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Spur - Hochschule für bildende Künste Hamburg

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jedenfalls R.ir diese Performance. Die bekannte<br />

Wut, Angst und Lähmung stellte<br />

sich ein. Und damit wäre die alte durch eine<br />

neue Hierarchie ersetzt: die zwischen Täter<br />

und Opfer. Den Notorischen Reflexen,<br />

die sich den Mut nicht nehmen lassen, ist<br />

das Denken von oben nach unten oder umgekehrt<br />

jedoch fremd. Für sie ist das Polizeizentrum<br />

eins von allen anderen und<br />

folglich ihrem eigenen gleich. Drum ziehen<br />

sie in ihrer Performance selbst die Stöcke.<br />

Ein Scheinwerfer projeziert den Schattenriß<br />

der Trommelstöcke auf die Knüpplerprojektion.<br />

Jetzt sind es die Notorischen<br />

Reflexe selbst, die dreinschlagen : auf<br />

Beamtenrücken, zum lustvollen Iive­<br />

Rhythmus irgendwo zwischen Rock und<br />

Jazz. Was man hört, sieht, erlebt, ist nicht<br />

Polizei-, sondern Reflex-Terror.<br />

Von dem, was in Brüche gegangen ist,<br />

haben die Notorischen Reflexe ein Videoband<br />

gemacht ("Fragment/Video' 83"). Es<br />

ist videospezifisch bearbeitet, sehr schön<br />

bearbeitet, aber kein Videowerk Das Medium<br />

dient, eher zufallig, als Verkehrsmittel,<br />

um das Performancefragment zu transportieren,<br />

welches seinerseits die Medien<br />

mischt, um angesichts der realen Herrschaft<br />

auf dem Roten und Winterfeldt­<br />

Platz oder der simulierten Volksherrschaft<br />

auf dem <strong>Hamburg</strong>er Rathausmarkt die<br />

Beherrschung zu verlieren. Das Reflexband<br />

ist zu Hause sowohl an den Rändern<br />

der großen Plätze als auch an denen unserer<br />

Medien. Seine Heimat ist überall, wo<br />

man den kurzen Wegvom Filmmedium in<br />

das Medium der Bildenden Kunst gehen<br />

kann, von dort ins Musikmedium, von dort<br />

in das Medium der Darstellenden Kunst.<br />

Die Grenzen sind nicht abgesteckt. Das<br />

Niemandsland ist groß und ungewiß, doch<br />

stehen Eingeweihten ausreichend Trampelpfade<br />

zur Verfiigung. Die braucht der,<br />

der der Erfassung sich entziehen möchte:<br />

den Funktionären der Behörden, der Polizei,<br />

aber auch der Kulturarbeit und insbesondere<br />

den leitenden Angestellten unserer<br />

Theorien und Dogmen, ob nun der<br />

ästhetischen oder der gesellschaftlichen<br />

Art. Wenn man von Kunst reden möchte.<br />

dann von einer begriHlich nicht recht faß-<br />

baren Lebenskunst : der Kunst, durch den<br />

fröhlichen, aber verantwortungslosen Gebrauch<br />

dieser unserer ästhetisch-gesellschaftlichen<br />

Einrichtungen sich eben letzteren<br />

zu entziehen. Für den, der sich in dieser<br />

Bewegungskunst übt, gilt weder oben<br />

noch unten, weder rechts noch links. Da er<br />

das Vorhandene nutzt und es soweit affirmiert,<br />

braucht er nichts zu hinterfragen.<br />

Die Stechschrittkolonne vor dem Leninmausoleum,<br />

die Bullenknüppel auf dem<br />

Winterfeldtplatz : sie gelten R.ir sich selbst<br />

und sind Antwort ohne Frage; sie sind<br />

Tummelplatz R.ir eine Strategie, die über<br />

die Taktik des Platzwechsels Auskunft gibt.<br />

Die Plätze, die geografisch beschrieben<br />

werden können, stehen nicht R.ir anderes.<br />

Drum bleiben auf der Platzmitte die Kulturarbeiter<br />

stehen, die zwar die Kultur hinterfragt<br />

haben, aber nicht das, R.ir das sie stehen<br />

soll. Die Funktionäre, die die Kultur<br />

funktionalisiert haben, nicht aber so etwas<br />

wie den gesellschaftlichen Fortschritt, werden<br />

fur eine Lebens-Kunst, die den Schritt<br />

zur Seite trainieren muß, zur zentralen<br />

Größe, mit der sich nicht operieren läßt. Ihre<br />

Prozedur, die kulturelle Erscheinung zu<br />

Gunsten eines nichtkulturellen Anderen<br />

aufZulösen, macht sie R.ir den Verkehr an<br />

den Rändern des Roten und des Winterfeldt<br />

-Platzes untauglich. Denn nur, wer sich<br />

in den realen Brüchen und Antinomien<br />

auskennt (und sie bestätigt), weiß über das<br />

Gelände Bescheid, auf dem er lebt. Für den<br />

Arbeitslosen ist das Überlebenstraining der<br />

neuen Beweglichkeit von Nutzen, weniger<br />

die theoretische Harmonie einer Kulturarbeit,<br />

die nicht erfahren hat, daß R.ir den, der<br />

seine Arbeit los ist, die Arbeiter zur Klasse<br />

der Besitzenden zählen, nämlich der Arbeitsplatzbesitzer,<br />

deren Zentrum der<br />

Deutsche Gewerkschaftsbund ist - eine<br />

Zentrale, die Funktion R.ir Arbeitslose,<br />

Rand- und Minderschichten längst verloren<br />

hat.<br />

Der Kulturarbeiter, dem Kultur lediglich<br />

Beleg und Mittel R.ir die Theorie ist - er<br />

verbreitet Lähmung und Angst. Lähmung,<br />

weil der zu Bearbeitende dem, was ihm vor<br />

Augen gefiihrt wird, nicht trauen soll, da es<br />

einem anderen, fremden Zwecke diene.<br />

Angst, weil er seinen real existierenden Mut<br />

an die Verwalter einer fremden, fernen Utopie<br />

abtreten soll. Denn die Gegenwart sei<br />

schlimm, auch die Kultur sei dazu da, ihm<br />

dies zu bedeuten. Dann bleibt dem, dem in<br />

der Kulturarbeit die GeRihle abhandenkommen,<br />

freilich nur der Wegzur nächsten<br />

Disco. - Der Film "Echtzeit" von Costard<br />

und Ebert zeigt Computerherrschaft, Monitorbilder<br />

und Simulationssysteme. Das<br />

Liebespaar R.ihlt sich vom zentralen System<br />

erfaßt, programmiert. Der Held, sich zur<br />

software reduziert wähnend, stürzt als<br />

Computerbild auf den winterlichen Acker<br />

und bleibt vor den Füßen der Geliebten liegen.<br />

- Der Demonstrant, den ich auf einer<br />

Büßer- und Abwieglerdemonstration in<br />

Harnburg vor der Polizeiwache Kirchenallee<br />

sah, hatte den Angstfilm offenbar nicht<br />

gesehen. Er kletterte die Fassade hoch und<br />

drehte die Videokamera, die den Zug beobachtete<br />

um : ins Fenster rein, hinter dem<br />

die Polizeibeamten auf den Monitoren sodann<br />

ihr eigenes Bild betrachten konnten.<br />

War diese Muttat, die die Demonstranten<br />

weit über den Anlaß beflügelte, etwas, was<br />

der Hinterfragung, der Instruktion bedurfte?<br />

Sie war eine Antwort, als transitorisches<br />

Werk der Lebens-Kunst beschreibbar, keine<br />

Kultur von allen R.ir alle, sondern Minderwerk<br />

R.ir eine Minderheit. Auch schien<br />

mir nicht, daß Kulturarbeiter den Helden<br />

im Griff hatten, der nicht als erfaßbares<br />

Kunstbild auf dem winterlichen Acker lag,<br />

sondern sich, auch der Polizei nicht faßbar,<br />

bewegen konnte : klettern, nach oben und<br />

wieder nach unten.<br />

Die Strategie erlernt sich kinderleicht.<br />

Die Leser von Disneys Lustigen Taschenbüchern<br />

können sich im Heft 68 (" Wohnungsbeschaffungsprograrnm")<br />

mit den<br />

Identifikationsjungenten Tick, Trick und<br />

Track ungezwungen und ungehemmt zwischen<br />

Pränazis-mit -Hindenburgbart -Und­<br />

Pickelhaube in Westland und bösutopischen<br />

kapitalistischen Ausbeutern in Entenhausen<br />

bewegen, wobei es sich bei l~ tzteren<br />

im einzelnen um Onkel Dagobert<br />

handelt, der als Wohnungspekulant den<br />

technischen Fortschritt nutzt, um Behörden<br />

und Mieter auszutricksen. Originalton<br />

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