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Bildung aber nützt <strong>de</strong>r Wirtschaft langfristig?<br />

Ist das, was wir <strong>de</strong>rzeit auf <strong>de</strong>r<br />

Ebene <strong>de</strong>r KMK und auch in <strong>de</strong>n Umsetzungsstrategien<br />

<strong>de</strong>r Kultusministerien<br />

erleben, wirklich <strong>de</strong>r Wirtschaft<br />

nützlich? Was erleben wir <strong>de</strong>nn? Wir<br />

erleben eine beispiellose Reformhektik,<br />

wie sie eintritt, wenn in einem Profit-Unternehmen<br />

eine Zielvereinbarung<br />

gemacht wird, ein Zeitfenster ausgemessen<br />

wird und zu einem bestimmten<br />

Zeitpunkt <strong>de</strong>r messbare Erfolg vorgezeigt<br />

wer<strong>de</strong>n muss. Was wir <strong>de</strong>rzeit in<br />

Hessen erleben, sieht mir ganz danach<br />

aus, <strong>als</strong> habe <strong>de</strong>r Ministerpräsi<strong>de</strong>nt das<br />

Thema Bildung zur Chefsache gemacht<br />

und <strong>de</strong>r Kultusministerin vorgegeben:<br />

Kurz vor <strong>de</strong>r nächsten Wahl sind folgen<strong>de</strong><br />

Reformen durchgezogen:<br />

1. Umstellung einer Inputsteuerung auf<br />

Outputsteuerung, d. h. Umstellung<br />

<strong>de</strong>s Systems <strong>de</strong>r Lehrpläne auf ein<br />

System von Bildungsstandards.<br />

2. Ein neues Evaluationssystem, das<br />

Bildungsstandards einführt, wird<br />

etabliert: Es wer<strong>de</strong>n standardisierte<br />

Vergleichsarbeiten geschrieben.<br />

3. Ausschöpfung <strong>de</strong>r Ressourcen im<br />

Elementarbereich. Der Hirnforscher<br />

Wolf Singer behauptet, es gäbe im<br />

Kin<strong>de</strong>rgartenalter ein nur für kurze<br />

Frist geöffnetes Fenster, in <strong>de</strong>m die<br />

Kin<strong>de</strong>r spielend eine Fremdsprache<br />

lernen können. Wir können es uns<br />

nicht leisten, diese Ressource im<br />

Kin<strong>de</strong>rgarten zu verspielen, <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>rgarten<br />

muss zur „école maternelle“<br />

gemacht wer<strong>de</strong>n: Wir machen<br />

einen Plan, Schule von 0 bis 10.<br />

4. Das Zentralabitur wird eingeführt.<br />

5. Verkürzung <strong>de</strong>r Gymnasialzeit von<br />

9 auf 8 Jahre.<br />

6. Grundlegen<strong>de</strong> Neuorganisation <strong>de</strong>r<br />

Lehrerfortbildung. Dabei gilt folgen<strong>de</strong><br />

Sicht: Ich, <strong>de</strong>r Staat, kaufe auf<br />

<strong>de</strong>m Markt Lehrer ein, die mir bestimmte<br />

Qualifikationen und Kompetenzen<br />

vorhalten müssen, nämlich<br />

Fachkompetenz, Metho<strong>de</strong>nkompetenz<br />

etc. <strong>Diese</strong> Gegenleistung<br />

ist das, was ich ihm über sein<br />

Gehalt bezahle, und für das, was er<br />

mir anbietet, ist er selbst verantwortlich:<br />

Er muss sich <strong>als</strong>o ausbil<strong>de</strong>n<br />

und fortbil<strong>de</strong>n, und zwar auf<br />

seine Kosten. Darüber führt er ein<br />

Portfolio und muss mir das nach einem<br />

bestimmten Evaluationssystem<br />

auch nachweisen. Das ist für<br />

das Land auf je<strong>de</strong>n Fall billiger <strong>als</strong><br />

<strong>de</strong>r Unterhalt eines eigenen Fortbildungsinstituts!<br />

7. Damit zusammen hängt die Neuordnung<br />

<strong>de</strong>r Lehrerausbildung. Das<br />

Studium wird neu nach <strong>de</strong>m Bachelor-<br />

und Mastersystem in Modulen<br />

strukturiert, die erste und die zweite<br />

Phase <strong>de</strong>r Lehrerausbildung wer<strong>de</strong>n<br />

verschränkt, die Anteile von allgemeiner<br />

Pädagogik, Didaktik und<br />

Methodik während <strong>de</strong>s Studiums<br />

wer<strong>de</strong>n vergrößert.<br />

8. Verschie<strong>de</strong>ne Varianten von Ganztagsschulen<br />

wer<strong>de</strong>n etabliert.<br />

9. Die Schulen sollen durch Budgetierung<br />

eigene Spielräume erhalten,<br />

die sie durch jeweilige Schulprofile<br />

und pädagogische Schulprogramme<br />

im Sinne eines Wettbewerbs untereinan<strong>de</strong>r<br />

ausnützen können.<br />

Wenn ich richtig mitgezählt habe,<br />

sind das 9 Baustellen, die wir in Hessen,<br />

und zwar alle gleichzeitig, bearbeiten.<br />

Keiner dieser Reformeinsätze<br />

ist von vorne herein unsinnig, alle sind<br />

interessant und wert, untersucht und erprobt<br />

zu wer<strong>de</strong>n. Aber ist es klug, alle<br />

diese Reformen gleichzeitig durchzuführen,<br />

nur um vor <strong>de</strong>r nächsten Wahl<br />

dann plakatieren zu können: Hessen,<br />

Bildungsland Nr. 1. Inzwischen ist <strong>de</strong>r<br />

Unmut <strong>de</strong>r Betroffenen über das angerichtete<br />

Chaos in <strong>de</strong>n<br />

» Eine Bildungsreform, die<br />

sich auf das konzentriert,<br />

was vor<strong>de</strong>rgründig und<br />

scheinbar <strong>de</strong>m Beschäftigungssystem<br />

nützt, ist<br />

langfristig gera<strong>de</strong> nicht erfolgreich.<br />

Schulen und Ausbildungssystemen<br />

erheblich.<br />

Ich habe erhebliche<br />

Zweifel, ob<br />

die Rechnung <strong>de</strong>r<br />

Lan<strong>de</strong>sregierung<br />

aufgeht und <strong>de</strong>r<br />

Wähler dieses Vorgehen<br />

honoriert. Es wür<strong>de</strong> mich nicht<br />

wun<strong>de</strong>rn, wenn <strong>de</strong>r Schuss nach hinten<br />

losgeht. Es wäre nicht die erste hessische<br />

Lan<strong>de</strong>sregierung, <strong>de</strong>ren Wie<strong>de</strong>rwahl<br />

an einer f<strong>als</strong>chen Bildungsreformpolitik<br />

scheiterte. Dabei gibt es, wenn<br />

man einmal von speziellen Fragestellungen<br />

in Schleswig-Holstein absieht,<br />

kaum erkennbare Politikunterschie<strong>de</strong><br />

nach A- und B-Län<strong>de</strong>rn. Es geht mir<br />

hier auch nicht um das Wohlergehen<br />

von Lan<strong>de</strong>sregierungen, son<strong>de</strong>rn um die<br />

Frage, ob tatsächlich diese mehr o<strong>de</strong>r<br />

weniger fantasielos aus <strong>de</strong>m Produktionssektor<br />

und <strong>de</strong>m Profit-Bereich übertragenen<br />

Metho<strong>de</strong>n und Ansätze wirklich<br />

die Ziele erreichen, die man sich<br />

erhofft. Die KMK hat Beschlüsse gefasst,<br />

die zeigen, dass es unabhängig<br />

von <strong>de</strong>r politischen Farbe diese Übersprungeffekte<br />

gibt. Ich nenne das <strong>de</strong>n<br />

PISA-Effekt.<br />

Wir haben sehr früh hier bei einem<br />

Tag <strong>de</strong>r Religionspädagogik im Bistum<br />

Limburg die Frage gestellt: „Was ist<br />

schief an PISA?“ und festgestellt, dass<br />

tatsächlich eine Bildungsreform, die<br />

sich auf das konzentriert, was vor<strong>de</strong>rgründig<br />

und scheinbar <strong>de</strong>m Beschäftigungssystem<br />

nützt, langfristig gera<strong>de</strong><br />

nicht erfolgreich ist. Der PISA-Effekt<br />

son<strong>de</strong>rt nämlich die so genannten harten<br />

von <strong>de</strong>n weichen Fächern ab. Dann<br />

liegt die Ten<strong>de</strong>nz nah, die weichen Fächer<br />

und Inhalte aus <strong>de</strong>m Bildungskonzept<br />

<strong>de</strong>r Schule herauszukürzen. Die<br />

vor<strong>de</strong>rgründige Plausibilität sagt, was<br />

<strong>de</strong>r Wirtschaft und <strong>de</strong>m Beschäftigungssystem<br />

nützt: <strong>als</strong>o Deutsch abzüglich<br />

Lyrik, Belletristik, Literatur,<br />

<strong>als</strong>o Lesekompetenz, Textverstehen und<br />

Reproduzieren können; Mathematik,<br />

Denken in Strukturen und Zahlen und<br />

damit hantieren können; Fremdsprachen<br />

und Naturwissenschaften, daneben<br />

das Fach Wirtschaft,<br />

<strong>de</strong>nn natürlich<br />

nützt „Wirtschaft“<br />

<strong>de</strong>r Wirtschaft.<br />

Alle an<strong>de</strong>ren<br />

Fächer sind im Grun<strong>de</strong><br />

entbehrlich. Für<br />

die Freizeit wird die<br />

Menschheit schon<br />

selbst sorgen. Künstlerische, literarische,<br />

musische, religiöse Bildung, das<br />

sind Luxusunternehmungen, für die<br />

wir we<strong>de</strong>r Zeit noch Geld haben. Das<br />

klingt zunächst sehr plausibel, ist aber<br />

BEITRÄGE<br />

87<br />

INFO 34 · 2/2005

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