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Spur - Hochschule für bildende Künste Hamburg

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zwang Offenheit. Gründlicher konnten die<br />

wegweisend gedachten und sicherlich<br />

auch bequemen Eindeutigkeiten aus der<br />

Geschichte der Medienzentren und der Videoarbeit<br />

nicht abgeschaffi: werden. Vorbei<br />

ist es mit der guten alten Zeit, wo die Videomacher<br />

sich berufen fuhlten, den anderen<br />

zu sagen, wo's längs ging. Video ex stellt<br />

sich in den freien Raum oder aufs freie Feld,<br />

um zuzuhören und zuzusehen und um auszuprobieren<br />

und sich einzulassen auf das,<br />

was sich dem Begreifen noch entzieht. Die<br />

Installationen waren schiere Gegenwart,<br />

und das Konzept (Münzenberg-)Negt-Kluge<br />

der siebziger Jahre, Video als mediales<br />

Hilfsmittel zur Durchsetzung gesellschaftlicher<br />

Gegenmacht zu gebrauchen, erledigte<br />

Geschichte: "Frontberichterstattung"<br />

(Video-ex).<br />

Auch die Funktion der Medienzentren<br />

der frühen achtziger Jahre, sich Betroffenen<br />

als Service zur Vernetzung eigener Erfahrungen<br />

anzubieten, erschien auf dieser<br />

Werkschau nur noch als historischer (und<br />

erfolgloser) Versuch, dem Video eine nützliche<br />

Aufgabe zuzuweisen. Das Medienzentrum<br />

Die Thede, bekannt durch eine<br />

Anzahl Hausbesetzervideos, stellte Anfang<br />

der achtziger Jahre schnelle Gegenöffentlichkeit<br />

her, was "zu diesem Zeitpunkt richtig<br />

war" (Christian Bau). "Die hektische<br />

Vorgehensweise war aber nicht durchzuhalten."<br />

Die Thede hat jetzt den Anspruch,<br />

Zusammenhänge sinnlich darzustellen<br />

("Aus Lust am Schauen") und statt "Oberflächenphänomene"<br />

eigene und fremde Erfahrungen<br />

zu registrieren, nämlich hinzuhören<br />

und hinzusehen. Auch hier hat das<br />

Video die zentrale Rolle verloren, Inhalte<br />

zu transportieren. Stattdessen verhilft der<br />

sichtliche Spaß und der Stolz, ein Werk herzustellen<br />

(nämlich innerhalb eines Mediums<br />

zu arbeiten), den Filmen und Videos<br />

zu neuer Überzeugungskraft. "Wir haben<br />

Lust, Bilder zu machen, Töne aufZunehmen,<br />

Filme zu gestalten." (Die Motte) Die<br />

Video-Collage der Motte, "Sperrmüll", ist<br />

daher mehr als Zielgruppenfilm und Stadtteilkulturmanifest,<br />

nämlich: Fest und Ereignis.<br />

FastzwanzigJahre vorher war es der<br />

Kurzfilm "Anfangszeiten", der eine Radfah-<br />

56<br />

rer-Werbe-Fahrt fur den Super-Scope­<br />

Spielfilm "Der heimliche Kuß" zum Ereignis<br />

machte. Zu den funf radfahrenden<br />

Kunststudenten der Filmklasse Wolfgang<br />

Rambsbott (<strong>Hamburg</strong>) gehörte Holger<br />

Meins, der fur den politischen Kampf später<br />

auf das Medium Film nicht angewiesen<br />

war. Die "Anfangszeiten" von 1966 waren<br />

es, denen die Medienzentrenleute von<br />

1985 ihre Sympathie bezeugten.<br />

Was der Kulturherrschaft unheimlich<br />

wird, ist der Umstand, daß sich immer mehr<br />

Leute Mut machen und sich nicht sagen<br />

lassen, Mut wozu. Programmatisch ist der<br />

Titel des neuen (dritten) Film der Wendländischen<br />

Filmcooperative: "Zwischenzeit".<br />

Die Musik ist von den Einstürzenden<br />

Neubauten, und es werden auch sonst ein<br />

paar Sensorien mehr angesprochen als wir<br />

es vom klassischen Dokumentarftlm gewöhnt<br />

sind. Gorleben und die Anti-AKW­<br />

Bewegung sind wie in den beiden ersten<br />

Filmen - "Die Herren machen das selber,<br />

dass ihnen der arme Mann Feind wird"<br />

(1976-79) und "Traum von einer Sache"<br />

(1980/81) Thema,- aber jetzt entschieden<br />

mittelbar. Direkt geht es um mehr als um<br />

die Sache: um die Menschen, die in Gorleben<br />

1981-1985 zueinanderftnden, aufeinanderstoßen<br />

und sich wieder trennen.<br />

Vom Polizeisprecher, Wachmann und<br />

Standortrepräsentanten zum Untergrundarbeiter,<br />

Freizeitdemonstranten und<br />

Waldbauern. Die Filmmacher (Roswitha<br />

Ziegler, Niels Chr. Bollbrinker,Jochen Fölster,<br />

Gerhard Zigler) zögern nicht, jederzeit<br />

in das Geschehen einzugreifen und mit<br />

ästhetischen Mitteln der Filmdramaturgie<br />

Wirklichkeit zu verschaffen (oder doch<br />

mindestens punktuell zu verändern). Die<br />

Strategie des Films ist gleichzeitig eine<br />

Strategie des Widerstands (und nicht eine<br />

darüber). Und da der Film kreativ, phantasievoll,<br />

provokativ und auf nicht recht zu<br />

fassende Art ironisch-subversiv ist, lädt er<br />

zu entsprechendem, vor allem nicht recht<br />

zu fassendem Widerstand ein. Die Einladung<br />

der "Zwischenzeit" macht neuen<br />

Mut. Dies zunächst. "Zwischenzeit" ist<br />

selbst produziertes Ereignis. Und man sollte<br />

dieses sensationelle Ergebnis dadurch<br />

würdigen, daß man den Ereignis-Film aus<br />

der Sparte des Dokumentarftlms herausnimmt,<br />

der heute überwiegend mit den Negativerlebnissen<br />

Resignation, Frustration<br />

und Melancholie assoziiert wird.<br />

Der "Zwischenzeit"-Polizist, der eine<br />

Wendland-Straße sperrt, zieht plötzlich eine<br />

Pistole. Man spürt seinen Haß und seine<br />

Aggression gegenüber den Demonstranten.<br />

Diese freuen sich sichtlich über die gelungene<br />

Provokation. Über den kleinen<br />

Sieg. Polizistenkollegen reden dem Pistolenträger<br />

gut zu. Es scheint, daß die Demonstranten<br />

Herr dieser Lage sind. Doch<br />

freilich: die Atommülltransporte haben<br />

freie Fahrt. Von der Polizei gut gesichert<br />

und von Blockadeaktionen ungehindert erreichen<br />

sie ihr Ziel- vorbei am Akzeptanzforscher,<br />

der den "Zwischenzeit"-Film hindurch<br />

die Widerstandsaktionen begleitet.­<br />

Mit dieser-fiktiven- Gestalt greift der Film<br />

in die Bewegung ein. Eine Erfindung, die -<br />

jetzt aber im Großen-genauso gut funktioniert,<br />

wie clie reale Szene mit dem Pistole<br />

ziehenden Polizisten. Der Akzeptanzforscher<br />

kommt vor Ort dem vorgeblichen<br />

Auftrag und der Aufgabe nach, die sogenannte<br />

Bewegung zu analysieren und Befriedungsstrategien<br />

zu entwickeln. Die<br />

Filmmacher lassen ihn zur handelnden Person<br />

in einer realen Anhörungsposse werden,<br />

zum absurden Interviewpartner des<br />

Bewachungs- und Sicherungs- Unternehmens,<br />

zu einer Art Empfangschef der Blokkadeorganisation.<br />

Mit falscher Routine begrüßt<br />

er Neuankömmlinge; mit falschem<br />

Verständnis läßt er vermummte Terroristen<br />

Pläne entwickeln; mit falschem Händedruck<br />

gliedert er sich der Menschenkette<br />

ein. Der Film zeigt gesprengte Hochspannungsmastenund<br />

die saubere Niederlegung<br />

eines Fabrikschornsteins.<br />

Das Forscher-Falsifikat operiert in diesem<br />

Film mit schlauen, eleganten Soziologentexten.<br />

Nicht weil der Text falsch oder<br />

mindestens der realen Situation unangemessen<br />

ist (beides triffi zu), sondern weil<br />

der Gebrauch des Textes und darüberhinaus<br />

der Gebrauch, den der Film von der<br />

inszenierten Figur macht, eine überaus befreiende<br />

(und sich im Gelächter ausdrük-

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