28.04.2014 Aufrufe

Landesamt für Umwelt, Wasserwirtschaft und Gewerbeaufsicht

Landesamt für Umwelt, Wasserwirtschaft und Gewerbeaufsicht

Landesamt für Umwelt, Wasserwirtschaft und Gewerbeaufsicht

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Vortragsveranstaltungen der Jahre 2001 <strong>und</strong> 2002 Dialogforum Naturschutz 95<br />

Das Örtliche bleibt zwar unentbehrlich als Gr<strong>und</strong>lage des täglichen Lebens <strong>und</strong> als ‚Basislager‘ der Fernbeziehungen,<br />

aber es wird selber häufig nur noch durch eher schwache soziale Kräfte zusammengehalten. Diese eher schwachen sozialen<br />

Bindungen haben auch Vorteile: Sie machen sozial <strong>und</strong> professionell beweglich – wobei die Defizite solcher sozialen<br />

Beweglichkeit natürlich insbesondere in schwierigen Lebenslagen, in denen man auf verlässliche <strong>und</strong> belastbare existentielle<br />

Solidarität angewiesen ist, sehr schwer wiegen können!<br />

Eine solche Entwicklung kann zu „Orten ohne Gemeinschaft <strong>und</strong> zu Kulturen ohne Orte“ führen, ohne dass dies so ohne<br />

weiteres kulturpessimistisch zu beurteilen wäre (Albrow: Auf Reisen jenseits der Heimat, soziale Landschaften in einer<br />

globalen Stadt, 1997). Denn anstelle des Ortes oder definierter Räume kann so etwas wie eine ‚sozio-kulturelle Sphäre‘<br />

treten, die räumlich <strong>und</strong> örtlich nicht fixierbar ist <strong>und</strong> verschiebbar bleibt, aber trotzdem von entscheidendem soziokulturellem<br />

Wert <strong>für</strong> den Einzelnen ist.<br />

Das Örtliche selbst ist heute immer schon ‚infiziert‘ vom Unräumlichen der ‚Sphäre‘, das Örtliche tritt in ‚reiner Form‘<br />

fast nur noch als gewolltes Kulturprodukt auf: z. B. als ‚Stabilitas Locis‘ in den Mönchsregeln, als Ferienhaus mit bewusst<br />

reduzierter Weltverknüpfung, als kulturelle ‚Aura‘ von ‚Heiligen Orten‘. Es ist eine offene Frage, inwieweit es<br />

gelingen kann, in der Zwischenstadt neben den mit historischer Aura aufgeladenen alten Orten auch neue Orte, im traditionellen<br />

Sinne symbolisch wirksame Orte zu schaffen. Ich persönlich halte dies <strong>für</strong> eine existentielle Notwendigkeit: je<br />

globaler unser Leben bestimmt ist, desto notwendiger bedürfen wir der stabilen Orte – <strong>für</strong> die Kinder, <strong>für</strong> Familien, als<br />

Erfahrung der Sinne, <strong>für</strong> den Umgang mit den wirklichen Dingen <strong>und</strong> <strong>für</strong> das Entstehen von Solidarität.<br />

Denn nicht nur wegen anthropologischer <strong>und</strong> kultureller Qualitäten scheint mir die Vitalität des Örtlichen unverzichtbar.<br />

Es ist ja nicht gerade unwahrscheinlich, dass die global organisierte Wirtschaft in schwere Krisen gerät <strong>und</strong> das tägliche<br />

Leben sich wieder verstärkt auf örtliche Wirtschaftskreisläufe <strong>und</strong> Nachbarschaftshilfen verlassen muss, <strong>und</strong> das wird nur<br />

funktionieren, wenn gesellschaftliche Nahbeziehungen mit ökonomischen Gr<strong>und</strong>funktionen gepflegt <strong>und</strong> erhalten werden<br />

<strong>und</strong> darüber hinaus auch eine symbolische Ortsbezogenheit bleibt.<br />

8. Die Bedeutung des Anarchischen als Gegenwelt des beherrschten Raums<br />

Wie schon eingangs (siehe 2. Kapitel) angedeutet, hat mein Interesse am ungeplanten, anarchischen Teil der Stadt schon<br />

in den sechziger Jahren begonnen, als wir mit Studenten in Berlin mitten im Umbruch der Universitäten die alten Schrebergarten-Kolonien,<br />

die Dauer-Campingplätze an den Seen <strong>und</strong> die Ruinenselbstausbauten in Kreuzberg als letzte Beispiele<br />

von räumlicher Selbstorganisation <strong>und</strong> einer ‚Architektur ohne Architekten‘ in unserer durchverwalteten Gesellschaft<br />

entdeckt haben <strong>und</strong> als „Selbstausdruck des Volkes“, unverkrüppelt durch bürokratenherrliche Bevorm<strong>und</strong>ung,<br />

untersucht haben. Aber so richtig die Augen geöffnet <strong>für</strong> diese Seite der Stadt hat mir erst mein Sohn Boris mit seinen<br />

präzise vorbereiteten Führungen durch die wilden Peripherien von Köln, durch das Ruhrgebiet <strong>und</strong> durch Teile der alten<br />

Banlieu von Paris als „den letzten Wildnissen unserer Zeit“ zwischen der gezähmten Stadt <strong>und</strong> dem gezähmten Land.<br />

Dabei habe ich gelernt: Wichtige Teile der Zwischenstadt können auch als ‚Wilder Westen‘ <strong>und</strong> als ‚New Frontier‘ gelesen<br />

werden, als Raum also, in dem auch Platz <strong>und</strong> Ort <strong>für</strong> unangepasste Lebensweisen ist. Als Räume erhöhter Toleranz<br />

also, in denen auch das Neue, das Experiment entstehen kann, mit einer gewissen Unempfindlichkeit gegen Schmutz <strong>und</strong><br />

gegen Unordnung. In jeder Gesellschaft gibt es solche anarchischen Gegenwelten zum beherrschten, geordneten Raum,<br />

offenbar sind sie notwendig: Räumliche Anarchie beginnt ja bei den meisten von uns schon unter der Kellertreppe, im<br />

Keller <strong>und</strong> auf dem Dachboden! Früher hat die Peripherie, die sich mit dem Wachstum der Stadt immer weiter nach außen<br />

schob, Raum <strong>für</strong> Anarchisches geboten. Dieses ‚Außen‘ gibt es in der großen Agglomeration nicht mehr: Die Zwischenstadt<br />

müsste deswegen die anarchischen Räume in ihrem Gefüge aufnehmen <strong>und</strong> man müsste diese Bereiche durch<br />

‚Nichtbeachtung‘ in Form von Planungsverweigerung schützen, ja, man müsste auch da<strong>für</strong> sorgen, dass neue ‚New Frontiers‘<br />

entstehen, als Experimentierfelder <strong>für</strong> gesellschaftliche, künstlerische <strong>und</strong> technische Versuche. Hierzu würde es<br />

erleichterter ökonomischer Bedingungen <strong>und</strong> einer verringerten Regelungs- <strong>und</strong> Kontrolldichte bedürfen.<br />

In der Praxis steht eine solche Deutung <strong>und</strong> Erkenntnis, wie wir alle wissen, ‚quer‘ zu allen konventionellen Prinzipien<br />

der Planung <strong>und</strong> der Ökonomie eines geordneten Gemeinwesens: Das Anarchische wird geduldet nur noch in Form von<br />

Resten einer historisch auslaufenden ökonomischen Phase, als Übergangsphänomen zwischen zwei Nutzungs- <strong>und</strong> Siedlungszuständen<br />

oder als ein zumindest zeitweise ‚vergessenes‘ ökonomisches Potential.<br />

In derartigen Restformen könnte das Anarchische zumindest toleriert <strong>und</strong> zugelassen werden: Die New Frontier als zeitlich-räumliches<br />

Übergangsphänomen unterschiedlicher Dauer, als ein Phänomen, das immer wieder neu entsteht, sich<br />

entweder verfestigt oder vergeht; das abgelöst wird durch anderes <strong>und</strong> vielleicht weiter wandert. Das Paradox der<br />

<strong>Landesamt</strong> <strong>für</strong> <strong>Umwelt</strong>, <strong>Wasserwirtschaft</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewerbeaufsicht</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!