Der Matrosen- anzug Der Matrosen- anzug - Reklamehimmel
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Marine–Manie garantierte höchste Aufmerksamkeitswerte<br />
und erzielte stärkste Nachahmungseffekte.<br />
<strong>Der</strong> Kaiser war sozusagen die Krönung der<br />
Kampagne.<br />
Wenn Wilhelm in einer Rede von seiner «geliebten<br />
Marine» sprach, so stand das anderntags groß<br />
in allen Zeitungen. Wenn er seine sechs Söhne in<br />
<strong>Matrosen</strong>anzüge steckte – und das tat er fast zu<br />
jedem Fototermin –, dann wurde das anrührende<br />
Familienbild sofort millionenfach als Postkarte<br />
vervielfältigt. Und wenn er seiner «Allerhöchsten<br />
Marinepassion» natürlich auch in seinem Allerheiligsten<br />
Chefbureau frönte, dann stand das<br />
sogar im «Deutschen Lesebuch für die Volksschule»<br />
(zum Beispiel des Hessischen Volksschullehrervereins,<br />
Cassel 1901): «Durch ein in seinem<br />
Arbeitszimmer hängendes Bild, das eine Reihe<br />
stolzer Schiffe zeigt, den roten Adler Brandenburgs<br />
in der Flagge, läßt er sich täglich daran erinnern,<br />
wie schon der Große Kurfürst die Erkenntnis<br />
dafür hatte, daß Deutschland zur Verwertung<br />
der Erzeugnisse seines Fleißes durch seine Marine<br />
sich eine geachtete Stellung im Weltmarkt verschaffen<br />
müsse.»<br />
Die deutsche Marinewerbung der Jahrhundertwende<br />
war – allein schon «wg. Wilhelm» – das,<br />
was man heute einen Selbstläufer nennt. Das<br />
nationale Pathos traf voll den Zeitgeist, die naive<br />
Freude am Seeabenteuer gab es gratis dazu. Bald<br />
kannte die Begeisterung für die stählernen Giganten<br />
der «Brandenburg-» und «Braunschweig-»,<br />
der «König-» und der «Kaiser-Klasse» keine Län-<br />
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der- und Klassengrenzen mehr. Die Deutschen –<br />
ein einig Volk von Seehelden.<br />
Kaum noch eine gutbürgerliche Gast-, Wohnoder<br />
Schlafzimmerwand, wo nicht ein kanonenstarrendes<br />
Schlachtschiff von Willy Stöwer oder<br />
Hans Bohrdt, Johannes Holst oder Claus Bergen<br />
an einem Bilderhaken festgemacht hatte. Und<br />
kaum noch ein Bücherbord, wo nicht «Seesterns»<br />
Science-Fiction-Bestseller «1906» stand, jener sensationelle<br />
Seekriegsroman aus dem Jahr 1905, in<br />
dem der Leipziger Journalist Ferdinand Grautoff<br />
die deutsche Flotte erst gegen England und<br />
Frankreich siegen läßt, um sie dann nach Übersee<br />
zu schicken, zum Schutz der Vorherrschaft der<br />
weißen Rasse.<br />
Es war erreicht: Die deutsche Flottenstärke<br />
wurde zum Faszinosum der Massen, der fast religiöse<br />
Glaube an die Überlegenheit von Wilhelms<br />
«schwimmender Wehr» zum neuen Opium fürs<br />
Volk.<br />
Dabei hätte eigentlich jedem Sehenden klar sein<br />
müssen, daß diese Droge im wahrsten Sinne des<br />
Wortes ins Geld ging: Auf dem Wilhelminischen<br />
Hundertmarkschein dampfte ein Linienschiffsgeschwader<br />
der deutschen Flotte an einer Germania<br />
auf felsigem Ufer vorbei.<br />
Kann es da noch verwundern, wenn in einer derart<br />
marineverrückten Zeit alle Eltern verrückt<br />
darauf waren, ihre Kinder in <strong>Matrosen</strong>anzüge<br />
oder <strong>Matrosen</strong>kleider zu stecken?<br />
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