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Landesamt für Umwelt, Wasserwirtschaft und Gewerbeaufsicht

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Dialogforum Naturschutz Vortragsveranstaltungen der Jahre 2001 <strong>und</strong> 2002<br />

räume, sondern Räume mit etwas weniger Bebauung, Wälder keine Wälder, sondern ein zusammenhangsloses Mosaik<br />

von Anpflanzungen, ein gestaltloses „grünes Gebräu“ (Ganser 1995, 448).<br />

Die Gestaltungsbemühungen im Zuge der IBA-Emscher bestanden daher vorrangig darin, in dem zusammenhangslos<br />

wirkenden Mosaik <strong>und</strong> dem „grünen Gebräu“ etwas Besonderes aufzuspüren <strong>und</strong> gestalterisch hervorzuheben, d. h. ihm<br />

Charakter <strong>und</strong> Eigenart zu verleihen. Das war ein insofern anspruchsvolles Unterfangen, als erstens dem „Gebräu“ nicht<br />

so ohne weiteres ein eindeutiger Charakter abzulesen war <strong>und</strong> zweitens – <strong>und</strong> das ist viel wesentlicher – die im Ruhrgebiet<br />

raumprägende Schwerindustrie traditionell als das Gegenteil von Eigenart, d. h. einer historisch gewachsenen spezifischen<br />

Ortsgeb<strong>und</strong>enheit von Kultur <strong>und</strong> Natur in einem bestimmten landschaftlichen Raum galt. Denn die Industrie<br />

gehorcht universellen Prinzipien <strong>und</strong> löst damit die traditionelle kulturlandschaftliche Eigenart auf. Insofern war es schon<br />

eine nahezu geniale Wendung, gerade in den Artefakten der Industrie als das Besondere des Ruhrgebiets eine weitere<br />

landschaftliche Kulturschicht zu entdecken (vgl. ebd.). Das hatte aber zur Voraussetzung, dass die alte Schwerindustrie<br />

im Zuge des Strukturwandels historisch zu etwas Vergangenem, Unwiederbringlichem <strong>und</strong> Einzigartigem wurde. Denn<br />

erst dann konnte trivialerweise eine Geschichte gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> ein – wie ehemals bei der Entdeckung der Landschaft<br />

durch die Auflösung feudaler <strong>und</strong> bäuerlicher Strukturen – von Alltagszwängen entlastetes, ästhetisches Verhältnis zu<br />

diesen Artefakten aufgebaut werden.<br />

Im achtsamen Umgang auch mit der neueren Geschichte des Raums lag damit der Kern der Entdeckung eines neuen<br />

Genius loci. Auf die Bedeutung der Geschichte <strong>für</strong> die kulturelle Interpretation von Natur verweist Ganser, wenn er betont,<br />

dass es Zeit brauche, damit kulturelle Wertmaßstäbe wachsen könnten (ebd., 449), so dass man während des Prozesses<br />

des Strukturwandels durch symbolische Projekte, also durch Kunstprojekte <strong>und</strong> Landschaftsgestaltung der besonderen<br />

Geschichte in der öffentlichen Meinung Achtung verschaffen müsse. Allerdings besteht ein wesentlicher Unterschied<br />

zwischen dem Ruhrgebiet <strong>und</strong> suburbanen Räumen: Die Hinterlassenschaften der Schwerindustrie im Ruhrgebiet sind<br />

historisch geworden <strong>und</strong> das ist die Gr<strong>und</strong>lage, um in ihnen eine Eigenart aufzuspüren, während die suburbanen Räume<br />

Resultat unserer heutigen Vergesellschaftung <strong>und</strong> Produktionsformen sind. Ihren Genius loci wird man – wenn es denn<br />

einen zu finden gibt – nicht allein historisch ableiten können. Mit anderen Worten: Im Ruhrgebiet wurde das inszeniert,<br />

was geblieben ist, während die suburbanen Räume, wenn man sie als „totale Landschaften“ im Sinne Sieferles auffasst,<br />

gerade dadurch gekennzeichnet sind, dass in ihnen – zumindest vordergründig betrachtet – nichts bleibt, weil das einzige<br />

Konstante der Wandel ist.<br />

Das Besondere wurde im Ruhrgebiet nun also dadurch aufgef<strong>und</strong>en, dass man nunmehr die eigene Geschichte als etwas<br />

Individuelles entdeckte <strong>und</strong> durch Gestaltung ihre Spuren lesbar machte sowie auratische Orte im „Gebräu“ schaffte. Der<br />

spezielle Beitrag des Naturschutzes <strong>und</strong> der Landschaftsgestaltung bestand maßgeblich darin, dass die Besonderheit der<br />

städtisch-industriellen Natur, d. h. die ästhetisch reizvolle Artenvielfalt der Spontannatur auf den Brachen, als Beitrag zu<br />

dieser Aura herausgearbeitet wurde. Das geschah auch andernorts, wie etwa auf dem Südgelände in Berlin. Die städtische<br />

Natur spielt hierbei insofern eine spezifische Rolle, als sie zum einen den instabilen, spezifisch städtischen Bedingungen<br />

angepasst ist <strong>und</strong> damit gewissermaßen die dynamischen Lebensverhältnisse in der Stadt <strong>und</strong> in der „totalen Landschaft“<br />

symbolisiert. Sie entspricht zum anderen auch eher individualistischen denn organizistischen Konzeptionen von Pflanzengesellschaften<br />

(vgl. Trepl 1991, 306 ff.) <strong>und</strong> ist durch einen dynamischen Artenwandel, d. h. durch eine hohe Einwanderungsrate<br />

fremder Arten sowie durch die Schwierigkeit, die Artenkombinationen nach traditionellen, pflanzensoziologischen<br />

Systemen zu klassifizieren, gekennzeichnet (vgl. Kowarik 1992a). Es liegt daher nahe, die städtische Natur<br />

generell als Ausdruck der individualistischen, urbanen <strong>und</strong> hoch mobilen Gesellschaft zu lesen. Damit verkörpert sie<br />

nicht nur die aktuellen Formen der Vergesellschaftung, sondern auch Eigenschaften, die auch den suburbanen Räumen<br />

zugeschrieben werden. Insofern wäre in dieser Natur ein Potential zu erkennen, das zum Genius loci der „totalen Landschaft“<br />

passen könnte. Sie kann zudem in spezifischer <strong>und</strong> neuartiger Form die Aufhebung des traditionellen Gegensatzes<br />

von Stadt <strong>und</strong> Natur symbolisieren <strong>und</strong> damit als authentischer Bestandteil einer zeitgemäßen Stadtkulturlandschaft<br />

im Sinne Breustes empf<strong>und</strong>en werden.<br />

Dennoch wird man sich hüten müssen, bei der Gestaltung suburbaner Räume allein <strong>für</strong> den Schutz <strong>und</strong> die Gestaltung<br />

der Stadtnatur einzutreten. Betrachtet man Natur als ein Symbol von Weltanschauungen, würde das die Gefahr bergen,<br />

einfach einer Ideologie, der konservativ-organizistischen, die entgegengesetzte Ideologie, die (neo)liberal-fortschrittliche,<br />

gegenüberzustellen (vgl. zu dieser Problematik in der Diskussion über die fremden Arten Körner 2000). Dagegen sprechen<br />

sowohl praktische als auch empirische Gründe. Der empirische Gr<strong>und</strong> leitet sich daraus ab, dass Geschichte auch in<br />

suburbanen Räumen eine Rolle spielt, obwohl das zunächst auf der metatheoretischen Ebene ausgeschlossen scheint.<br />

Die traditionelle ländlich-arkadische Landschaft ist das Urbild der Erholungslandschaft <strong>und</strong> damit in diesem Kontext<br />

pragmatisch gesehen enorm relevant. Gerade weil sie uns als Gegenwelt zu der Zivilisationssphäre erscheint, ist sie ein<br />

<strong>Landesamt</strong> <strong>für</strong> <strong>Umwelt</strong>, <strong>Wasserwirtschaft</strong> <strong>und</strong> <strong>Gewerbeaufsicht</strong>

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