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Spur - Hochschule für bildende Künste Hamburg

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ist asozial. "Die Kunst ist, per definitionem,<br />

eine asoziale Praxis." (Oliva)- Der Kulturarbeiter,<br />

der denen den gehörigen Elan<br />

vermitteln möchte, den es braucht, um im<br />

System von Schulen, Behörden, Arbeitsund<br />

Ausländerämtern, Drogen- und sonstigen<br />

Vollzugsanstalten, Moral und Sozialismus<br />

weiter- und überleben zu können -<br />

und das möglichst mit Genuß -,ein solcher<br />

Kulturarbeiter müßte seine Arbeit als eine<br />

asoziale begreifen. Dann könnte er sich von<br />

der Mitte des Rathausmarktes entfernen,<br />

sich zu den fließenden Rändern der unzähligen<br />

neuen Mitten begeben und dort -<br />

endlich - auf Menschen stoßen - Menschen,<br />

die system- und arbeitslos sind und<br />

grade dadurch Energie und Vitalität gewinnen<br />

(können/müssen), um existieren zu<br />

können, um das Geld fiir den Abend zusammenzukriegen,<br />

um beispielsweise die<br />

asozialen Notorischen Reflexe zu sehen/<br />

zu hören, um sich dem ZugriffBreschnews,<br />

der deutschen Fernsehanstalten oder des<br />

West-Berliner Polizeipräsidenten zu entziehen.<br />

Im Reich der Kulturherrschaft zeigen<br />

sich besorgte Mienen. Film- und Förderungsbürokratien,<br />

Redaktionen, Veranstalter<br />

der einschlägigen Festivals, Kinobetreiber<br />

und Programmreihenveranstalter verlieren<br />

die Subjekte aus den Augen und<br />

nirchten um die Zuständigkeiten. Experimentelles<br />

und Dokumentarisches flottiert<br />

durch die Medien und Kulturen, gestaltet<br />

sich als Film, Video, Performance, als Theater,<br />

Musik und Buch und als Ausdruckeiner<br />

als gemeinsamen empfundenen Lebensweise<br />

ebenso als Mode, als Lebensstil ("Styling")<br />

und als Aktion und Auftritt der Subjekte,<br />

die sich selbst um die Gestaltung der<br />

eigenen Expressivität kümmern. Einer von<br />

ihnen ist der Künstler, der Nachfahre des<br />

Kulturarbeiters oder der politische Kämpfer,<br />

der inzwischen die Kunst beherrscht,<br />

sich der diversen Medien zu bedienen, sich<br />

gleichzeitig im freundlichen und im feindlichen<br />

Lager zu bewegen, gar ein Weilchen<br />

in die Etappe des Feindes vorzudringen<br />

und wieder woanders zu sein, bevor die Erfassungsinstanzen<br />

reagieren können.<br />

Durch die Strategie der Beweglichkeit, der<br />

60<br />

Gleichzeitigkeit und der Verflüssigung -<br />

"Lyse" nannte Lyotard diese Operation -<br />

entzieht sich das Subjekt der Festschreibung.<br />

Gerade dadurch bleibt es Herr der Situation,<br />

eindeutig und unverfälscht - wieviel<br />

es auch mit Fälschungen, Fiktionen,<br />

Inszenierung, Akzeptanzforschung und -<br />

Dokumentarischem arbeitet. Die Musikgruppen,<br />

die Ausdruck der aktuellen Lebenskultur<br />

sind, können an den verschiedensten<br />

Fronten operieren. Die "Einstürzenden<br />

Neubauten" machten die Musik<br />

zum dritten Gorleben-Film der Wendländischen<br />

Filmcooperative, "Zwischenzeit",<br />

und verschmolzen Avantgarde- und Dokumentarfilm.<br />

Mit derselben Gruppe hat der<br />

japanische Filmregisseur Sogo Ishii ("Die<br />

Familie mit dem umgekehrten Düsenantrieb")<br />

einen Film gemacht- mit dem Titel<br />

der LP dieser Gruppe "Halber Mensch".<br />

Was zu sehen und zu hören ist, ist schlecht<br />

zu rubrizieren: ein SSminütiger Videoclip,<br />

ein reeller Film, Bildzutat zu einer Audioveranstaltung,<br />

in der es wesentlich auillolby-Stereo<br />

ankommt? Die leidigen Zuordnungsfragen<br />

ändern jedoch nichts daran,<br />

daß das visuelle Halber-Mensch-Produkt<br />

ebenso vehementer wie glücklicher Ausdruck<br />

einer Lebens- und Musikkultur ist,<br />

die mühelos zuläßt, ja gebietet, dasjenige<br />

der regionalen und nationalen Kulturen zusammenzubringen,<br />

das sich den Hierarchien<br />

der Kunst und Politik entzieht. Blixa<br />

Bargeld singt Deutschsprachiges - neben<br />

japanischen Bhutotänzern.<br />

Auch Peter Sempel bereitet es in seinem<br />

Psychoexperimentalsmusikfilm "Der<br />

Rabe" keine Schwierigkeit, die Musik -<br />

wieder sind es die Einstürzenden Neubauten-<br />

Edgar All an Poes Gedicht "Der Rabe"<br />

interpretieren zu lassen,- eine Aufgabe, die<br />

ebensogut der New Yorker Tänzer Yves<br />

Musard übernehmen kann.- Im Kulturbereich<br />

zeigt die Herrschaft erste Reaktionen.<br />

Die Duisburger Filmwoche, etabliertes Festival<br />

des langen Dokumentarfilms, eröffnete<br />

im vergangenen Herbst das Programm<br />

mit Klaus Telschers Avantgardefilm<br />

"Aus der alten Welt", der, als künstlerische<br />

Fiktion, die Erfahrung unserer Wirklichkeit<br />

dokumentiert. Und die Oberhausener<br />

Filmtage ölfueten dieses Jahr die Dokumentarfilmveranstaltung<br />

dem experimentellen<br />

Film. Die Medienwerkstatt Freiburg<br />

wird im Herbst dieses Jahres auf dem<br />

jährlichen Festival deutlicher als bisher den<br />

gleichen Weg beschreiten.<br />

Sagen wird, daß diese Entwicklung<br />

mittlerweile funf Jahre alt ist. Begonnen<br />

hatte sie 1981 mit der Initüerungdes "Infermental"<br />

-Magazins, des ersten internationalen<br />

Magazins aufVideokassetten, erschienen<br />

gleichzeitig (und damit programmatisch)<br />

in Budapest undWest-Berlin. Gäbor<br />

Bödy antwortete damals auf das, was sich<br />

überall in der Welt zu artikulieren begann,<br />

mit dem Programm, Medieninseln zu vernetzen<br />

und die gemeinsame internationale<br />

Bild- und Tonsprache der regionalen und<br />

nationalen, hierarchisch nicht-organisierten<br />

Kulturen zu finden. Heute liegt die runfte<br />

Ausgabe vor. Noch ist sie einigermaßen<br />

herrschaftsfrei, die Kultur vom Subjekt aus.

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