Der Matrosen- anzug Der Matrosen- anzug - Reklamehimmel
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Rückreise zu verabreden, und da sagte uns der<br />
redliche englische Angestellte im Reisebüro:<br />
Wenn ich Sie wäre, würde ich die Schlafwagen<br />
nicht erst für in acht Tagen bestellen, sondern für<br />
morgen, denn, wissen Sie, es sind mehrere<br />
Cholera-Fälle vorgekommen, was natürlich verheimlicht<br />
und vertuscht wird. Man weiß nicht,<br />
wie weit es sich ausbreiten wird. Es wird Ihnen<br />
doch wohl aufgefallen sein, daß im Hotel jetzt<br />
viele Gäste abgereist sind.<br />
Das war ja auch der Fall, und wir fuhren weg. Die<br />
polnische Familie war schon einen Tag vorher<br />
gefahren.<br />
In seinen Einzelheiten ist also alles erlebt, aber<br />
niemand außer Thomas Mann hätte wohl daraus<br />
diese Geschichte vom «Tod in Venedig» machen<br />
können. Mein Mann hat das Wohlgefallen, das er<br />
tatsächlich an diesem sehr reizvollen Jungen empfand,<br />
auf Aschenbach übertragen und zu äußerster<br />
Leidenschaft stilisiert. Und ich weiß noch,<br />
daß mein Onkel, Geheimrat Friedberg, ein sehr<br />
berühmter Kirchenrechtslehrer in Leipzig, ganz<br />
empört gesagt hat: Na, so eine Geschichte! Und<br />
ein verheirateter Mann! Schließlich ist er<br />
Familienvater!<br />
Nun hatte die Sache noch ein ganz drolliges<br />
Nachspiel. <strong>Der</strong> «Tod in Venedig» war ein großer<br />
Erfolg, besonders in Amerika, und die Novelle<br />
gehört sicher zu den besten meines Mannes.<br />
Vor wenigen Jahren bekam Erika einen Brief von<br />
einem älteren polnischen Aristokraten, einem<br />
Grafen, dessen Namen ich vergessen habe, der<br />
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schrieb, ihm sei etwas sehr Komisches passiert.<br />
Vor einiger Zeit hätten Freunde ihm die polnische<br />
Übersetzung einer Novelle gebracht, wo er<br />
selbst, seine Schwestern, seine ganze Familie aufs<br />
Haar genau geschildert seien; das hätte ihn doch<br />
sehr amüsiert …<br />
Ernst Glaeser: <strong>Der</strong> Zivilist<br />
Pfeiffer hatte rote Haare. Er trug sie, wie wir alle<br />
seit Beginn des Krieges, kurz geschoren. In seinem<br />
Gesicht, dessen graue, sommersprossengefleckte<br />
Haut immer ein wenig schwitzte, saß eine<br />
Stupsnase, an den Flügeln leicht verknorpelt. Er<br />
ging stets mit offenem Mund. Seine Lippen waren<br />
trocken und blaß. Manchmal schälten sie sich.<br />
Pfeiffer war in nichts der echte deutsche Junge<br />
des Jahres 1914. Er trug auch keine <strong>Matrosen</strong>anzüge<br />
mit rot- oder goldgestickten Ankern, nur<br />
graue hochgeschlossene Wollsweater oder Joppen.<br />
Pfeiffer war häßlich … Pfeiffer sammelte<br />
weder Granatsplitter, noch klebte er auf die Flaschen<br />
die Photos der Generale. Pfeiffer hatte auch<br />
keine Landkarte, auf der er die Front absteckte,<br />
nicht einmal ein schwarz-weiß-rotes Abzeichen<br />
oder einen Stempel: «Gott strafe England!» Statt<br />
dessen machte er Botengänge, kehrte manchen<br />
Bürgern samstags die Straße und verdiente damit<br />
monatlich 3,50 Mark, die er seiner Mutter genau<br />
ablieferte. <strong>Der</strong> zwölfjährige Junge war Zivilist,<br />
wir spürten das, ohne es formulieren zu können –<br />
deshalb verprügelten wir ihn. Er überwand diese<br />
Prügel, indem er sie aushielt.<br />
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