28.04.2014 Aufrufe

Landesamt für Umwelt, Wasserwirtschaft und Gewerbeaufsicht

Landesamt für Umwelt, Wasserwirtschaft und Gewerbeaufsicht

Landesamt für Umwelt, Wasserwirtschaft und Gewerbeaufsicht

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

78<br />

Dialogforum Naturschutz Vortragsveranstaltungen der Jahre 2001 <strong>und</strong> 2002<br />

im Kinderspiel. Es wird jedoch nicht ausgeführt, in welchen Qualitäten der Erlebniswert von Natur konkret besteht (vgl.<br />

Finke 2002, 9 f.).<br />

Diese biologistische Sichtweise ist kein beliebiger Einzelfall. Im Folgenden soll vorwiegend anhand der Ausführungen<br />

von Buchwald im Kommentarteil der Grünen Charta von der Mainau gezeigt werden, dass dieses Verständnis des Menschen<br />

als „Leitart“ in ein Denkmuster eingebettet ist, das gerade <strong>für</strong> die Verdrängung kulturell bestimmter Qualitäten aus<br />

dem Wahrnehmungshorizont des Naturschutzes verantwortlich ist, weil Lebenssinn in der Herstellung ‚ges<strong>und</strong>er‘ Lebensverhältnisse<br />

durch die funktionale Anpassung der Kultur an die Natur gesucht wird. Dieser Verdrängungsprozess ist<br />

eingebettet in die Verwissenschaftlichung des Naturschutzes nach dem Zweiten Weltkrieg, die maßgeblich von Buchwald<br />

forciert wurde. Der Naturschutz sollte nach dem Krieg angesichts der neuen Legitimationszwänge in einer Demokratie<br />

auf eine sachliche Gr<strong>und</strong>lage gestellt werden, die man vor allem in der Ökologie als Naturwissenschaft als gegeben<br />

ansah. Der dabei zur Anwendung kommende Ökologiebegriff war jedoch zum einen eminent von konservativzivilisationskritischen<br />

Werten geprägt, indem auf die heute in der Ökologie verworfene Superorganismustheorie zurückgegriffen<br />

wurde. Zum anderen führte das neue Aufgabenverständnis dazu, dass man davon ausging, dass sich Kultur<br />

funktional durch die Anpassung an die Tragfähigkeit des Naturhaushaltes herstellt; der Charakter der Kultur als autopoetisches<br />

System wurde also negiert. Daher schien eine eigene Beschäftigung mit kulturellen Fragen des Naturschutzes<br />

überflüssig zu sein <strong>und</strong> damit auch eine Weiterentwicklung der gestalterischen Praxis des ehemaligen Heimatschutzes als<br />

einer funktionalistisch-künstlerischen Aufgabenstellung, wie sie Schoenichen als Naturschutz im weiteren Sinne definiert<br />

hatte. Es ging nun nicht mehr um die Vervollkommnung der Natur nach menschlichen Zwecksetzungen, sondern – entsprechend<br />

dem von Schoenichen als Naturschutzverständnis im engeren Sinne bezeichneten Aufgabenverständnis – um<br />

den Schutz einer vom Menschen möglichst unangetasteten Natur (vgl. Schoenichen 1942, 32 f.). Die in diesem Sinne<br />

intakte Natur galt als Gr<strong>und</strong>lage menschlichen Überlebens, wobei der Begriff der Ges<strong>und</strong>heit zwischen dem Schutz intakter<br />

Naturhaushaltsfunktionen <strong>und</strong> intakter menschlicher Gemeinschaft vermittelte. Ges<strong>und</strong>heit wird somit zum<br />

Schlüsselbegriff einer sinnvollen Kulturentwicklung. Aufgr<strong>und</strong> des heutigen Kenntnisstandes in der Ökologie <strong>und</strong> in der<br />

Kulturgeschichte des Naturschutzes sowie aufgr<strong>und</strong> der neuartigen Aufgaben, die sich mit der Gestaltung suburbaner<br />

Räume stellen, erweist sich dieses Verständnis von Natur <strong>und</strong> Gesellschaft aber als problematisch.<br />

5. Ges<strong>und</strong>heit als Maßstab kultureller Entwicklung<br />

Buchwald erhoffte sich von der Ökologie als Naturwissenschaft wieder ein rational zwingendes Maß, an dem sich die als<br />

chaotisch empf<strong>und</strong>ene gesellschaftliche Entwicklung wieder ausrichten konnte. Präzise diagnostiziert er unbestreitbare<br />

Defizite <strong>und</strong> Gefahren des industriell-urbanen Modernisierungsprozesses. Die Bewertung dieses Prozesses erfolgte aber<br />

vor dem Hintergr<strong>und</strong> des konservativ-zivilisationskritischen Weltbildes, das in Verbindung mit dem organizistischen<br />

Ökologiebegriff den Menschen – obwohl er auch als geistiges Wesen beschrieben wird – überwiegend als Naturwesen, d.<br />

h. letztlich als biologischen Körper, der ges<strong>und</strong> zu erhalten ist, betrachtet (vgl. zum Folgenden ausführlich Körner 2001,<br />

99 ff.). Ges<strong>und</strong>heit ist in diesem Kontext aber nicht nur ein medizinischer Begriff, sondern vielmehr ein Begriff, der den<br />

richtigen Lebenssinn mit einschließt. Gemäß dem konservativen Weltbild hat sich letztlich der Mensch in das „Naturganze“<br />

(Buchwald 1961, 22) einzuordnen. Deutlich wird diese antimoderne zivilisationskritische Haltung, wenn er nach<br />

einer Beschreibung der krankmachenden städtischen Lebensumstände ausführt: „Schließlich muss als belastendes Element<br />

die Vereinsamung des modernen Menschen inmitten der Großstadtmasse, das Fehlen natürlicher Kontakte <strong>und</strong><br />

organischer Gemeinschaftsbindungen sowie helfender Ordnungen in Familie, Nachbarschaft <strong>und</strong> Gemeinde, der Mangel<br />

jedes Gefühls der Geborgenheit angesehen werden“ (ebd., 24).<br />

Es ist unbestritten, dass die Anonymität der Großstadt ein Problem darstellen kann, ebenso unbestritten ist, dass die Familie<br />

im Idealfall ein Hort der Geborgenheit sein kann. Aber die Kritik an der städtischen Massengesellschaft <strong>und</strong> die im<br />

Gegenzug eingeführte Notwendigkeit „organischer Gemeinschaftsbindungen“, d. h. die Einordnung des Individuums in<br />

vorgegebene, quasi natürliche Gemeinschaften, wie eben in die Familie, die Nachbarschaft <strong>und</strong> die vorzugsweise ländliche<br />

Gemeinde, aber auch in den organischen Staat ist ein typisch konservatives Denkmuster (vgl. Sieferle 1984, 155 ff.,<br />

vgl. auch Mannheim 1927, Greiffenhagen 1986). Es richtet sich letztendlich nicht nur gegen die moderne Massengesellschaft,<br />

sondern im Besonderen auch gegen ‚verantwortungslose‘ individuelle Emanzipation <strong>und</strong> ‚gleichmacherische‘<br />

Demokratisierung. Beiden wird vorgeworfen, Verantwortung, die sich innerhalb der ‚natürlich-organischen‘ Bindungen<br />

ergibt, aufzulösen. Schon Rudorff hatte daher das ‚selbstsüchtige‘ Abwandern der Mägde <strong>und</strong> Knechte in die Stadt kritisiert,<br />

die lieber individuellen Nutzen <strong>und</strong> Freiheit suchen, als ihren Dienst am hierarchisch geordneten Ganzen, das durch<br />

die patriarchale Landgesellschaft repräsentiert wurde, zu leisten ( Rudorff 1897, 45 f.).<br />

Die traditionelle Kulturlandschaft war also nicht nur Ausdruck der oft engen Traditionen der alten Agrargesellschaft,<br />

sondern sie wurde aus diesem Gr<strong>und</strong> auch von der konservativen Zivilisationskritik zum Symbol der Kritik an der Mo-<br />

<strong>Landesamt</strong> <strong>für</strong> <strong>Umwelt</strong>, <strong>Wasserwirtschaft</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewerbeaufsicht</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!