordnung, bleibt die gleiche. Ebenso verhält es sich<br />

mit den Tonhöhen einer Melodie, wenn diese in eine andere Tonart transponiert<br />

wird und wiederum mit einem Rhythmus, wenn er einmal stärker, ein anderes<br />

Mal schwächer, aber mit Beibehaltung der Zeit- und Stärkeverhältnisse getrommelt<br />

wird.<br />

<strong>Stumpf</strong> unterscheidet Ganze bezüglich Komplex und Gestalt; er bezeichnet<br />

ein Ganzes, einen Inbegriff von Sinnesinhalten oder Erscheinungen, als einen<br />

Komplex, dagegen ein Ganzes, einen Inbegriff von Verhältnissen zwischen<br />

Sinnesinhalten als eine Gestalt. Ein Komplex ändert sich mit jeder Veränderung<br />

der <strong>Teil</strong>inhalte, wie jeder zusammengesetzte Klang als Ganzes sich verändert,<br />

wenn auch nur ein darin enthaltener Ton höher oder schwächer wird. Dagegen<br />

kann eine Gestalt erhalten bleiben, wenn bei Veränderung aller absoluter <strong>Teil</strong>inhalte<br />

die Verhältnisse einer bestimmten Art (Raumverhältnisse, Tonverhältnisse,<br />

d.h. Intervalle) zwischen ihnen erhalten bleiben. Wenn eine Gestalt in<br />

dem veränderten Material (der Transponierung) dargeboten wird, kann sie auch<br />

als die nämliche Gestalt wiedererkannt werden.<br />

Was wiederum ein Ganzes gegenüber einem bloßen Aggregat oder Kollektiv<br />

ausmacht, wurde bereits im Eingangskapitel der „Erkenntnislehre“ erläutert (vgl.<br />

dort S. 20 ff.); gemeint ist eine Substanz in dem Sinne, an der <strong>Teil</strong>e respektive<br />

Attribute zwar abstrahiert, aber nicht abgetrennt werden können – im Unterschied<br />

zu Aggregaten, deren <strong>Teil</strong>e respektive Stücke real abzutrennen sind. Aber<br />

was ist ein Verhältnisganzes? Wenn Verhältnisse stets nur zwischen je zwei<br />

Gliedern bestehen, könnten die Verhältnisse zwischen den Gliedern eines<br />

Komplexes immer nur summiert werden und niemals ein Ganzes bilden. <strong>Stumpf</strong><br />

macht, in diesem Kontext das Problem der Kontinuität berührend, die allein<br />

durch Verhältnismäßigkeit ja noch nicht gewährleistet ist, geltend: „In einem<br />

Dur-Akkord kann einer, der die drei Töne auseinanderhält, die Verhältnisse der<br />

großen Terz, der kleinen Terz, der Quinte in ihren eigentümlichen Charakteren<br />

wahrnehmen. Inwiefern werden aber diese drei Verhältnisse als ein Ganzes<br />

wahrgenommen?“ Das Beispiel ist insofern äußerst aufschlussreich, weil hier zu<br />

exemplifizieren (zu hören) ist,<br />

daß das dritte Verhältnis durch die beiden ersten schon mitgegeben ist. Derselbe<br />

Ton, der als kleine Terz nach oben von e wahrgenommen wird, wird als Quinte<br />

nach oben von c wahrgenommen. Die drei Verhältnisse sind in diesem Komplex<br />

zu einer Wesenseinheit verflochten. Es sind nicht drei Klänge, die wir<br />

wahrnehmen, sondern es ist ein Dreiklang, und wie man, um diesen Dur-<br />

Dreiklang nach oben von c zu erhalten, keinen der Töne auch nur im geringsten

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!