Spur - Hochschule für bildende Künste Hamburg
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Joachirn Koch<br />
Die Poetik des Duftes<br />
Vor der Erfindung der Wirklichkeit<br />
regierte die Magie. Die Gestirne waren<br />
ihr Werkzeug, die vier Elemente ihre<br />
Heimat. Die Astrologie erinnert sich<br />
noch. Aus der alten arabischen Welt war<br />
sie gekommen, aus der alten arabischen<br />
Welt entstammt das Wort "Alchemie".<br />
Eine dreifacheSuche zeichnete sie aus:<br />
die Suche nach dem Stein der Weisen,<br />
die Suche nach der Erschaffung des Goldes<br />
und die Suche nach den Düften, dem<br />
Parfum. Was ist im Vergleich zu ihr die<br />
Chemie, was zählt das Periodensystem,<br />
gemessen an Erde, Wasser, Luft und<br />
Feuer. Von diesen vier Elementen laßt<br />
uns sprechen und so das Geheimnis der<br />
Düfte ergründen. Es zu erfahren wird<br />
der Wirklichkeit niemals mehr gelingen.<br />
Was von ihm blieb ist einzig die Poetik<br />
des Duftes.<br />
Der Duft geht durch die Lüfte. Nicht<br />
nur die Riten des Hinduismus wissen von<br />
diesem Medium. Ebenso der geweihte<br />
Rauch der Gotteshäuser, die Räucherstäbchen<br />
der Inder, die milchigen Schwaden<br />
des Opiums, des Mohns, desTabaks. Und<br />
sie wissen von den Räumen, die mit den<br />
Düften entstehen. Diese Räume sind intim<br />
wie der Duft selbst. Sie bilden eine Vertraulichkeit<br />
und beweisen dadurch, daß eine<br />
Gemeinschaft nicht unbedingt umgrenzender<br />
Mauern bedarf, sondern in selber<br />
Weise durch die Verwandlungdes Umfelds<br />
in ein Nichts sich versinnbildlichen kann. Es<br />
ist dies die andere Art einen Luftballon aufzublasen;<br />
ihn verknoten und seine Hülle einem<br />
Vakuum aussetzen. Ein Innen herstellen,<br />
indem das Außen inhaliert wird.<br />
Doch sind es nicht allein die Räume, die<br />
zum Einvernehmen fuhren. Die dreifache<br />
Suche der Alchimisten findet sich wieder in<br />
der Geschichte der drei Könige aus dem<br />
Morgenland, die dem Stern folgten, um seine<br />
Bedeutung zu erfahren. Weise seien sie<br />
gewesen, so heißt es, das Gold war ihre Gabe<br />
und das Rauchwerk. Weihrauch und<br />
Myrrhe. Das Feuer ist deshalb das zweite<br />
Element, das mit dem Duft einhergeht.<br />
Nicht nur den Mittelpunkt jenes uralten<br />
Kreises der Zusammengehörigkeit stellt es<br />
dar, dessen Geruch von verbrennendem<br />
52<br />
Holz und Harz sich niemand entziehen<br />
kann. Gleichfalls ist es der Mittler zwischen<br />
den Göttern und den Menschen. Sein erstes<br />
Vermögen ist es, die Menschen zu läutern<br />
und zu reinigen. Sein zweites aber den<br />
Göttern zu huldigen und mit seinem Duft<br />
ihrefeinen Sinne zu locken. Den nach oben<br />
steigenden Rauch der Brandopfer und Altäre<br />
wußten vor den christlichen bereits die<br />
hebräischen, griechischen und römischen<br />
Priester zu lesen. Und wo der Geruch den<br />
guten Mächten nicht genügt, da reicht er<br />
zumindest fur die Vertreibung der bösen,<br />
was die Mayas lange Zeit mit Erfolg unternahmen.<br />
Die Fähigkeit zu reinigen gehört jedoch<br />
nicht dem Feuer allein. Feuer und Wasser,<br />
die beiden Komplementäre, teilen sich diese<br />
Gunst. Allerdings ist das trockene Element<br />
jünger als das nasse.<br />
Daß das Wasser zuerst war, erkannten<br />
bereits die Babyionier und Ägypter. Daß<br />
das Wasser selbst die Geburt ist, denn alle<br />
Dinge sind aus ihm entstanden, hatte der älteste<br />
Philosoph der griechischen Geschichte-Thai<br />
es von Milet- herausgefunden.<br />
Daß das Feuer das Wasser zu verdunsten<br />
begann und dadurch die Erde entstand,<br />
wußte schließlich Anaximandros aus<br />
Milet im 6. Jahrhundert zu berichten. Die<br />
Unschuld, die mit dem Wasser einhergeht,<br />
ist noch heute uns geläufig. Der Geruch<br />
aber, der mit den Wassern kommt, ist eine<br />
archaische Erinnerung an den Anfang der<br />
Natur. Atme den Duft des Ozeans, die Blume<br />
eines sommerlichen Sees, den Regen,<br />
das Gewitter und die Stunde danach, atme<br />
den Ursprung, den ersten Schnee, den Fluß<br />
in einer Stadt, die Quelle in einer Wiese, das<br />
Moor. Erst das feuchte Element läßt die<br />
Düfte entfalten, erst das feuchte Element<br />
läßt unsere Schleimhäute empfinden. Und<br />
nichts an unserem Körper könnte duften,<br />
wenn nicht das Wasser es wäre, aus dem<br />
wir geformt sind. Blut, Schweiß und Tränen,<br />
was taufte den Menschen mehr als sie.<br />
Gleichwohl sind wir aus allen Elementen<br />
zusammengesetzt, so wie alle Dinge aus<br />
der unterschiedlichen Verbindung von<br />
Luft, Feuer, Wasser und Erde existieren.<br />
Vor mehr als 2400 Jahren hatte Empedokles<br />
aus Agrigent in Sizilien diese Einsicht<br />
gewonnen, ehe er seine Sandalen am Kraterrand<br />
des Ätna zurückgelassen und selbst<br />
fur immer im Feuer der Erdenmitte verschwand.<br />
Wie anders könnten wir sonst zur<br />
Erkenntnis gelangen, so lautete seine pantheistische<br />
Vision, die in den Göttern die<br />
Welt und in unserer Erde die Götter schaute,<br />
wenn nicht die Bausteine des Ganzen in<br />
uns wiederkehrten. In dieser Weise ist das<br />
irdische Element der Wiederspiegelung<br />
des göttlichen Bewußtseins zugeordnet,<br />
dessen Vollkommenheit den Duft der Lotusblüte<br />
ausstrahlt, was der Yoga lehrt.<br />
Zwei einander entgegengesetzte Eigenschaften<br />
sind es, die solches Duften auszeichnen.<br />
Einerseits die Konzentration, deren<br />
Unsichtbarkeit die ase als Essenz<br />
wahrnimmt - das Wesentliche; andererseits<br />
die Ausbreitung, wodurch das Wesentliche<br />
seinen Atem verströmt Vom Exhalieren<br />
ließe sich hier sprechen und damit<br />
neuerlich das Element der Luft wiederholen,<br />
von dem als Inhalieren die Rede war.<br />
Treffender kann die französische Sprache<br />
diese Poetik schreiben. Ihr Verb "exhaler"<br />
kennt sehr gut diese beiden Seiten des Duf-.<br />
tes. Sie verwendet es, um das Geheimnis einer<br />
Sache zum Ausdruck zu bringen, das<br />
über den Hauch sich mitteilt. Das Bild atmet<br />
aus-" Taus desparfumsdes orients"<br />
alle Düfte des Orients.<br />
Der Duft als Atem, als Hauch, als Lebenshauch,<br />
solche Geistigkeit ist keinem<br />
der funfSinne sonst zu eigen. Dem Sanskrit<br />
sind die Halbgötter Gandharva wohlvertraut,<br />
die sich vom Lebenshauch ernähren.<br />
Vielleicht ist Entsprechendes von den<br />
Pflanzen zu sagen. Und der zweite Schöpfungsbericht<br />
des Buches "Genesis" berichtet<br />
umgekehrt, wie Jahwe den Menschen<br />
als ein lebendiges Wesen schuf, indem er in<br />
seine ase einen Lebenshauch blies. Sie<br />
haben von ihm den Odem erhalten. Welch<br />
eine okkulte Verbindung zwischen dem<br />
Odem des alltestamentarischen Gottes, der<br />
das Leben gibt und ist, und dem Prana, das<br />
die Hindu-Yogis mit der Luft einatmen,<br />
weshalb sie überlieferten, Atem sei Leben.<br />
Was fur ein Geheimnis steckt hinter dem<br />
Wort "Od", was einst die Ausstrahlung des