BEST OF Otto Brenner Preis 2010 - Otto Brenner Shop
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Der Verrat als sittliche Pflicht – auch das hat es schon gegeben<br />
Der Verrat als sittliche Pflicht – das hatte etwas von dem hohen Pathos, mit dem<br />
die Diplomaten der „Roten Kapelle“ Hitlers Welteroberungspläne weitergaben.<br />
Da tremolierte das Gewissen, mit dem die Offiziere des 20. Juli 1944 zu Werke<br />
gingen. Doch welche militärischen Geheimnisse hätten die Schriftsteller<br />
Andersch, Roehler, Enzensberger und Johnson schon verraten können? Harro<br />
Schulze-Boysen, Arvid Harnack, Claus Stauffenberg und etliche andere kostete<br />
der Verrat den Kopf. Die aufgeregten Autoren mussten nur eine lächerliche Anzeige<br />
erleiden, und der spielverderberische Staatsanwalt verfolgte sie nicht weiter,<br />
weil er in dem Aufruf bloß eine „strafrechtlich irrelevante’ pathetisch-deklamatorische<br />
Meinungsäußerung’“ erkennen mochte.<br />
Der Verrat ist seither zum alltäglichen Vergehen geworden – jeder, der seine Steuern<br />
hinterzieht, übt den Vaterlandsverrat. Dieser Verrat kommt ohne große Deklamationen<br />
aus, und vor allem kostet er nichts. Steuerhinterziehung ist mindestens<br />
so gründlich verbreitet wie Witze über die Schwiegermutter und ungefähr genauso<br />
originell wie diese. Aber jeder kann es, jeder tut es. „Nein, nein, nein, unsre Steuern<br />
zahl’n wir nicht!“, geht der Refrain, und in seinem Mannesmut vorm Finanzamt,<br />
das sich so leicht übertölpeln lässt, ist jeder ein Stauffenberg, jeder ein Yorck.<br />
Die Allgegenwart des Verrats gebiert notwendig den Denunzianten. Der Verräter<br />
ist über die Jahre vom Helden nicht zum Schurken, sondern zum kleinen Ganoven<br />
herabgesunken. Der Denunziant ist die Kippfigur des braven Bürgers, der, wie es<br />
beim Finanzamt vornehm heißt, „Gestaltungsmissbrauch“ treibt, seine Steuer<br />
verkürzt und das Ersparte in mühseliger Kleinarbeit persönlich über die Landstraße<br />
von Lindau über Bregenz ins sichere Rorschach schafft.<br />
Wie in der Zeichnung von A. Paul Weber linst der Denunziant durch Schlüsse l-<br />
löcher, horcht an der Wand, kopiert heimlich Unterlagen, zählt die Flaschen, die<br />
sich am Morgen in den Papierkörben der Kollegen finden und ist, gegen gutes Geld<br />
selbstverständlich, allzeit bereit, jede Art von Daten zu beschaffen. Vom Verräter<br />
unterscheidet den Denunzianten zunächst einmal nicht viel: Er trägt weiter, was<br />
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