Spur - Hochschule für bildende Künste Hamburg
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Rezensionen<br />
nicht begreift, aber immerhin in<br />
einen Geschäftserfolg umzukehren<br />
verssteht. Weil sie die<br />
flüchtige Vermittlung für etwas<br />
Suqstantielles hält und einer<br />
metaphysischen Fiktion nachjagt.<br />
gelangt sie nie ans Ziel. Gerade<br />
darin aber ähnelt sie strukturell<br />
der Kapitalbewegung und<br />
sorgt als idealisiertes pädagogisches<br />
Abbild maß- und zielloser<br />
Produktion von Produktivität<br />
dafür, daß alle geistigen Gehalte<br />
die Form von Waren annehmen<br />
und die Menschen gemäß ihrer<br />
ökonomischen Grundbestimmung<br />
-Ware Arbeitskraft- nur<br />
noch als Qualifikationsbündel<br />
herumlaufen. Ansehnliches hat<br />
die Didaktik also geleistet zur<br />
Subsumtion des gesamten Bildungs-<br />
und Wissenschaftsbetriebes<br />
unter das Kapital, zur<br />
Verewigung und immer perfekteren<br />
Organisation von etwas.<br />
als dessen paradigmatischer<br />
Ausdruck sie gelten kann : des<br />
bewußtlosen Taumels der Menschen<br />
durch die Vorgeschichte.<br />
Bestechend ist nicht zuletzt<br />
das sprachliche Niveau des Bu <br />
ches, mit dem sich Christoph<br />
Türcke im Sommersemester<br />
1985 am Fachbereich Erziehungswissenschaften<br />
I Humanwissenschaften<br />
der Gesamthochschule<br />
Kassel habilitiert<br />
hat. Der Autor verzichtet absichtlich<br />
auf das heute gerade in<br />
wissenschaftlichen Arbeiten<br />
übliche und als gelehrt sich aufspreizende<br />
Trivialkauderwelsch<br />
und auch auf jenen .. Zuhälterjargon",<br />
als den Walter Benjamin<br />
die Terminologie der Philosophen<br />
polemisch charakterisierte.<br />
Ihm ist das Kunststück gelungen,<br />
die subtile philosophische<br />
und theologische Materie ohne<br />
Einbuße an theoretischer Konsistenz<br />
und argumentativer<br />
Schärfe in auch für Nicht- Fachleute<br />
verständlicher Form so<br />
darzustellen, daß die Lektüre ein<br />
Vergnügen ist. ln einer Zeit dunkelster<br />
Gegenaufklärung folgt<br />
Christoph Türcke damit dem Imperativ<br />
Nietzsches, die Aufklärung<br />
ins Volk zu treiben und<br />
überführt- ohne daß das explizit<br />
erwähnt wird - den restringierten<br />
Wissenschaftcode positivistischer<br />
und kommunikationstheoretischer<br />
Provenienz seiner<br />
Unwahrheit.<br />
Gerhard Botte<br />
Christoph Türcke : Vermittlung<br />
als Gott. Metaphysische Grillen<br />
und theologische Mucken didaktisierter<br />
Wissenschaft, Dietrich<br />
zu Klampen Verlag, Lüneburg<br />
1986, 136 Seiten.<br />
68<br />
uWhere angels fear tp treadu<br />
Dies ist keine Rezension. Obwohl eine solche dem<br />
Schreiben sicherlich einen Vorteil böte. Denn Rezen~<br />
sionen haben 'nurr Bücher zum Gegenstand und<br />
nicht jene Themen, die in diesen behandelt werden.<br />
Der Vorteil darin liegt auf der Hand: der Rezensent<br />
muß nicht auf der Höhe des Wissens stehen, die der<br />
Autor eingenommen hat. Der Nachteil dabei: einmal<br />
mehr schreibt man über Geschriebenes statt über<br />
die Sachen selbst.<br />
Eine Rezension zu Hans Günter<br />
Halls Essaysammlung 'Das lokkere<br />
und das strenge Denken'<br />
wäre diesem spiegelnden Nominalismus<br />
der Schrift besonders<br />
ausgesetzt, denn sie handelt selber<br />
schon von Geschriebenem,<br />
vom Werk Gregory Batesons<br />
nämlich.<br />
Hall hat ins Deutsche übersetzt.<br />
davor promovierte er über<br />
Adorno und Whitehead. Nicht<br />
zuletzt dieser Hintergrund<br />
macht seine Essays interessant.<br />
Denn ganz unspektakulär (für<br />
manchen vielleicht zu unspektakulär)<br />
öffnen sie Auswege aus<br />
der postmodernen Paralyse. Hol I<br />
liefert nämlich die Skizze einer<br />
Vernunftkritik, die sich von den<br />
Szenarien der kritischen Theorie<br />
oder ihrer französischen Dekonstruktion<br />
unterscheidet. Der entscheidende<br />
Fehler moderner<br />
Vernunft ist für Hall nicht in der<br />
Verdinglichung einersich in Fluß<br />
befindlichen Wirklichkeit oder<br />
im Hochmut sich aufspreizender<br />
Subjektivität zu suchen. Beide<br />
Erscheinungen sind vielmehrdie<br />
Folge eines tiefer liegenden, dabei<br />
wesentlich trivialeren Irrtums:<br />
der Verkennung des Unterschieds<br />
zwischen Abstraktem<br />
und Konkretem. Daherredet<br />
Hall denn auch einer gewissen<br />
Verdinglichung das Wort, wenn<br />
er 'gelungene Abstraktion' als<br />
'Übersteigerung der Realität',<br />
die einen Stillstand bewirkt, versteht.<br />
ln gewisser Nähe zu Walter<br />
Benjamins 'Dialektik im Stilistand'<br />
soll diese Übersteigerung<br />
oder Transzendierung helfen,<br />
Probleme zu lösen oder sie spekulierend<br />
erst einmal zu erkennen.<br />
Die Verkennung des Unterschieds<br />
zwischen Abstraktem<br />
und Konkretem löst dagegen<br />
keine Probleme, sondern schafft<br />
laufend neue - unter anderem<br />
das der Verdinglichung :<br />
..... die Abstraktion des<br />
menschlichen Denkens wird mit<br />
Hi!fe von Instrumenten in die<br />
Dingweit hineingepreßt, und die<br />
ungeheure Energie, die dazu erforderlich<br />
ist, schlägt aus dieser<br />
zurück ... Der Triumph moderner<br />
Technik basiert auf einer<br />
schonungslosen Implantation<br />
des Abstrakten ins Konkrete und<br />
damit auf der Verwandlung von<br />
Konkretem in Abstraktes. Das<br />
Wort 'Naturbeherrschung' trifft<br />
diesen Sachverhalt nicht mehr<br />
ganz; es handelt sich vielmehr<br />
um einen fortgesetzten und sich<br />
steigernden Akt der Destruktion,<br />
der Vergewaltigung."<br />
Im Felde der Philosophie -<br />
denn sie hatte im 17. und 18.<br />
Jahrhundert mit dem Projektder<br />
Aufklärung diese Entwicklung in<br />
Gang gebracht - sieht Hall drei<br />
mögliche Reaktionsweisen auf<br />
die Verkennung der Vernunft :<br />
.. 1. Die Philosophie muß<br />
sich, um der historisch gewordenen<br />
Realität gerecht zu werden,<br />
den mächtigen Standards der instrumentellen<br />
Wissenschaften<br />
angleichen oder gar unterordnen<br />
...<br />
2. Sie ... bezieht sich kritisch<br />
auf ihre eigene Tradition.<br />
3. Die Philosophie wird kosmologisch,<br />
das heißt, sie versucht,<br />
ein übergreifendes Denkmodell<br />
zu entwickeln ...<br />
Die erste Position sieht Hall<br />
am konsequentesten durch Niklas<br />
Luhmann vertreten, in dessen<br />
Systemtheorie 'irgendwie<br />
alles stimmt', doch 'grundfalsch<br />
erscheint', wenn man auf einem<br />
transzendierenden Konzept von<br />
Philosphie beharrt. Die zweite<br />
Variante beginnt für Hall mit<br />
Kant und verzweigt sich heute zu<br />
den verschiedensten Spielarten<br />
von Vernunftkritik, die unter<br />
dem, von niemandem gelittenen,<br />
aber von allen gebrauchten,<br />
Stichwort 'Postmoderne' diskutiert<br />
werden. Was die dritte Variante<br />
angeht- sie wird von den<br />
Anhängern der beiden ersten<br />
abschätzig murmelnd verworfen.<br />
Genügt es doch den Vernunftkritikern,<br />
sich gegenseitig<br />
technokratischer Rationalisierung<br />
oder mystifizierender Nebelwerferei<br />
zu zeihen, da<br />
braucht man sich nicht auch<br />
noch mit jenen New-Age-Philosophen<br />
zu beschäftigen, die<br />
konsequent einen halben Meter<br />
über dem Erdboden schweben.<br />
Nun, auch Hall macht das nicht,<br />
aber in seinen Essays setzt er<br />
sich mitjenem universellen Denker<br />
auseinander- Hol I nennt ihn<br />
einen 'General ist der Lücken'-,<br />
den viele New-Age-Gläubige zu<br />
ihrem geistigen Mentor erkoren<br />
haben- magderdas nungewollt<br />
haben oder auch nicht.<br />
Zu ihm ein paar Worte. Gregory<br />
Bateson wurde 1904 geboren<br />
und trat, was seinen intellektuellen<br />
Werdegang anging, in<br />
die Fußstapfen seines Vaters,<br />
des antidarwinistischen Biologen<br />
William Bateson. Aus dessen<br />
Schatten löste er sich, indem<br />
er die Grenzen der Biologie überschritt<br />
und sich mit Ethnologie,<br />
Anthropologie, Psychologie sowie<br />
Kybernetik und schließlicham<br />
Ende seines Lebens - mit<br />
Ästhetik beschäftigte. Frucht<br />
des letzten Arbeitsfeldes sollte<br />
ein Buch mit dem Titel 'Where<br />
angels fear to tread' werden<br />
(Nicht zu verwechseln mit Mink<br />
de Villes gleichnamiger Schallplatte).<br />
Doch bevor Bateson es<br />
beenden ·konnte, sta"rb er, am<br />
7. Juli 1980, in Esalen, dem wohl<br />
bekanntesten Zen und New<br />
Age-Zentrum in Kalifornien, am<br />
dem schon Fritz Perls seine Gestalt-Workshops<br />
abgehalten<br />
hatte. Sein letzter Aufenthaltsort<br />
sagt einiges über Batesons<br />
Persönlichkeit aus. Zeitlebens<br />
verband ihn mehr mit den zaghaften<br />
bis versponnenen Ansätzen<br />
sanfter Wissenschaften als<br />
mit der kühl kalkulierenden<br />
Sachlichkeit technokratischen<br />
Denkens oder der entsprechenden<br />
Kälte verzweifelter Resignation.<br />
Andererseits wollte und<br />
konnte er auch nicht in jene<br />
dümmliche Behaglichkeit abgleiten,<br />
die das Eintauchen in die<br />
flachen Wasser eines aufgewärmten<br />
Spiritualismus mit sich<br />
bringt.<br />
Gregory Bateson wird von<br />
Hall als 'Denker des Kontextes'<br />
vorgestellt:<br />
.. Für (Bateson waren) der<br />
Charakter oder die Eigenschaften<br />
nicht als substantielle Qualitäten<br />
von Individuen, sondern<br />
nur als relationale Aspekte eines<br />
bestimmten Kontextes denkbar."<br />
DieseEinstellung von systemtheoretischen<br />
genauso wie<br />
von strukturalistischen oder<br />
kommunikationstheoretischen<br />
Haltungen zu unterscheiden, ist<br />
wichtig für das Veständnis von<br />
Batesons holistisch-kosmologischer<br />
Erkenntnistheorie. Alle<br />
drei Haltungen stehen nach wie