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Landesamt für Umwelt, Wasserwirtschaft und Gewerbeaufsicht

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Dialogforum Naturschutz Vortragsveranstaltungen der Jahre 2001 <strong>und</strong> 2002<br />

intakter traditioneller Kulturlandschaft <strong>und</strong> intaktem Naturhaushalt widersprechen (vgl. Muhar 1995, Häpke 1990a,<br />

1990b, 1990c, Konold 1998).<br />

Sieferles Interpretation, die Differenz in der Wahrnehmung von traditionellen agrarischen <strong>und</strong> industriellen Nutzungen<br />

erkläre sich damit, dass die in den Landschaftsgemälden dargestellten Eingriffe der Agri-Kulturlandschaft sich den lokalen<br />

Umständen anpassten <strong>und</strong> sich langsam vollzogen, ist somit eine schon sehr säkularisierte Sichtweise, die sich auf<br />

Bearbeitungsmethoden der Bauern in realen Landschaften <strong>und</strong> damit auf reale funktionale Anpassungsverhältnisse bezieht.<br />

Durch diese Anpassung sei eine immense Vielfalt der Landschaftsstrukturen, Baustile etc. entstanden, die sich zwei<br />

unterschiedlichen, der Agrargesellschaft inhärenten Prozessen verdanke: „Es handelt sich um die dezentrale, kleinräumige<br />

Adaption an <strong>Umwelt</strong>bedingungen sowie um die Autopoiesis lokaler Kulturen bei Abwesenheit großräumigen <strong>und</strong><br />

raschen Informationsflusses“ (ebd.). Denn die Agrargesellschaften seien nicht sonderlich mobil gewesen, weil Energie<br />

knapp <strong>und</strong> Transporte kostspielig gewesen seien, was zwangsläufig die Nutzung der lokalen Ressourcen zur Folge gehabt<br />

habe. Durch den schwachen <strong>und</strong> langsamen Informationsfluss sei wiederum die Herausbildung lokaler Kulturen gefördert<br />

worden. Bemerkenswert ist aber, dass die Eigenart dieser Kulturen von Sieferle nicht allein als Ergebnis eines funktionalen<br />

Anpassungsverhältnisses interpretiert wird: „In einer dezentralen, wenig mobilen Gesellschaft verläuft die<br />

Kommunikation in kurzen Rekursionsschlaufen, so dass sich immer wieder Plausibilitäten aufschaukeln können, die sich<br />

zu speziellen Weltbildern, zu Traditionen <strong>und</strong> Stilen verfestigen. Diese formalen Gestalten können sich recht unabhängig<br />

von den adaptiven Bedingungen bilden; es handelt sich gewissermaßen um die spontane Selbsterzeugung der jeweiligen<br />

kulturellen Einheit, die nur in Elementen der Elitenkultur überregionale Reichweite gewinnt“ (ebd., 159; Hervorhebung<br />

durch den Autor). Auf diese Reichhaltigkeit <strong>und</strong> Autonomie von Kulturen, die nicht allein durch die Anpassung an den<br />

Naturhaushalt entstehen, wird noch zurückgekommen.<br />

Diese Agrargesellschaften verdankten nach Sieferle ihre Geschlossenheit vor allem der Wirkung der Tradition, die <strong>für</strong><br />

eine evolutionäre Trägheit sorgte <strong>und</strong> deren erscheinende Oberfläche als stilistische Geschlossenheit erfahren werden<br />

konnte (ebd.). Daher hätten die Agri-Kulturlandschaften ein harmonisch wirkendes Bild geboten. „Diese Landschaften<br />

sind von hoher Besonderheit <strong>und</strong> Geschlossenheit, weil sie nicht universal sind. Daher können Fremdkörper rasch identifiziert<br />

werden, also Stilelemente, die aus anderen Kontexten in sie hinein gebracht wurden“ (ebd.; Hervorhebung durch<br />

den Verfasser). Die ländliche Eindeutigkeit, die sich in einer spezifischen räumlichen <strong>und</strong> kulturellen Eigenart <strong>und</strong> Vielfalt<br />

äußert, bietet Orientierung <strong>und</strong> ist somit sinnstiftend. Sie scheint in moderner Sichtweise eine in der Landschaft erkennbare<br />

‚ökologische‘ Ordnung der Welt zu repräsentieren. Diese Ordnung wird mit der Industrialisierung aufgelöst.<br />

3. Die Entstehung der Industrielandschaft<br />

Industrielle Nutzungen <strong>und</strong> Artefakte entstammen aus einem völlig anderen Kontext als die ländlichen. Sie sind Repräsentanten<br />

der in den Weltmarkt <strong>und</strong> nicht in die lokale Ökonomie eingeb<strong>und</strong>enen universellen Industrie. Für die Auflösung<br />

der alten landschaftlichen Eigenart <strong>und</strong> Vielfalt war nach Sieferle vor allem die beschleunigte Mobilisierung von<br />

Stoffen <strong>und</strong> Materialien die Ursache. „Es bahnte sich eine neuartige Vereinfachung <strong>und</strong> Standardisierung der Landschaft<br />

an“ (ebd., 160), die z. B. in Gestalt der Flurbereinigung der Auslöser <strong>für</strong> den Heimatschutz war. Die Selbstgenügsamkeit<br />

des Handwerks hätte sich aufgelöst, während die lokalen Traditionen ins Folkloristische abgedrängt worden seien, was<br />

aber von den Konsumenten durchaus als eine Steigerung der praktischen Standards empf<strong>und</strong>en worden sei (ebd.).<br />

Die industriellen Nutzungen stören nicht nur die Geschlossenheit des alten Bildes, das sich in einer Gesellschaft aufgebaut<br />

hat, die nach völlig anderen Prinzipien organisiert war, sondern die mit der Industrialisierung verb<strong>und</strong>enen Prinzipien<br />

werden <strong>für</strong> die Zerstörung des traditionellen Sinns verantwortlich gemacht. Aus diesem Gr<strong>und</strong> wird in der konservativen<br />

Zivilisationskritik die alte Form der Agri-Kultur von der technischen Zivilisation unterschieden <strong>und</strong> die alte, feudale<br />

gegen die neue, moderne Ordnung ins Feld geführt. Die vorindustrielle Kulturlandschaft gilt als Ausdruck intakter, d.<br />

h. sinnvoller <strong>und</strong> ökologisch nachhaltiger, d. h. in vollem Umfang ‚ges<strong>und</strong>er‘ Lebensverhältnisse.<br />

Besonders rapide <strong>und</strong> offensichtlich sei der Uniformierungsprozess im Bauwesen gewesen, wo neue Materialien die<br />

lokalen ablösten. „Die Gebäude emanzipierten sich vom Ort, an welchem sie errichtet wurden. Damit wurde aber ein<br />

wichtiges Element der überkommenen Kulturlandschaft gesprengt. Es entstand allmählich ein neuartiger Landschaftstypus,<br />

der sich im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert rapide über die gesamte Erde ausbreitete <strong>und</strong> der als ‚totale Landschaft‘ bezeichnet werden<br />

kann“ (ebd., 162).<br />

Der Begriff „totale Landschaft“ bezeichnet also die flächendeckende Industrielandschaft <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> der zentralen<br />

Bedeutung, die der Baukultur in diesem Prozess zukommt, verw<strong>und</strong>ert es nicht, dass sich der Naturschutz in seinen Anfängen<br />

als Heimatschutz maßgeblich in der Architekturkritik formierte (vgl. Körner & Trepl 2001). Der Versuch des<br />

<strong>Landesamt</strong> <strong>für</strong> <strong>Umwelt</strong>, <strong>Wasserwirtschaft</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewerbeaufsicht</strong>

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