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Landesamt für Umwelt, Wasserwirtschaft und Gewerbeaufsicht

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Vortragsveranstaltungen der Jahre 2001 <strong>und</strong> 2002 Dialogforum Naturschutz 101<br />

nicht nur in Hafenstädten. 12 Die Neubewertung, Ästhetisierung <strong>und</strong> Inszenierung der städtischen Waterfront – das berühmteste<br />

Beispiel sind die Londoner Docklands – ist auch verb<strong>und</strong>en mit einem bewussten Bezug auf <strong>Umwelt</strong>qualität.<br />

Diese symbolische <strong>und</strong> soziale Aufwertung wurde allerdings erst dadurch ermöglicht, dass mit dem Ende der traditionellen<br />

Industriegesellschaft auch die Kloakisierung der offenen Stadtgewässer vorbei ist. Zugleich geht es weniger um eine<br />

ökologisch nachhaltige Gestaltung städtischer Räume, auch wenn dieses Argument gern in den Vordergr<strong>und</strong> gestellt<br />

wird. 13 Vielmehr erfolgen in diesen postmodernen Aufwertungsprojekten eine Instrumentalisierung <strong>und</strong> ein „In-Szene“-<br />

Setzen wohnungsnaher <strong>Umwelt</strong>qualität, um mit der Neu-, oft sogar Erstbesiedlung altindustrieller Standorte vor allem<br />

statushöhere Stadtbewohner zu halten oder neu anzuziehen. Unter dem Eindruck der jüngsten Hochwasserkatastrophe<br />

<strong>und</strong> einem wenigstens kurzzeitig gestiegenen öffentlichen Bewusstsein <strong>für</strong> diese Problematik ist es eine interessante<br />

Forschungsfrage, wie sich das Verhältnis zum „Wohnen am Wasser“ künftig entwickeln wird. Allerdings darf man in<br />

Bezug auf eine gr<strong>und</strong>legende Änderung durchaus skeptisch sein.<br />

Eine dritte – <strong>und</strong> meines Erachtens wichtigste – Verbindungslinie zwischen <strong>Umwelt</strong>qualität <strong>und</strong> Fragen der Stadtstruktur<br />

<strong>und</strong> des Wohnens ergibt sich aus einer bislang kaum systematisch untersuchten Erkenntnis der Segregationsforschung:<br />

dem regelmäßig nachweisbaren Zusammenhang zwischen sozialem Status <strong>und</strong> wohnungsnaher <strong>Umwelt</strong>qualität. Je größer<br />

die <strong>Umwelt</strong>belastungen oder ökologischen Defizite an einem Ort sind, desto niedriger ist der sozioökonomische Status<br />

des Gebietes. Wie bei anderen Dimensionen sozialräumlicher Ungleichheit (wie Einkommen oder Bildung) ist dieser<br />

Zusammenhang am ehesten an den Extremen des Statuskontinuums <strong>und</strong> großräumig nachweisbar: Armut, schlechte<br />

Wohnbedingungen <strong>und</strong> niedrige <strong>Umwelt</strong>qualität hängen demnach ebenso zusammen wie Reichtum <strong>und</strong> ökologisch wie<br />

baulich bevorteilter Villenvorort. Zur Erklärung ist darauf zu verweisen, dass <strong>Umwelt</strong> – also vor allem unbebautes <strong>und</strong><br />

nichtkontaminiertes Land, Grün, frische Luft <strong>und</strong> natürliche Belichtung – im Prozess der Industrialisierung <strong>und</strong> Urbanisierung<br />

seit dem frühen 19. Jahrh<strong>und</strong>ert zunehmend zu einem knappen städtischen Gut wurde, in der Wertschätzung stieg<br />

<strong>und</strong> sich verteuerte. Abgesehen von einzelnen sozialpolitischen Interventionen (wie Volksparks oder der Kleingartenbewegung)<br />

entwickelte sich die individuelle Verfügungsmacht über hohe <strong>Umwelt</strong>qualität somit gerade in den Städten zu<br />

einer zusätzlichen Dimension sozialer <strong>und</strong> sozialräumlicher Ungleichheit: Als privates Eigentum blieb Grün den besitzenden<br />

Schichten vorbehalten – <strong>und</strong> auch öffentliche Grünstrukturen sind nur scheinbar „demokratisch“, verteilen sich<br />

doch in vielen Städten diese Freiflächen nicht gleichmäßig über den städtischen Raum, sondern ihr Vorhandensein fällt<br />

regelmäßig mit einer repräsentativen Wohnbebauung <strong>und</strong> einem mittleren bis hohen sozialen Status der angrenzenden<br />

Quartiere zusammen. 14 Insbesondere während der Industrialisierungsphase galt dieser Zusammenhang auch <strong>für</strong> Emissionsbelastungen,<br />

doch entstanden mit der starken Zunahme der Verkehrsströme im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert auch Lärm- <strong>und</strong> Luftbelastungen,<br />

die sich nicht an soziale Grenzen im Stadtraum halten 15 – ein wesentlicher Gr<strong>und</strong> <strong>für</strong> immer wieder neu<br />

entstehende Bürgerinitiativen gegen Straßen- <strong>und</strong> Flughafenausbau bzw. <strong>für</strong> Geschwindigkeits- <strong>und</strong> Lärmbegrenzungen.<br />

3. <strong>Umwelt</strong>qualität <strong>und</strong> Wohnen in Leipzig: die Ausgangssituation 1990<br />

Um die gegenwärtige Debatte um einen auch ökologisch orientierten Stadtumbau in Ostdeutschland – <strong>und</strong> im Fall der<br />

hier dargestellten Ergebnisse: in Leipzig – zu verstehen, ist eine Rückblende auf die Situation zu Beginn der städtischen<br />

Transformation nötig.<br />

Wie die gesamte mitteldeutsche Region präsentierte sich auch die Stadt Leipzig 1989, nach mehr als 100 Jahren Industrialisierung<br />

<strong>und</strong> damit verb<strong>und</strong>ener Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, in einem Zustand hochgradiger Gefährdung.<br />

Bergbau, Chemische Industrie, Schwermaschinenbau <strong>und</strong> andere traditionelle, ressourcenextensive Industrien hatten in<br />

der Stadt <strong>und</strong> der Region ihre Spuren hinterlassen. Zugleich bedurften drei Viertel des Leipziger Wohnungsbestandes<br />

dringend der Erneuerung, tausende Wohngebäude waren ruinös. 1987 hatte eine städtebauliche Problemanalyse durch<br />

das Büro des Leipziger Chefarchitekten unter anderem in einem „Szenario einer sterbenden Stadt“ gegipfelt. 16 Anders<br />

formuliert: Leipzig galt in der DDR am Ende der 80er Jahre als Sinnbild <strong>für</strong> den „Verfall einer Zeit“ schlechthin. 17<br />

12 Vgl. zusammenfassend die Beiträge in Hoyle u. a. (Hg.) 1988 sowie Schubert (Hg.) 2001.<br />

13 Für eine allgemeinere Diskussion der Einbindung von Natur- <strong>und</strong> <strong>Umwelt</strong>bezügen in aktuelle Stadtentwicklungsdiskurse vgl. Graham, Keil 1997, bes. S. 572–576.<br />

14 Vgl. Gleichmann 1963, bes. S. 8, 73f.; Jarre 1975, S. 74–76; Gröning 2000; Kabisch u. a. 2001.<br />

15 Vgl. Lob 1977; Kabisch u. a. 2001.<br />

16 Reuther 1997, S. 605; vgl. auch Kahl 1991, S. 71.<br />

17 Vgl. das gleichnamige Buch von Heiduczek u. a. 1992. Der Leipziger Schriftsteller beschrieb seine Beziehung zu Leipzig in diesem Buch wie folgt: „Ich liebe Leipzig nicht, ich hasse<br />

es nicht. Ich könnte fortgehen, <strong>und</strong> es würde in mir nichts sein, keine Wehmut, keine Freude. [...] Schlimmeres kann man über eine Stadt nicht sagen, nachdem man zwanzig Jahre mit ihr<br />

<strong>und</strong> in ihr gelebt hat“ (ebd., S. 5).<br />

<strong>Landesamt</strong> <strong>für</strong> <strong>Umwelt</strong>, <strong>Wasserwirtschaft</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewerbeaufsicht</strong>

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