Spur - Hochschule für bildende Künste Hamburg
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Edztorial<br />
"Als Fremder wird der Gast in jene Distanz<br />
gebracht, durch welche er schon<br />
identifiziert ist, ehe wir etwas über ihn<br />
erfahren und wissen. Insofern blieb die<br />
extremste Gestalt des derart verdrängten<br />
Gastes der Tod, als der er dem Ich<br />
selbst entgegenkommt. Und hier setzt<br />
ein bestimmter Typus seiner endlosen<br />
Befragungen ein, Projektionen eines<br />
Wissens, die sich schichtenweise über<br />
diesen Fremdling legen werden, weil<br />
niemand mehr an eine 'Schuldlosigkeit'<br />
des Gastes glaubt: es ist das, was man die<br />
polizeiliche Erzählung nennen kann."<br />
Hans-Dieter Bahr, in diesem Hifl S. 28<br />
Es bedurfte nicht erst der gegenwärtigen<br />
politischen Kampagne gegen Asylsuchende<br />
in der Bundesrepubli, um aufdas prekäre<br />
Verhältnis von Gast und Masse aufinerksam<br />
zu machen, das gerade hierzulande<br />
herrscht. Wie immer, wenn die politische<br />
Klasse von inneren Problemen abzulenken<br />
suchte, denen der Ökonomie, des Politischen<br />
und Sozialen, wird auch diesmal gegen<br />
den Fremden mobil gemacht; wer also<br />
in den Verdacht gerät, Gastfreundschaft<br />
beanspruchen zu wollen, ist potentiell<br />
Staatsfeind: Objekt, an dem sich die politische<br />
Formierung im Innern vollziehen<br />
kann.<br />
Das vorliegende Heft thematisiert die<br />
Frage nach dem Gast wohl nicht auf solch<br />
unmittelbar politischer Ebene - wie überhaupt<br />
~in radikaler Begriff des Politischen<br />
neu erst ausgearbeitet werden muß, soll er<br />
sich nicht in den Strategemen der herrschenden<br />
Parteien verfangen; aber dieses<br />
Heft versucht, einen möglichen Ort des<br />
Gastes zu bedenken, an dem dieser nicht<br />
entweder als Fremder verfolgt oder aber als<br />
Rückständiger missioniert würde. Denn<br />
auch hier ist Missionierung nur die andere<br />
Seite der Verfolgung: so offen~>ichtlich das<br />
Kalkül der politischen Rechten ist, wenn sie<br />
den Gast, der um Asyl nachsucht, als Tod<br />
der Kultur, der Zivilisation, des Sozialen<br />
verfemt und verfremdet, so problematisch<br />
ist andererseits vielfach das Engagement<br />
einer bestimmten Spielart der Linken, die<br />
den Ort des Fremden allzu genau festgelegt<br />
wissen will. Sieht man genau, zieht sich der<br />
Eifer einer Missionierung, einer Angleichung<br />
an die Masse, einer Vereinnahmung<br />
ins Bekannte auch durch oppositionelle<br />
Haltungen: durch literarische Unternehmungen<br />
etwa, die dann in Wallraffs "ich<br />
(Ali)" zu kulturindustriellen Ereignissen<br />
werden können. Stets tritt auch hier der<br />
Gast in einen Bekenntniszwang ein, dessen<br />
polizeiliche Ausprägung eben nur die eine<br />
Variante ist.<br />
In diesem Sinn entziffert Fnedhelm Lüvenichs<br />
Lektüre der Konfrontation Robinsons<br />
mit Freitag die Urgeschichte bürgerlichen<br />
Selbstbewußtseins als Doppelung von Unterwerfung<br />
und Mission: indem er diese<br />
Urgeschichte in Hegeischen Kategorien<br />
erzählt, zeigt Lüvenich, daß in einem sehr<br />
präzisen Sinn das gedankliche Universum<br />
der "Phänomenologie des Geistes" immer<br />
unser Universum geblieben ist. Hans-Dtder<br />
Bahrs Text "Xenia", der in Vorbereitung einer<br />
Ausstellung entstanden ist, die in einiger<br />
Zeit zu sehen sein wird, versucht, gegen<br />
diesen Bann, eine Phänomenologie des Gastes,<br />
die in eine Ethik des Anderen einleiten<br />
könnte: Bahr skizziert sie als eine "Raumzeit<br />
des Entgegenkommens", die von der<br />
LogikderTrennungen und der Vereinnahmungen<br />
nicht verortet werden kann. Vzlem<br />
Flusser beschreibt, ebenso die großen Einheiten<br />
vervielfältigend, den Mittelmeerraum<br />
als einen multiplen Raum, der sich,<br />
neu befragt, als voll von porösen Orten eines<br />
solchen Entgegenkommens erweisen<br />
könnte. Und Hetrmch Kupffir, solche Überlegungen<br />
vom Ort vollendeter Austauschbarkeil<br />
gleichsam paraphrasierend, erinnert<br />
an das Nicht-Kommunizierbare im<br />
"Innern" der herrschenden Kultur.<br />
Sozialdemokratie<br />
Vom Strategem der politischen Klasse war<br />
zu Beginn die Rede, das die ökonomischen<br />
und sozialen Krisen durch die Produktion<br />
des Fremden zu entschärfen sucht. Gehen<br />
solche Versuche auch zunächst von den gegenwärtigen<br />
Regierungsparteien aus, so<br />
soll nicht vergessen werden, daß es eine sozialdemokratische<br />
Landesregierung, die<br />
<strong>Hamburg</strong>er, war, die in den letzten Wochen<br />
eine erneute Probe ihrer innenpolitischen<br />
Vorstellungen gab und den präventiven<br />
Polizeikessel gegen Demonstranten<br />
mit allem Zynismus in das taktische Arsenal<br />
des staatlichen Gewaltapparats einfuhrte.<br />
Hat der Innenausschuß der <strong>Hamburg</strong>er<br />
Bürgerschaft mit den Stimmen von SPD<br />
und CDU auch mittlerweile diese Polizeiaktion<br />
als "unverhältnismäßig" und<br />
"rechtswidrig" eingestuft, so wollte sie andererseits<br />
solche Kessel fiir die Zukunft<br />
nicht prinzipiell ausschließen. Die Vertreter<br />
der Grün-Alternativen Liste (GAL) hatten<br />
wohl recht, wenn sie sich dem abschließenden<br />
Bericht dieses Ausschusses nicht anschließen<br />
wollten. Christian Amdt gab vor<br />
dem Ausschuß einen Augenzeugenbericht<br />
aus dem "<strong>Hamburg</strong>er Kessel", den wir den<br />
Protokollen entnehmen und an den Anfang<br />
des Heftes stellen.<br />
Ham-Joach1in Lenger<br />
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