BEST OF Otto Brenner Preis 2010 - Otto Brenner Shop
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In einem Gespräch im alpha. Forum des Bayrischen Rundfunks sagt Winkler etwas, das<br />
man in Volontärskursen debattieren lassen müsste: „Es gibt keinen Grund, je mandem<br />
vors Schienbein zu treten, es sei denn, er ist reich und mächtig“. Ein Zitat aus dem<br />
amerikanischen Journalismus, das er explizit lobt. Das passiert ihm zu wenig, und<br />
weiter heisst es: „Der Widerspruchsgeist, das grundsätzlich Nicht-Einverstandensein<br />
mit dem, was ist – wäre für mich eine männliche Tugend“. Er ist nicht einverstanden mit<br />
dem, was man früher „die herrschenden Verhältnisse“ nannte. In der Aufmerksamkeitsund<br />
Mediengesellschaft haben sich die Journalisten anscheinend „dafür entschlossen,<br />
nur noch das Streichquartett zu bilden zu dem, was passierte und zu wenig zu zweifeln ...“<br />
Winklers Arbeiten reichen weit über das politische Feuilleton hinaus, er ist feuriger<br />
Gesellschaftskritiker, der sich von der Diktatur des Aktuellen und Modischen nicht<br />
beeindrucken lässt. Diese Rede würde unglaublich lang werden, wenn ich aus allen<br />
Texten, die mir besonders gefielen, zitieren würde. Aber zwei, drei mag ich mir nicht<br />
verkneifen, besonders zu loben.<br />
In seinem großen Essay über „Die Freuden der De nunziation“ zum Beispiel verknüpft<br />
er geistreich den Aufstieg und Fall des Schweizer whistle-blowers Christoph Meili mit<br />
anonymen Steuer-CDs, mit dem notwendigen Verrat des Judas und Deserteuren des<br />
Vietnamkrieges. Das nenne ich assoziieren! Verrat als sittliche Pflicht – eine ungewöhnliche<br />
Fragestellung in einer Zeit des moralischen Relativismus. Und beim Thema<br />
Steuerhinterziehung gilt: selten hat es jemand so genau beschrieben, welche spie -<br />
ßigen, glanzlosen Mechanismen hinter dem Drang stehen, den Staat und die Mitbürger<br />
betuppen zu wollen – weil es jeder so macht.<br />
Lakonisch und böse ist der Artikel über die junge Erfolgsautorin Helene Hegemann, die<br />
für das Buch Axolotl Roadkill ja ganze Passagen von einem Blogger abschrieb – die<br />
Tech nik ihrer Generation. Dass Copyrightverletzungen, kruder Textklau einen freien,<br />
ewig unterbezahlten Autoren besonders irritieren müssen, ist das Eine. Winkler bringt<br />
vor allem den Hype auf den Punkt: „Marketing ist alles, der Markt, so ist er nun mal,<br />
giert nach Frischfleisch...“ Und die 17jährige entzaubert er als Traumfräulein für<br />
alternde Feuilletonherren, denen der „morbide Vitalismus einer wohlstandserschöpften<br />
Jugend“ einen – irgendwie sexuellen – Kick gibt.<br />
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