Spur - Hochschule für bildende Künste Hamburg
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Der Gast und die Masse<br />
Friedhelm Lövenich<br />
Der Herr der Insel<br />
Robinson, Hege! und das bürgerliche Ich<br />
.Der Friseur gzbt dem Ich neuen Schwung"<br />
(Femsehwerbung Apr./ Mai 1986)<br />
Die Stelle in Daniel Defoes Roman, wo Robinson<br />
am Strand einen Fußabdruck findet,<br />
ist eine der berühmtesten und wohl auch<br />
enthüllendsten in der Mythologie des bürgerlichen<br />
Bewußtseins; alles, was Hege! jemals<br />
über das Selbstbewußtsein und seine<br />
insgeheimen Pathologien ans Licht gebracht<br />
hat, ist hier in einer verdichteten<br />
Szene symbolisch erfaßt. Das reduzierte<br />
Ich, das die bürgerliche Realität des utopischen<br />
Selbstbewußtseins darstellt, basiert<br />
auf der unausgesprochenen Vorstellung<br />
seiner eigenen Absolutheit, der gegenüber<br />
alles andere bloßes Nicht-Ich ist und bleibt;<br />
die Konfrontation mit einem anderen Ich<br />
bringt das größenwahnsinnige Ich, das Robinson<br />
in allseiner Grandiosität, Ohnmacht<br />
und Not repräsentiert, in völlige Panik, die<br />
Überraschung verwandelt sich in der Sekunde<br />
des Realisierens in den absoluten<br />
Schrecken : .,Eines Tages gegen Mittag, als<br />
ich auf dem Wege zu meinem Boot war, erblickte<br />
ich zu meiner größten Bestürzung<br />
am Strand den Abdruck eines nackten<br />
Männerfußes, der im Sand ganz deutlich zu<br />
sehen war. Ich stand da wie vom Donner<br />
gerührt oder als hätte ich einen Geist erblickt."<br />
(1)<br />
Dem isolierten und in seiner Isolation<br />
gefangenen Ich kommt ein anderes wie ein<br />
Geist, wie ein Gespenst vor, wie ein Bote<br />
aus dem Totenreich, denn den Tod<br />
seiner Absolutheit zeigt es an. Der Grund<br />
fur den absoluten Schrecken liegt somit begründet<br />
in der, wie Hege! sagen würde, rein<br />
negativen Abstraktheit dieses Ich, das sich<br />
als einzelnes nur setzt. Diese narzißtische<br />
Identität gilt es fiir das Ich, das zum Begreifen<br />
seiner selbst als gesellschafilichem nicht<br />
in der Lage ist, weil es diesen Gedanken zurückhalten,<br />
verdrängen muß, zu retten<br />
durch die Steigerung der Anstrengung in<br />
der Verleugnung des anderen als gleichwertigem<br />
Subjekt. Die Abwehr des angeblich<br />
Ichfremden erfolgt in der völligen<br />
Verwirrtheit der Panik: .,Als ich meine Burg<br />
erreicht hatte, denn so nannte ich sie wohl<br />
von jetzt an immer, flüchtete ich wie ein<br />
Verfolgter hinein. Ob ich nun über die<br />
zuerst gebaute Leiter oder durch das Loch<br />
im Felsen, das ich eine Tür nannte,<br />
hineingekommen war, darauf kann ich<br />
mich nicht besinnen, denn nie ist mit größerer<br />
Angst ein aufgeschreckter Hase in seine<br />
Deckung oder ein Fuchs in seinen Bau als<br />
ich in diesen Unterschlupf(2)." Das Ich, das<br />
schon zuvor als scheinbar uneinnehmbare<br />
Festung, als Burg aufgebaut worden war,<br />
dient jetzt als Zufluchtsort, als Rettung fiir<br />
genau die Angst, die doch von seinem eigenen<br />
Prinzip verursacht ist, das zur F1ucht<br />
zwingt, weil der andere sofort, noch ohne<br />
ihn zu kennen, als Verfolger imaginiert<br />
wird.<br />
Das menschliche Ich wird als gejagtes<br />
zum Tier, regrediert auf seine 'innere Natur',<br />
die es doch beherrschen zu können<br />
glaubt; dabei wird die selbstverordnete Isolation<br />
streng verschärft; .,drei Tage und<br />
Nächte" bleibt Robinson in seiner Festung<br />
und arbeitet dort die Beruhigung aus, dieeben<br />
weil Beruhigung und nicht Verarbeitung<br />
- genau derselben Struktur folgt, in<br />
der das Ich sein Überleben sichert : wie es<br />
die Welt als bloßes Objekt betrachtet und<br />
an sich als Ich assimiliert, alles Nichtidentische<br />
ausblendet, so übersteigt es jetzt das<br />
Wissen um die Existenz des Anderen, um,<br />
wie Kant, zum Glauben Platz zu bekommen<br />
(3). Wie schon einmal zuvor in einer<br />
ebenso katastrophischen Situation: einer<br />
gefahrliehen Krankheit ohne Medizin ausgeliefert,<br />
greift es auf die Instanz zurück, der<br />
es bisher selten auch nur einen einzigen<br />
Gedanken gewidmet hat. Das selbstherrliche<br />
Ich, das ohne Gott auszukommen<br />
glaubte, ja geradezu gegen ihn opponieren<br />
zu müssen glaubte, hängt sich jetzt, um<br />
Trost zu bekommen, an seinen Gegner,<br />
den es in seiner Verlassenheit in einer Art<br />
Vertrag bestätigt und bestätigend findet.<br />
Die aus der Gewißheit der Geborgenheit in<br />
Gott gezogene Bestätigung - Religion als<br />
Rückhalt und Kompensation in eins - verwandelt<br />
es dann erneut in die Absegnung<br />
seiner Hybris, in den wiedererstarkten<br />
Glauben an sich selbst, an seine imaginäre<br />
Macht, die in ihrer Absolutheit nun wiederum<br />
Gott ersetzen kann. Noch das völlig<br />
Fremde wird imaginär zum Ich gemacht,<br />
notfalls durch die gefahrliebste Eigenschaft<br />
des Ich fiir es selbst, die Phantasie, die auch<br />
zum Gegenteil durchschlagen kann : .,Da<br />
ich mir nun also mit dem Gl