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Spur - Hochschule für bildende Künste Hamburg

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Der Gast und die Masse<br />

der Oppositionen selbst unmöglich wäre.<br />

Dieses Paradox bewirkt eine ständige Verschiebung,<br />

so daß die oppositionellen Momente<br />

sich nie in einem Gleichgewicht halten<br />

können; ihre Struktur ist die Jniiquivalenz,<br />

von der aus wiederum unser Begnffdes<br />

Gastes selbst strukturiert wurde: wir denken<br />

von dem aus, was das Abendland "Kultur"<br />

nennt, cultura: Bildung, Pflege und<br />

Kult im Ausgang von der Ansässigkeit, der<br />

Anpflanzung, dem Aufbau. Nennen wir sie<br />

allgemein das Haus, von dem aus wir den<br />

Weg denken. Nur im Moment einer Gründung<br />

könnte es so scheinen, als wäre die<br />

Methode (der Weg) früher als die<br />

Konstruktion (das Haus); wir ziehen die Linie<br />

zum Kreis und schließen durch<br />

die Rückkehr des Weges den Umkreis<br />

eines künftigen Aufenthaltes, der Sitz<br />

und Gebiet werden soll. Gleichwohl<br />

haben wir schon zuvor den Weg bewohnt:<br />

wir können keine Richtung einschlagen,<br />

ohne zuvor den Haltgemacht zu haben, der<br />

uns eine Drehung ermöglicht. Die Festigkeit<br />

des Standes vertieft sich im grabenden<br />

Ausheben, im Bilden des Grundes, der<br />

Fundament wird, über den sich Aufbau und<br />

'Gefi.ige (Struktur und Konstruktion) erheben<br />

werden, die archi-tektonisch zum Abschluß<br />

kommen. Die Lage und der Sitz<br />

werden jene in sich ruhende, bewahrende<br />

Immanenz bestätigen, durch welche wir das<br />

Transzendieren der Wege erst vorstellig machen.<br />

Ohne diese Anpflanzung und Ansässigkeit<br />

wäre eine Geschichte der Abstammungen,<br />

des Erbes, des Eigentums unschreibbar<br />

gewesen. Der Weg, auch wo er<br />

ins Ungewisse der Er-fahrungen und Gefährdungen<br />

fuhrt, ist immer schon von einer<br />

als Rückkunft antizipierten Ankunft gedacht,<br />

als "Wiederbesetzung des Hauses<br />

der Wahrheit".Jeder Wegundjede Methode<br />

ist von dieser vorgängigen, aber keineswegs<br />

anfangliehen Konstruktion und ihrer<br />

Begründung bestimmt; man bewegt hier<br />

keine <strong>Spur</strong>en in eine wüste terra incognita<br />

hinein, weil man sich immer schon auf dem<br />

Weg bifindet, ihn besitzt, von ihm aus alle<br />

Verluste, Abirrungen, Abwege denkt. Man<br />

hat in dieser Kultur die Wege schon erschlossen,<br />

bevor man sie beging oder bahnte.<br />

Jeder Gang ist schon als Sitz bestimmt,<br />

jede Bewegung wohnt in ihrer Form. Von<br />

dieser Ansässigkeit aus beschreiben wir das<br />

Kommen und Gehen der Giiste, unsere Einkehr<br />

und unser Empfangen und vergessen<br />

so die elementarere Struktur der Begegnung<br />

und des Entgegenkommens.<br />

Versucht man, diese Inäquivalenz der<br />

dichotomischen Momente, dieses Überlagertsein<br />

des Weges vom Haus, zu erklären;<br />

versucht man die Vorherrschaft des Sitzes,<br />

der Position, der bewahrten Immanenz,<br />

von der aus alle Überschreitung als Mitnahme<br />

und Überlieferung und insofern als<br />

Angst vor Vergessen, Verlust und Tod erscheinen<br />

muß, zu begreifen; so mag man sie<br />

vielleicht aus einer traumatischen Wende<br />

von nomadischen zu agrikulturischen Lebensformen<br />

beschreiben wollen. Aber einen<br />

Grund fur die Wende läßt sich nicht<br />

mehr angeben ohne das Begründete, die<br />

Ansässigkeit, schon vorausgesetzt zu haben.<br />

Auch eine Theorie des Bedürfnisses<br />

würde das Problem verfehlen, weil es ebenfalls<br />

jene Rückkehr des Mangels zu sich<br />

selbst, eine Ansässigkeit als Bedingung der<br />

Reproduktion, schon voraussetzen würde,<br />

anstatt ihr Auftauchen zu erklären.<br />

Unser möglicher Begriff des Gastes -<br />

und wer wollte nichtamTraum seiner Unschuld<br />

festhalten, die so unendlich unsere<br />

Neugierde belebt - wird so zwar wohl<br />

kaum jenseits unserer Ansässigkeiten<br />

denkbar sein; aber doch so wenig von ihnen<br />

eingefangen sein, wie sie selbst immer fragil<br />

und verletzlich blieben. Vielleicht können<br />

wir sogar mehr sagen, da unser Jahrhundert<br />

im Begriff steht, diese Vorherrschaft der<br />

Ansässigkeit durch die Trans-missionen<br />

seiner Techniken aufZulösen. Und diese<br />

Tendenz hat sich selbst in Form einer "irreparablen"<br />

Entdeckung (der Freuds) angekündigt,<br />

daß die Systeme der Bedürfnisse<br />

nur "representamen" des Begehrens, des<br />

"Von sich selbst lassens", sind.<br />

Die lange "pflanzliche" Genealogie der<br />

Stadt mit ihren Verwurzelungen, Abstammungen,<br />

Verzweigungen, mit den Zeiten<br />

ihrer Blüten und Befruchtungen, ihres Sterbensund<br />

Wiedererblühens, mit ihren Ängsten<br />

vor den Sprüngen einer unbekannt ge-<br />

bliebenen Animalität, - diese Geschichte<br />

kommt an ihr Ende, und im Übergang zur<br />

Metropole beginnen die Dichotomien nicht<br />

deshalb zu verfallen, weil man das "ausgeschlossene<br />

Dritte" gefunden hätte, sondern<br />

weil sie so mannigfaltig wurden, daß die<br />

"Klarheit" ihrer alten politischen Freund­<br />

Feind Orientierungen ebenso zum Lachen<br />

zu reizen beginnt wie ihr tödlicher Ernstfall<br />

zum Verstummen. Das große Unbehaben<br />

heute, weder "im eigenen Hause" noch nur<br />

"in der Fremde" zu sein, ist wohl nicht anders<br />

lesbar denn als eine Botschaft verdrängter<br />

Hospitalität. Das Gefuhl der Unsicherheit<br />

über die Sicherheiten könnte vielleicht<br />

zu einem Umgang mit ihrer, der gast­<br />

Iichen Versehrbarkeit (ein anderer, "chinesischer"<br />

Name fur Kultur?) fuhren. Das wird<br />

nicht durch eine Ausdehnung des Verhältnisses<br />

von Gastgeber-Gastnehmer geschehen<br />

können; die Gesetze des Tausches<br />

(Gast-Wirt) haben von jener Unverträglichkeit<br />

eines Beschenktwerdens befreit,<br />

durch das wir nicht mehr anders als in<br />

Schuld geraten; sie, die Regeln des Tausches,<br />

sind eine Möglichkeit der Schuldbegleichung,<br />

hinter welche nur die Familie zurückfällt.<br />

Unser Traum aber gilt der "Undankbarkeit"<br />

des Gastes, die wir gleichwohl<br />

noch nicht einmal im Gedanken auszuhalten<br />

vermögen, ohne in Zorn zu geraten.<br />

Wir wollen nicht glauben, daß jene Undankbarkeit<br />

mehr sein könnte als eine trotzige<br />

Verweigerung, die Schuld anzuerkennen,<br />

die das Geschenk als Eingrabungen<br />

"notwendig" hinterlassen müsse. - Kurz, es<br />

geht nicht um eine romantische Nostalgie,<br />

in welcher das Gast-Wirt Verhältnis eines<br />

angeblich wärmeren von Gastgeber-Gastnehmer<br />

wegen verlassen werden sollte;<br />

dieser Raum ist vielmehr der einer möglichen<br />

Begegnung der Gäste untereinander.<br />

Vielmehr wäre jener Impetus der Gesetze<br />

des Tausches zu vollenden, der bisher im<br />

Begleichen einer Schuld immer noch auf<br />

deren unentwegter Wiederherstellungverwiesen<br />

bleibt. Es geht, um es zu wiederholen,<br />

um die Unschuld und insofern um die<br />

Undankbarkeit des Gastes; erst sie könnte<br />

den "Dank" aus der Pflicht der Erwiderung<br />

befreien und gleichsam in ein "Kompliment<br />

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