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Freu<strong>de</strong> am Lernen o<strong>de</strong>r Spaß in <strong>de</strong>r Schule?<br />

Anmerkungen zu einer pädagogischen Verirrung<br />

Der eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re von Ihnen<br />

mag sich noch an die Anzeige erinnern,<br />

in <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>stagspräsi<strong>de</strong>nt Wolfgang<br />

Thierse neulich die Frage stellte, ob es<br />

so etwas wie ein Recht auf Glück <strong>de</strong>nn<br />

wirklich gibt. Die Formulierung klingt<br />

vertraut, für <strong>de</strong>utsche Ohren je<strong>de</strong>nfalls,<br />

weil sie die tausend Rechtsansprüche,<br />

mit <strong>de</strong>nen uns die Politiker tagaus tagein<br />

<strong>de</strong>n Kopf verdrehen, um einen weiteren<br />

bereichert. Dass Ansprüche, bevor<br />

sie an an<strong>de</strong>re gerichtet wer<strong>de</strong>n, Ansprüche<br />

an sich selbst voraussetzen,<br />

geht dabei regelmäßig verloren. Vor allem<br />

darin unterschei<strong>de</strong>t sich die <strong>de</strong>utsche<br />

Art, das Glück zu behan<strong>de</strong>ln, von<br />

<strong>de</strong>m in an<strong>de</strong>ren Län<strong>de</strong>rn und Kulturen<br />

üblichen Stil. In <strong>de</strong>r<br />

amerikanischen Unabhängigkeitserklärung<br />

klingt es ganz<br />

an<strong>de</strong>rs: Sie spricht<br />

zwar auch vom<br />

Glück, macht daraus<br />

aber keinen Anspruch an an<strong>de</strong>re, son<strong>de</strong>rn<br />

ein Freiheitsrecht <strong>de</strong>s Einzelnen<br />

und damit einen Anspruch an sich<br />

selbst. Denn nicht das Glück, son<strong>de</strong>rn<br />

<strong>de</strong>r Verfolg <strong>de</strong>s Glückes, <strong>de</strong>r vielzitierte<br />

pursuit of happiness, wird dort <strong>als</strong><br />

Grundrecht aller Menschen proklamiert.<br />

Pursuit of happiness, das heißt:<br />

Das Glück wird euch, <strong>de</strong>n Bürgern,<br />

nicht geschenkt. Es wird euch nur dann<br />

zuteil wer<strong>de</strong>n, wenn ihr euch selbst dafür<br />

einsetzt, selbst etwas riskiert und<br />

selbst etwas tut. Wo es sich einstellt, ist<br />

es das Ergebnis individueller, nicht<br />

kollektiver Anstrengungen und Opfer.<br />

Die <strong>de</strong>utsche Art, <strong>de</strong>n Menschen<br />

das Glück <strong>als</strong> ein Geschenk zu überreichen,<br />

hat, wie Sie wissen, längst <strong>de</strong>n<br />

Unterricht erreicht. Und zwar in seiner<br />

unverwechselbar <strong>de</strong>utschen Form, <strong>als</strong><br />

das Versprechen eines passiv genossenen,<br />

nicht eines aktiv erworbenen<br />

»Die <strong>de</strong>utsche Art, <strong>de</strong>n<br />

Menschen das Glück <strong>als</strong> ein<br />

Geschenk zu überreichen,<br />

hat, wie Sie wissen, längst<br />

<strong>de</strong>n Unterricht erreicht.<br />

Glücks. Wie f<strong>als</strong>ch das war und ist, haben<br />

urteilsfähige Leute von Anfang an<br />

erkannt und <strong>de</strong>utlich ausgesprochen.<br />

Ich <strong>de</strong>nke an <strong>de</strong>n Kongress „Mut zur<br />

Erziehung“, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n siebziger Jahren<br />

in Bonn zusammengekommen war und<br />

die Mo<strong>de</strong>torheiten <strong>de</strong>r dam<strong>als</strong> aufblühen<strong>de</strong>n<br />

Reformpädagogik angeprangert,<br />

wenn auch wohl nicht verhin<strong>de</strong>rt<br />

hat. In <strong>de</strong>n abschließend formulierten<br />

neun Thesen, mit <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Kongress<br />

zu En<strong>de</strong> ging, hieß es unter an<strong>de</strong>rem:<br />

„Wir wen<strong>de</strong>n uns gegen <strong>de</strong>n Irrtum, die<br />

Schule könne Kin<strong>de</strong>r lehren, glücklich<br />

zu wer<strong>de</strong>n, in<strong>de</strong>m sie sie ermuntert,<br />

Glücksansprüche zu stellen. In Wahrheit<br />

hintertreibt die Schule damit das<br />

Glück <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r<br />

und neurotisiert sie.<br />

Denn Glück folgt<br />

nicht aus <strong>de</strong>r Befriedigung<br />

von Ansprüchen,<br />

son<strong>de</strong>rn<br />

stellt im Tun <strong>de</strong>s<br />

Rechten sich ein“. Das traf ins Schwarze,<br />

weil es an das erinnerte, was je<strong>de</strong>r<br />

von uns aus Erfahrung weiß: dass sich<br />

das Glücksgefühl um so heftiger und<br />

nachhaltiger bemerkbar zu machen<br />

pflegt, je intensiver die Mühen und die<br />

Entbehrungen waren, die ihm vorangingen.<br />

Glücklich ist man am Ziel eines<br />

langen Marsches, auf <strong>de</strong>m Gipfel eines<br />

hohen Berges, am<br />

En<strong>de</strong> eines arbeitsreichen<br />

Tages. Das<br />

schnell und leicht errungene<br />

Glück wird<br />

<strong>als</strong> illegitim empfun<strong>de</strong>n<br />

und instinktiv verschmäht.<br />

Auf solche Erfahrungen hat die progressive<br />

Pädagogik – ob sie sich weiß,<br />

schwarz o<strong>de</strong>r Anti-Pädagogik nennt,<br />

macht keinen großen Unterschied – auf<br />

ihre Weise reagiert, <strong>als</strong> sie das Wort<br />

Glück durch <strong>de</strong>n Begriff Spaß ersetzte.<br />

»Das schnell und leicht errungene<br />

Glück wird <strong>als</strong> illegitim<br />

empfun<strong>de</strong>n und instinktiv<br />

verschmäht.<br />

Konrad Adam<br />

Mit <strong>de</strong>m Spaß, schreibt einer <strong>de</strong>r vielen<br />

f<strong>als</strong>chen Propheten, die sich in Deutschland<br />

<strong>de</strong>r Erziehung angenommen haben,<br />

<strong>de</strong>r Münchner Soziologe Ulrich<br />

Beck, hätten die jungen Menschen endlich<br />

etwas aufgestöbert, womit sie die<br />

Erwachsenen in Panik setzen könnten,<br />

und nennt <strong>als</strong> Beispiele <strong>de</strong>n Spaß-<br />

Sport, die Spaß-Musik, <strong>de</strong>n Spaß-Konsum<br />

und, <strong>de</strong>utsch und gründlich, wie er<br />

ist, das Spaß-Leben. Von allen <strong>de</strong>nkbaren<br />

Begriffen hat Beck mit sicherem<br />

Griff <strong>de</strong>n anspruchlosesten, <strong>de</strong>n blassesten<br />

und ban<strong>als</strong>ten gewählt: nicht<br />

Freu<strong>de</strong>, nicht Vergnügen, nicht Genuss,<br />

nicht einmal Lust und schon gar nicht<br />

Glück, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r nichts voraussetzt,<br />

nichts verlangt und garantiert folgenlos<br />

bleibt. Der Spaß bezeichnet dasjenige<br />

Gefühl, das ganz und gar in <strong>de</strong>r<br />

Gegenwart aufgeht, sich im Augenblick<br />

erschöpft, im Nu vorbei ist. Den<br />

Spaß kann man nicht planen, von ihm<br />

bleibt nichts zurück, und wenn er überhaupt<br />

etwas bewirkt, dann nur <strong>de</strong>n<br />

ziemlich trivialen Wunsch, <strong>de</strong>n Kick<br />

noch einmal auszukosten. Nicht Eudämonismus,<br />

das Streben nach Glück, son<strong>de</strong>rn<br />

Hedonismus, Spaß-Leben, heißt die<br />

Botschaft <strong>de</strong>r Spaßpädagogen.<br />

Ihr Hedonismus ist ein Vorgriff auf<br />

die Zukunft, die sie sich nach <strong>de</strong>m<br />

Muster <strong>de</strong>s Schlaraffenlan<strong>de</strong>s ausmalen,<br />

<strong>als</strong> Überflussgesellschaft,<br />

die je<strong>de</strong>m<br />

alles bietet.<br />

Jürgen Habermas<br />

hat sie vor <strong>de</strong>n Vereinigten<br />

Stu<strong>de</strong>nten<br />

entworfen und ausgemalt, <strong>als</strong> er ihnen<br />

1967, kurz vor <strong>de</strong>m Ausbruch <strong>de</strong>r Revolte,<br />

erzählte, dass die Zeit <strong>de</strong>r ökonomischen<br />

Zwänge <strong>de</strong>finitiv vorüber sei.<br />

Auf die bekannten Tugen<strong>de</strong>n und Opfer,<br />

die im bürgerlichen Zeitalter üblich<br />

gewesen seien, könne man in Zukunft<br />

BEITRÄGE<br />

99<br />

INFO 34 · 2/2005

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