Spur - Hochschule für bildende Künste Hamburg
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Der Gast und die Masse<br />
Rom nach Moskau. In der westlichen wird<br />
es unter dem Namen "Heiliges Römisches<br />
Reich deutscher Nation" schon im frühen<br />
Mittelalter dem Mittelmeer entrissen. Das<br />
erklärt vielleicht die Sonderstellung des<br />
Gesprächs zwischen dem Mittelmeer und<br />
den Deutschen.<br />
Die Spaltung, von der hier die Rede ist,<br />
kann durch keine ökumenischen Bemühungen,<br />
seien sie beschränkt wie die verschiedenen<br />
Mittelmeertreffen, die eben in<br />
Mode sind, seien sie allgemein wie die Gipfeltreffen<br />
zwischen Reagan und Gorbatschov,<br />
behoben werden, wenn dabei die<br />
Verschiedenheit der beiden Hälften nicht<br />
zu Wort kommt. Es hat zum Beispiel keinen<br />
Sinn, Algier und Syrien als zwei islamische<br />
Mittelmeerländer ansehen zu wollen,<br />
wenn dabei nicht zu Worte kommt, daß Algier<br />
zur westlichen Hälfte gehört (auf arabisch<br />
.Maghreb"), während Syrien zur byzantinischen<br />
Hälfte gehört. Nicht .,Nord<br />
Süd", sondern das viel frühere .,West-Ost"<br />
ist die kulturelle Mittelmeerspaltung. Und<br />
das Zentrum der Westhälfte war zu einer<br />
Zeit, als das Christentum noch plastisch<br />
war, bereits mindestens theoretisch in Aachen.<br />
Also nicht gegen Mazedonier, sondern<br />
gegen Franken hatten die algerischen<br />
Freiheitskämpfer zu siergen, und die syrischen<br />
gegen Türken. Die westliche Hälfte<br />
des Mittelmeers, der Schauplatz nicht nur<br />
des Kampfs zwischen den Franken und<br />
Mauren, aber auch zwischen Kaiser und<br />
Papst, ist ein Gespräch des Mittelmeers mit<br />
den Deutschen.<br />
Die Idee des Reichs als einer Synthese<br />
von Christentum und deutschen Elementen<br />
ist selbstredend irrefiihrend. Angesichts<br />
des Reichtums der jüdischen, griechischen<br />
und lateinischen Kultureme, und der Armut<br />
der deutschen, ist nicht von Synthese,<br />
sondern von Absorption der deutschen<br />
durch die christlichen zu sprechen. Eigentlich<br />
also hätte Deutschland mindestens so<br />
zu einem Mittelmeerland werden sollen<br />
wie Spanien oder Frankreich. Mindestens,<br />
denn es war der Sitz des Kaisers. Dazu ist es<br />
nicht gekommen. Warum dies nicht gelang,<br />
ist der Reformation anzusehen. Nicht<br />
Kar! der Große, sondern Kar! der Fünfte<br />
zeigt, was hier im Spiel ist. Nämlich die radikale<br />
Inadäquabilität der deutschen Kultureme<br />
ans christliche Kulturgut. Es zeigt<br />
sich, daß es unmöglich ist, zugleich Christ<br />
und Deutscher sein zu wollen, ohne daß<br />
sich dabei das Bewußtsein in die berüchtigten<br />
zwei Seelen spalte, die in einer Brust leben.<br />
Die Reformation hat versucht, das<br />
Christentum der deutschen Mentalität anzupassen,<br />
und hat dabei seltsamerweise an<br />
die jüdischen Elemente im Christentum<br />
appelliert, womit sie die verzwickte und<br />
mörderische Dialektik ,Judentum/<br />
Deutschtum" in die Wege geleitet hat, ohne<br />
dadurch das Problem "Mittelmeer/<br />
Deutschtum" gelöst zu haben. Kar! der<br />
Fünfte zog es vor, das Zentrum des neu entstandenen<br />
Imperiums (in dem die Sonne<br />
nicht unterging) aus Deutschland nach<br />
Spanien zu verlegen.<br />
Die deutsche Mentalität ist selbstredend<br />
eine Abstraktion: niemand ist Deutscher<br />
im Sinn von "vom Mittelmeer unangegriffen".<br />
Aber man kann diese Abstraktion<br />
doch im Konkreten wiedererkennen.<br />
Und zwar nicht nur im konkreten Alltag,<br />
sondern vor allem in den Beiträgen, die<br />
Deutschland zur Mittelmeerkultur, der sogenannten<br />
.,westlichen", geleistet hat, nämlich<br />
in der Musik, der Dichtung, der <strong>bildende</strong>n<br />
Kunst und am klarsten in den philosophischen<br />
Schriften. Dort ist sie unter dem<br />
Namen "deutscher Idealismus" am leichtesten<br />
zu fassen. Hier ist leider nicht genügend<br />
Raum, um dies auszufiihren. Es muß<br />
genügen, auf das radikal Unchristliche,<br />
nämlich zugleich Unjüdische, Ungriechische<br />
und Unrömische darin hinzuweisen.<br />
Das Objekt des Geistes wird nämlich darin<br />
als das Sekundäre, der Geist als das Primäre<br />
angesehen. Das ist unjüdisch, denn wenn<br />
das Christentum jüdischerweise von der<br />
Seele spricht, so sieht es sie immer als .,in<br />
der Welt" an. Es ist ungriechisch, denn der<br />
deutsche Idealismus ist gerade nicht der<br />
platonische Realismus de- Ideen, sondern<br />
ist, mittelalterlich gesprochen, eher ein N :>minalismus.<br />
Und daß es unrömisch ist, muß<br />
nicht bewiesen werden. So unmittelmeerartig<br />
ist der deutsche Idealismus, daß viele<br />
Denker des i9. Jah,hunderts in ihm Paralle-<br />
len zum indischen Denken zu e skennen<br />
vermeinten.<br />
Das .,heilige Römische Reich deutscher<br />
Nation", immer eher der Name einer Ideologie<br />
als einer politischen Wirklicnkeit, nat<br />
im Bewußtsein eines jeden Deutschen den<br />
zu überwindenden Zwiespalt zwischen<br />
"römisch" und .,deutsch" tief eingegraben.<br />
Die deutsche Kultur ist aus diesem zum<br />
Scheitern veru rteilten Versuch einer Überwindung<br />
entstanden, hat sich immer wieder<br />
daraus ernährt, und sie ist nur von daher<br />
verständlich. Jeder Deutsche fiihlt sich, im<br />
Verlauf seines Lebens, immer wieder aufgerufen,<br />
sein Deutschsein den Mittelmeeridealen<br />
oder diese Ideale seinem Deutschsein<br />
zu opfern. Und da ihm dieser Aufruf<br />
meist nicht bewußt wird, schwankt er in seinem<br />
konkreten Engagement zwischen den<br />
Extremen. Aber im Gespräch mit dem Mittelmeer<br />
werden auch die Gesprächspartner<br />
von dieser Spaltung mitgerissen, in Italien<br />
zum Beispiel in Form des Zwiespalts<br />
zwischen Ghibellinen und Gülfen. Daher<br />
ist das deutsche Element aus dem westlichen<br />
Mittelmeer nicht we~zudenken.<br />
Wann immer wir zusammenkommen, um<br />
es zu bedenken (zum Beispiel seine Achse<br />
.,Frankreich/Süditalien") müssen wir es in<br />
Rechnung ziehen. Und zwar nicht nur aus<br />
äußeren, wirtschaftlichen, politischen und<br />
kulturellen Gründen, sondern vor allem,<br />
weil dieses Element in allen beteiligten Gesprächspartnern<br />
ankert.<br />
Ich bitte Sie jetzt, aus dem vernebelten<br />
Norden des Mittelmeers in seinen wilden<br />
Westen zu reisen. Wie Sie wissen, fiihrt diese<br />
Reise nicht mehr über den Atlantik, sondern<br />
über Südgränland und Labrador, und<br />
folgt also ungefähr den fragwürdigen Vikingerspuren.<br />
Wir haben, wie Sie ebenfalls<br />
wissen, beim Aussteigen aus dem F1ugzeug<br />
Gottes eigenes Land betreten, worin sich<br />
die Menschen der Verfolgung des Glücks<br />
(pursuit of happyness) widmen. Etwas<br />
Vergleichbares mußte Platon erlebt haben,<br />
als er in Syrakus ausstieg. Und tatsächlich<br />
haben die Vereinigten Staaten etwas mit<br />
Megale Hellas, aber auch mit dem Neuen<br />
Jerusalem und mit einem neu gegründeten<br />
Rom gemeinsam. Sie können als der Ver-<br />
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