23.01.2014 Aufrufe

Spur - Hochschule für bildende Künste Hamburg

Spur - Hochschule für bildende Künste Hamburg

Spur - Hochschule für bildende Künste Hamburg

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Rezensionen<br />

vor in der Tradition des subjektzentrierten<br />

Denkens, und sei<br />

dies nur, um es zu überwinden<br />

(denn auch der Wunsch zu überwinden<br />

ist noch subjektiver<br />

Wunsch). Sie setzen den Hebel<br />

bei diesem Unternehmen - ganz<br />

mechanisch gedacht - am Gegenstand<br />

der Kritik, dem Denken<br />

des Subjekts, an und nicht schon<br />

bei dem Verhältnis von Abstraktem<br />

und Konkretem. Doch es ist<br />

genau die Verkennung dieses<br />

Verhältnisses, was zu der Vorstellung<br />

des Subjekts als 'denkendem<br />

Ding' allererst führte.<br />

Denken wird spätestens seit<br />

Descartes als- um es mit Holl zu<br />

sagen - substantielle Qualität<br />

von Individuen und nicht mehr<br />

als relationaler Aspekt eines<br />

Kontextes verstanden. Die Definition<br />

des Subjekts, das sich<br />

durchs Denken und durch Vernunft<br />

konstituiert wähnte, geriet<br />

dadurch hoffnungslos selbstbezügl<br />

ich . Die Konsequenzen dieses<br />

Zirkelschlusses bestehen in<br />

der bis heute gültigen Teilung<br />

der W irklichkeit in eine Weit materieller<br />

Körper und eine Sphäre<br />

geistiger 'Ereignisse' - eine Teilung,<br />

die nur im Kopf produziert<br />

wird, die aber dennoch oder ge-<br />

rade deshalb äußerst rea l ist.<br />

Diese Teilung ging schon auf<br />

Platon zurück, doch der cartesische<br />

Dualismus unterschied<br />

sich von platonischen dadurch,<br />

daß er an die Stelle einer holistischen<br />

Teilhabe der Materie an<br />

den Ideen die mechanische Verbindung<br />

von Körper und Geist<br />

setzte. Es war diese Setzung, die<br />

das so überaus erfolgreiche<br />

Konzept der empirischen Wissenschaften<br />

endgültig etablierte.<br />

Diesenwar nichtlängermeditative<br />

Wesensschau das Wichtigste<br />

an menschlicher Erkenntnis,<br />

sondern die Herstellung ei ­<br />

nes technischen Instrumentariums<br />

zur Beherrschbarmachung<br />

der Natur. Heute erleben<br />

wir immer augenfälliger - und<br />

nicht erst seit Tschernobyl -wie<br />

dieses Instrumentarium mit der<br />

ganzen Energie, mit der es in die<br />

Natur ' hineingepreßt' wurde,<br />

'zurückschlägt' : in Gestalt von<br />

ökologischer Zerstörung und<br />

technischen Katastrophen.<br />

Doch die auf Descartes folgende<br />

Ausgrenzung des Geistes<br />

aus der Materie (oder war sie<br />

umgekehrt?), beschränkte sich<br />

nicht nur auf die Naturwissenschaften.<br />

Auch die Geisteswissensehaften<br />

wurden von ihr betroffen,<br />

vielleicht in noch stärkerem<br />

Maße. Wenn keine Teilhabe,<br />

wie noch bei Platon, die Weit<br />

des Geistes und die WeltderMaterie<br />

verbindet, wie hat man sich<br />

deren Verhältnis zu denken?<br />

Kant beantwortet die Frage auf<br />

eine äußerst einfache, aber wie<br />

Holl meint, für seine Nachfolger<br />

' unerträgliche' Weise : er schlug<br />

vor, daß der an seinen Körpergebundene<br />

Mensch so tun solle,<br />

'als ob' ihm der metaphysische<br />

Bereich des Geistes zugänglich<br />

sei, obwohl er ganz genau wisse,<br />

daß er nie zu dessen genauer Erkenntis<br />

gelangen könne. ln dieser<br />

Antwort ist die gleiche Verkennung<br />

zu entdecken wie<br />

schon bei Descartes. Denn Kant<br />

bezeifelt an keinerStelle die<br />

Dualität von Geist und Materie.<br />

Doch er läßt es schulterzuckend<br />

dabei bewenden und beweist<br />

damit, laut Holl, eine spielerischere<br />

Haltung als seine Nachfolger.<br />

Diesen war Kants ' als ob'­<br />

Lösung ein philosphischer<br />

Skandal. Sie versuchten - allen<br />

voran Hegel - von nun an jene<br />

Zerteilung der Wirklichkeit, die<br />

der Preis fürdie Installierung des<br />

Subjekts als 'denkendem Ding'<br />

war, zu überwinden. Es ist der<br />

Diskurs der Moderne, den Kants<br />

philosphischer Skandal nach<br />

sich zog . Nicht nurfür Habermas<br />

dreht sich dieser Diskurs um eine<br />

Vernunftkritik, die die realen Rat<br />

ionalisierungsschübe der gesellschaftlichen<br />

Entwicklung<br />

zum Gegenstand nimmt. Das<br />

Kritikwürdige daran ist, daß die<br />

selbstläufig gewordenen Entwicklung<br />

der Gesellschaft genausowenig<br />

wie der verlassene<br />

Traditionsfundus und der Ideenhimmel<br />

das intensive Bedürfnis<br />

des Subjekts nach Selbstvergew<br />

isserung in Freiheit befriedigen.<br />

Vernunftkrit ik wurde daher<br />

zu einer Gesellschaftskritik, die<br />

auf einem Standort beharrte,<br />

von dem aus die schlechte<br />

gesellschaftliche Wirklichkeit<br />

moralisch integer werden konnte.<br />

Genauso wie die Naturwissenschaften<br />

gingen die Geistesund<br />

Sozialwissenschaften dabei<br />

von der Trennung zwischen<br />

Theorie und Praxis aus. Es war<br />

die theoretische Vernunft, die<br />

sich moralisch integer wähnte<br />

und immer wieder den Irrtum<br />

wiederholte, der sie selbst erst<br />

bilden half: daß Theorie grundsätzlich<br />

in Praxis überführbar<br />

oder Abstraktes 'in Konkretes<br />

implantierbar' ist, wurde zu ihrer<br />

axiomatischen Staatsraison. Es<br />

war Nietzsche, derdieses Axiom<br />

als erster bezweifelte. Doch<br />

nicht nur das, er macht es auch<br />

lächerlich : jede Theorie war ihm<br />

mindestens so kritikwürdig wie<br />

die übelste Praxis. Hier nahm ei ­<br />

ne ldeolgiekritik ihren Anfang,<br />

die ihren Höhepunkt in der kritischen<br />

Theorie finden sollte. Sie<br />

sah die theoretischen und kritischen<br />

Potentiale der Philosophie<br />

selber als Teil der schlechten<br />

Wirklichkeit an und brachte<br />

sich auf paradoxe Weise scheinbar<br />

um den eigenen Standort.<br />

Von dieser sich selbst dementierenden<br />

und strangulierenden<br />

Vernunftkritik ist Batesons<br />

Verbindung von ' lockerem<br />

und strengem Denken' zu unterscheiden,<br />

in der ein kontextuelles<br />

Denken erprobt werden soll,<br />

das die ParadoYie von Vernunftkritik<br />

nicht eleminiert, sondern,<br />

auf eine an die Widersinnigkeit<br />

des Zen erinnernden Weise,<br />

fruchtbar nutzen soll. Mit dem<br />

Begriff des Kontextes unternahm<br />

Bateson den Versuch, das<br />

Verhältnis von Geist und Materie<br />

nicht mehr mechanisch zu denken.<br />

Selbstbezüglichkeit ist nur<br />

möglich durch die Transzendierung<br />

des Kontextes, in dem man<br />

sich gerade befindet. Man<br />

beachte allerdings, daß Bateson<br />

den Begriff des Kontextes über<br />

den menschlichen Selbstbezug<br />

hinaus auf die gesamte Biosphäre<br />

ausdehnte. Diese versuchte er<br />

als 'geistigen Prozess' zu beschreiben<br />

oder- wie ein anderer<br />

Ausdruck lautet - als 'ökologisches<br />

Diskursuniversum'. Man<br />

sehe sich die sechs Kriterien an,<br />

die für Bateson einen geistigen<br />

Prozess kennzeichnen:<br />

1. Er ist ein Aggregat mit<br />

Wechselwirkungen (Diese können<br />

entweder relational oder in<br />

Hinblick auf die wirkenden Teile<br />

beschrieben werden).<br />

2. Wechselwirkungen werden<br />

durch Unterschiede ausgelöst<br />

(Sie können zwischen Gegenständen,<br />

zwischen Relationen<br />

oder zwischen Gegenständen<br />

und Relationen bestehen).<br />

3. Der geistige Prozess besitzt<br />

kollaterale Energ ie (Das bedeutet,<br />

daß z.B. Bewegung nicht<br />

nur mechanisch übertragen wird<br />

- was zu der peinlichen Frage<br />

nach dem ersten Beweger<br />

führt -, sondern daß sie im geistigen<br />

Prozeß auf nicht- mechanische<br />

Weise und dezentral entsteht.<br />

So läuft ein getretener<br />

Hund nicht, weil ihn die Energie<br />

des Tritts in Bewegung setzt.<br />

sondern weil er selbst aktiv<br />

wird).<br />

4 . Der geistige Prozeß ist zirkulär<br />

bestimmt (Das versteht<br />

sich fast von selbst, da Wechselwirkungen<br />

nirgends in Leere laufen,<br />

sondern allenfalls in andere,<br />

69

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!