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Spur - Hochschule für bildende Künste Hamburg

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Leserinbrief<br />

höhere oder niedrigere Kontexte<br />

hineinwirken).<br />

5. Die durch Unterschiede<br />

ausgelösten Wechselwirkungen<br />

werden codiert (Kurz, der geistige<br />

Prozeß besitzt Gedächtnis).<br />

6. Der geistige Prozeß ist<br />

durch die Hierarchie von logischen<br />

Ebenen oder Kontexten<br />

bestimmt (Was auf einer Ebene<br />

nur Element in einem Kontext, ist<br />

auf einer höheren Ebene selber<br />

Kontext und umgekehrt).<br />

Die Biosphäre wird, versteht<br />

man sie als 'geistigen Prozeß'<br />

oder als 'ökologisches Diskursuniversum',<br />

zu einem offenen Zu ­<br />

sammenhang von Kontexten,<br />

der, ins Makroskopische wie ins<br />

Mikroskopische hinein, prinzipiell<br />

unendlich ist. Zwischen den<br />

Kontexten herrscht ein labiles<br />

Fl ießgleichgewicht. in das der<br />

Mensch mittels transzendierender<br />

Abstraktion Einblick erlangen,<br />

in das er aber auch, mittels<br />

instrumenteller Abstraktion,<br />

Technik implantieren kann . Bei -<br />

Leserinbrief<br />

Lieber Jochen,<br />

da auch in eurem Heft ,.<strong>Spur</strong>en"<br />

1 5/ 86 der Mythos grassierend<br />

auftaucht, möchte ich darauf<br />

einmal mit ein paar Gedan ­<br />

ken antworten.<br />

Da ist die Rede von ,.mythischen<br />

Resten", von der .. Wichtigkeit<br />

der Mythen für uns alle",<br />

von .. kleinen Mythen des Privaten",<br />

von Mythen als .. heiliger<br />

Geschichte", und daß .. Die Literatur<br />

beginnt, wo mehrere Mythen<br />

aufeinandertreffen" (Bu ­<br />

tor).<br />

Es scheint sich, im ersten Anlauf,<br />

um eine Vokabel zu handeln,<br />

die genug Ferne und Weiches<br />

besitzt, um den Lücken unseres<br />

Daseins, in der durchformulierten<br />

Gesellschaft, Dimension<br />

zu verleihen, Tiefe, Grund<br />

und Halt im flachen Gewässer<br />

der Gegenwart. Eine Art Freiheit<br />

von uns umstellenden Begriffen;<br />

man fühlt sich umzäunt und entweicht<br />

ins Eigentliche, wo der<br />

Mensch sich noch mit Göttern<br />

unterhielt und nicht mit dem TV,<br />

undsoweiter. Bemerkenswert ist<br />

nur, daß dieser Fischzug nach al ­<br />

ten .. Schätzen" auf altgewohnte<br />

Weise geschieht. Die Denkweise<br />

hat sich gar nicht geändert, es<br />

wird nur nach Alt-Neuem gefischt,<br />

als seis an der Zeit, die<br />

marode Gesellschaft ein bißchen<br />

mit Frischzellen alt-neu-zu<br />

beleben.<br />

Warum ausgerechnet Mythen?<br />

Nicht wahr, das fragt man<br />

sich im turnusmäßigen Rück-<br />

70<br />

des hat Rückwirkungen auf die<br />

in die Biosphäre eingebundenen<br />

Lebenszusammenhänge des<br />

Menschen. Die Selbstbezüglichkeit<br />

von Vernunftkritik sollte<br />

nichts anderes als diese Rückwirkungen<br />

zum Gegenstand haben.<br />

Den kontextuellen Denken<br />

Batesons liegt die Überzeugung<br />

(oder ist es der Glaube?) zugrunde,<br />

daß es ein Muster gibt, das<br />

alle Lebewesen miteinander verbindet.<br />

Dieser wahrhaft holistische<br />

und kosmologische Gedanke<br />

besaß für Bateson die<br />

gleiche Notwendigkeit wie für<br />

manche Physiker eine noch<br />

nicht beobachtete Erscheinung,<br />

die sie in der Theorie schon<br />

' nachgewiesen' hatten. Daß es<br />

ein Muster gibt, dasalle Lebewesen<br />

miteinander verbindet und<br />

daß die Kenntnis und Achtung<br />

dieses Mustersfürdas menschliche<br />

überleben von äußerster<br />

Wichtigkeit sei, machte den<br />

ökologischen Glutkern seines<br />

griff, wenn die Schubladen leer<br />

werden. Gibt es denn wirklich ei ­<br />

ne existentielle dringende Notwendigkeit?<br />

Gibt es wirklich<br />

Trauer? Gibt es denn Sehnsüchte,<br />

die nicht restaurativ sind?<br />

Hier, an dieser Stelle, setzen<br />

meine Einwände, meine Kritik,<br />

meine Bosheit, mein Forschen,<br />

meine Dringlichkeit ein, denn<br />

tatsächlich, ich, Frau, habe eine.<br />

Ich wünsche etwas, und zwar<br />

keine Klagen, keine Larmoyanz,<br />

keine Bitterkeit, sondern<br />

schlichte Klarheit. Mein, Frau,<br />

Zeitalter der Klarheit bricht erst<br />

an, was heißt, daß ich dies zu tun<br />

habe unter Bedingungen, dieder<br />

mythischen Vorzeit unbekannt<br />

waren, nämlich unter den Folgen<br />

des sog. Fortschritts.<br />

Soweit dazu.<br />

Aber nun zu den Mythen. Ich<br />

kann dir (und der Redaktion und<br />

sonstwem) versichern, daß ich,<br />

Frau, mich keineswegs mit irgendwelchen<br />

Mythen identifizieren<br />

kann (und es künftighin<br />

auch nicht werde), weder jenen<br />

der griechischen Tradition noch<br />

den hebräischen (Butor), noch<br />

mit den Märchen und Sagen,<br />

noch, wie bekannt, mit der Geschichte.<br />

Kain, Abel, Gott und<br />

Adam, Theseus, Zeus und die<br />

lange Liste sonstiger Götter und<br />

Halbgötter, Helden und Geister<br />

sind für mich, Frau, ein Material,<br />

das ich gründlich zu befragen<br />

habe.<br />

Mythos also, um auf den<br />

Kern zu kommen, stellt für mich<br />

die göttliche Rückversicherung,<br />

Schutz und Halt jenes lnspirier-<br />

Denkens aus.<br />

Nach der Erfahrung von der<br />

Nichtexistenz Gottes und dem<br />

damit einhergehenden Verlust<br />

metaphysisch bindenderWerte,<br />

die der Menscc im Zeichen der<br />

Aufklärung - zum Wohle seines<br />

Selbstbewußtseins - machen<br />

konnte, zeigt sich in der ökologischen<br />

Zerstörung ein ungeheurer<br />

Mangel an Sinn. Daß Sinnlosigkeit<br />

und Zerstörung letztendlich<br />

Synonyme sind, diese Erfah ­<br />

rung steht, am äußersten Ende<br />

der Aufklärung, noch aus. Sich<br />

der paradoxen Verbindung von<br />

lockerem und strengem Denken<br />

anzunähern, hieße, die Aufklärung<br />

nicht selbstdementierend<br />

verenden zu lassen. Sei es im<br />

funktionalistischen Kalkül technokratischen<br />

Denkens, das jene<br />

Zerstörung auch weiterhin als<br />

Fortschritt feiern w ird und am<br />

liebsten noch die Ge isteswissenschaften<br />

zur Jubelperserei<br />

verdonnerte, oder sei es in der<br />

Wiederkehr von welchem Myten,<br />

Gläubigen, männlich, dar,<br />

der sich in die Lage versetzte,<br />

durch Selbstversenkung, Ekstase,<br />

usw. diesen göttlichen Fun ­<br />

ken zu empfangen, oder andersherum,<br />

ihn zu produzieren. Der<br />

Initiationsakt Empfängnis,<br />

Hingabe an jene/ jenen Übermächtigen<br />

- war/ ist nicht nur<br />

Gewißwerden großer mächtiger<br />

Kräfte, sondern ein Wachrufen,<br />

Hervorrufen eigener Kräfte. Der<br />

Initiant/ Gläubige empfängt se i­<br />

ne - eigenen Kräfte.<br />

Christentum, Buddhismus,<br />

Islam, forsche es nach, enthalten<br />

für Frauen lediglich den Opfergang,<br />

Abwaschen des ihnen zu ­<br />

geteilten Schmutzes, Schmutz<br />

des Geschlechtes, usw. Ihr Bedarf<br />

nach Göttlichen ist nichts<br />

weiter als Reinigung von den ihnen<br />

auferlegten Bürde des<br />

Weiblichen. Ac herrjeh, lies es<br />

nach. (Verzeih, es ist nicht persönlich)<br />

Vom weiblichen Inventar erhobener<br />

weiblicher Figuren<br />

bleibt zwischen der schrecklichen<br />

Nacht und der Jungfrau<br />

Maria ziemlich wenig erfreuliches.<br />

Jetzt mache ich einen gewagten<br />

Sprung; er führt mich<br />

von Longinus über Burke, Kant<br />

zu Schiller und selbstverständlich<br />

direkt in die Gegenwart, in<br />

der nach wie vor scheints die<br />

Zweipoligkeit schwelt und<br />

schwelt, nicht einmal befragt<br />

von Sirnone de Beauvoir, aber<br />

ein seltsames Potential an Restaurativem,<br />

womöglich mehr.<br />

Ich meine das Schöne und<br />

thos auch immer. Eine auf<br />

schöpferischer Vernunft gründende<br />

Aufklärung wüßte um<br />

diese Paradoxie des seiner<br />

selbst gewissen Menschen.<br />

Denn diese Gewißheit beruht<br />

gänzlich auf dem Mangel an aus<br />

sich selbst seiender Existenz.<br />

Fruchtbar wird diese Paradoxie<br />

in jenem kontextuellen Denken,<br />

das wie Adornos ' negative Dialektik'<br />

oder Benjamins 'Dialektik<br />

im Stillstand' einen Glutkern besitzt.<br />

Doch eben keinen theologischen<br />

mehr, sondern einen<br />

ökologischen (obwohl für Bateson<br />

persönlich diese Begriffe<br />

kaum einen Unterschied machten).<br />

in diesem Glutkern leuchtet<br />

die Utopie eines ästhetischen<br />

Zustands auf, derals Konvenienz<br />

bezeichenbar ist. Er ist das Muster,<br />

das alle Lebewesen verbindet.<br />

- in ihm scheuen sogar Engel<br />

sich aufzutreten.<br />

Torsten Meiffert, Harnburg<br />

Erhabene. Aus der Taufe gehoben,<br />

wie gesagt, vor 1700 Jahren<br />

und weiterhin Quelle vieler<br />

schrecklicher Dinge. Profane<br />

Fortsetzung des Mythos, da nun<br />

nicht mehr die Götter herrschen,<br />

sondern die .. erkannte Natur", in<br />

ihrer gewaltigen, überwältigenden<br />

Natur erhaben genannt. Der<br />

alte Mann und das Meer. Wrack<br />

im Eismeer. Mönch am Meer,<br />

ach so vieles. Überwältigende<br />

Massevon Gebirg, von Schlucht,<br />

Gewitter, Meer. Wärs anschaulich,<br />

dürfte man Tschernobyl dazuzählen.<br />

Aber es ist nicht zu sehen,<br />

zu fühlen, zu hören ... Die<br />

Kategorie hat sich ins Vorstellungsvermögen<br />

verkrochen,<br />

scheints.<br />

Aber gilt nicht, von Longinus<br />

bis heute, derselbe lnitiationsritus?<br />

Und das Schöne?<br />

Leicht zu erratende weibliche<br />

Komponente, Harmonie,<br />

mildernd eingeschoben, begütigend<br />

und ideal, nie zu erreichende<br />

Schönheit. Kategorie des<br />

Zwischen. Pause im Weltgeschehen.<br />

Ruhe der Erschöpften.<br />

Die Schönheitslinie von Hogarth<br />

wäre, ohne Zwischenfälle, ins<br />

Unendliche fortzusetzen.<br />

Und zum Schluß eine vage<br />

Erinnerung ans Dritte Reich. Das<br />

Schöne und das Erhabene. Kein<br />

Kommentar.<br />

Liebe Grüße U 'sula<br />

P.S. Ich habe nun wild an<br />

dich geschrieben, aber es meint<br />

dich nicht persönlich. Es ist meine<br />

Antwort aufeine Tendenz und<br />

du bist mein Ansprech.

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