Der Matrosen- anzug Der Matrosen- anzug - Reklamehimmel
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ich war und wie müde ihre Arme wurden.<br />
Schmerz und Angst haben ein gutes Gedächtnis.<br />
Warum erinnere ich mich dann aber an Herrn<br />
Patitz und an sein «Atelier für künstlerische Portrait–Photographie»<br />
in der Bautzener Straße? Ich<br />
trug ein <strong>Matrosen</strong>kleidchen mit weißem Pikeekragen,<br />
schwarze Strümpfe, die mich juckten,<br />
und Schnürschuh. (Heute tragen die kleinen Mädchen<br />
Hosen. Damals trugen die kleinen Jungen<br />
Röckchen!) Ich stand an einem niedrigen Schnörkeltisch,<br />
und auf dem Tisch stand ein buntes Segelschiff.<br />
Herr Patitz steckte, hinter dem hochbeinigen<br />
Fotokasten, den Künstlerkopf unter ein<br />
schwarzes Tuch und befahl nur zu lächeln. Weil<br />
der Befehl nichts nützte, holte er einen Hampelmann<br />
aus der Tasche, wedelte damit in der Luft<br />
herum und rief wildvergnügt: «Huhuh! Guckguck!<br />
Huhuh! Guckguck!» Ich fand Herrn Patitz<br />
schrecklich albern, tat ihm aber trotzdem den<br />
Gefallen und quälte mir, der Mama zuliebe, die<br />
danebenstand, ein verlegenes Lächeln ins Gesicht.<br />
Dann drückte der Bildkünstler auf einen Gummiballon,<br />
zählte langsam vor sich hin und in sich<br />
hinein, schloß die Kassette und notierte den Auftrag.<br />
«Zwölf Abzüge, Visitformat.»<br />
Einen dieser zwölf Abzüge besitze ich heute<br />
noch. Auf der Rückseite steht, in verblaßter Tinte:<br />
«Mein Erich, 3 Jahre alt». Das hat meine Mutter<br />
1902 hingeschrieben. Und wenn ich mir den kleinen<br />
Jungen im Röckchen betrachte, das rundliche<br />
und verlegen lächelnde Kindergesicht mit der<br />
sauber geschnittenen Ponyfrisur und die unent-<br />
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schlossene, in Gürtelhöhe verhaltene linke<br />
Patschhand, dann jucken meine Kniekehlen heute<br />
noch. Sie erinnern sich an die wollenen Strümpfe<br />
von damals. Warum? Wieso haben sie das nicht<br />
vergessen? War denn der Besuch bei dem «künstlerischen<br />
Portrait–‚Photographen» Albert Patitz<br />
wirklich so wichtig? War er für den Dreijährigen<br />
eine solche Sensation? Ich glaube es nicht, und ich<br />
weiß es nicht. Und die Erinnerungen selber? Sie<br />
leben, und sie sterben, und sie und wir wissen<br />
dafür keine Gründe.<br />
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