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Rezensionen<br />
LITERATUR & MEDIEN<br />
104<br />
Berger, Klaus<br />
Jesus<br />
– München: Pattloch Verlag.<br />
2004. 704 S., € 28.00 (ISBN 3-629-00812-7)<br />
Klaus Berger, <strong>de</strong>r Hei<strong>de</strong>lberger Neutestamentler,<br />
kann sich <strong>de</strong>r Aufmerksamkeit für sein neues<br />
Jesusbuch gewiss sein – <strong>de</strong>r Aufmerksamkeit <strong>de</strong>r<br />
Bibelwissenschaftler (auch <strong>de</strong>rer, die seine Thesen<br />
ablehnen), vieler Theologen in <strong>de</strong>r pastoralen<br />
und schulischen Praxis (auch <strong>de</strong>rer, die sonst<br />
kaum mehr theologische Literatur lesen) und vieler<br />
kirchennaher und kirchenferner Zeitgenossen,<br />
die kaum ein an<strong>de</strong>rer Exeget je erreichen wür<strong>de</strong>.<br />
<strong>Diese</strong> Aufmerksamkeit hat er sich durch viele<br />
Veröffentlichungen zu brennen<strong>de</strong>n Gegenwartsthemen<br />
von Glaube, Christentum und Kirche,<br />
durch unzählige öffentliche Vorträge außerhalb<br />
<strong>de</strong>r aka<strong>de</strong>mischen Hörsäle und durch seine nonkonformistische<br />
Art, über <strong>de</strong>n christlichen Glauben<br />
zu sprechen, zu Recht verdient. Bekannt sind<br />
seine humorvollen, mitunter sarkastischen Besprechungen<br />
von reißerischen Veröffentlichungen,<br />
auf die alle diejenigen hineinfallen, die ohnehin<br />
nur ihre Vorurteilsstrukturen bestätigt wissen<br />
wollen – und sich dabei in Umkehrung ihres<br />
emanzipatorischen Anspruchs doch nicht ohne<br />
Anleitung durch Dritte selbstständig ihres eigenen<br />
Verstan<strong>de</strong>s bedienen. Mit <strong>de</strong>n selbsternannten<br />
Aufklärern, <strong>de</strong>nen nichts o<strong>de</strong>r kaum etwas an<br />
<strong>de</strong>r Wahrheit <strong>de</strong>s Evangeliums, dafür aber umso<br />
mehr an ihrem eigenen Geldbeutel liegt, geht<br />
Berger in einer erfrischend scharfsinnigen und<br />
scharfzüngigen Weise ins Gericht, die weithin<br />
ausgestorben erscheint. Berger ist ein begna<strong>de</strong>ter<br />
Polemiker, und er entlarvt hellsichtig unzählige<br />
Schwachstellen und die i<strong>de</strong>ologischen Blindheiten<br />
<strong>de</strong>s innertheologischen mainstreams. Je<strong>de</strong><br />
Form <strong>de</strong>r weit verbreiteten exegetical und ecclesiastical<br />
correctness ist ihm zutiefst zuwi<strong>de</strong>r –<br />
und er bekämpft sie, wo immer er auf sie trifft.<br />
Und wo gehobelt wird, fallen bekanntlich Späne.<br />
„Ein Teil <strong>de</strong>r Probleme <strong>de</strong>s gegenwärtigen Christentums<br />
ist hausgemacht, selbst verursacht durch<br />
die rationalistische, letztlich langweilige Exegese.<br />
<strong>Diese</strong>s Buch versteht sich <strong>als</strong> Gegenmo<strong>de</strong>ll<br />
dazu“ (471).<br />
Um so gespannter nimmt man sein neues Jesusbuch<br />
in die Hand, um neugierig zu fragen, was<br />
Berger positiv über Jesus, <strong>de</strong>n Christus, zu<br />
schreiben weiß. Der umfangreiche Band ist keine<br />
exegetische Spezialuntersuchung (vgl. dazu seine<br />
frühere Veröffentlichung: Wer war Jesus wirklich?)<br />
Der Autor bietet keine direkte Auseinan<strong>de</strong>rsetzung<br />
mit gegenwärtigen Spezialforschungen<br />
und verzichtet <strong>de</strong>shalb auch auf je<strong>de</strong> Fußnote.<br />
Freilich schaut die scharfe Auseinan<strong>de</strong>rsetzung<br />
mit beliebten Jesusbil<strong>de</strong>rn (Jesus: <strong>de</strong>r Rabbi,<br />
<strong>de</strong>r Prophet, <strong>de</strong>r Weise, <strong>de</strong>r Menschenfreund<br />
etc.) aus je<strong>de</strong>m Satz. Seine Adressaten sind we<strong>de</strong>r<br />
die Fachleute, die sich und ihre eigenen Thesen<br />
unschwer wie<strong>de</strong>rerkennen wer<strong>de</strong>n, noch die<br />
Schar <strong>de</strong>r Kirchenkritiker, die in vatikanischen<br />
Behör<strong>de</strong>n schon immer genussvoll die Inkarnation<br />
jeglicher Fehlentwicklung diagnostizieren.<br />
Berger wen<strong>de</strong>t sich mit <strong>de</strong>r ihm eigenen Verve<br />
<strong>de</strong>njenigen Christen aller Konfessionen zu, die<br />
im Zentrum ihres christlichen Glaubens zutiefst<br />
verunsichert sind (und davon gibt es nicht wenige).<br />
Für sie hat er dieses Buch geschrieben: „Ich<br />
möchte mo<strong>de</strong>rnen Menschen sagen, was sie von<br />
Jesus haben“ (13). Trotz <strong>de</strong>r allgemeinverständlichen<br />
Bergerschen Sprache (die sich manchmal<br />
auch zu reißerischen Formulierungen hinreißen<br />
lässt: vgl. „Jesus im exegetischen Vaterschaftstest“;<br />
53), trotz <strong>de</strong>s Predigt- und Meditationscharakters<br />
mancher Passagen ist das Buch nicht<br />
leicht zu lesen. Leichte Kost bietet Berger seinen<br />
Lesern gera<strong>de</strong> nicht, wenn er sich <strong>de</strong>r beliebten<br />
Metho<strong>de</strong> verweigert, theologisch schwierige und<br />
sperrige Themen und Begriffe solange zu relativieren,<br />
bis nichts mehr von ihnen übrig bleibt und<br />
sie ersatzlos gestrichen bzw. pseudoadäquat ersetzt<br />
wer<strong>de</strong>n (14: „belanglose minimal art“). Im<br />
Gegenteil: Berger unternimmt es, neben <strong>de</strong>n ‚alltäglichen’<br />
Lebensfel<strong>de</strong>rn (vgl. u.a. Familie, Eigentum,<br />
Geld, Armut, Lebensfreu<strong>de</strong>, Selbstverwirklichung<br />
durch Liebe) gera<strong>de</strong> die gemie<strong>de</strong>nen<br />
und belasteten Themen <strong>de</strong>s christlichen Glaubens<br />
in ihrem intentionalen Gehalt für heutiges Verstehen<br />
aufzuschlüsseln und nachvollziehbar, ja attraktiv<br />
zu machen (vgl. Gottessohnschaft und<br />
Verklärung Jesu; Jesus und die Kirche; Sün<strong>de</strong>nvergebung<br />
und Totenauferweckung; Engel, dämonische<br />
Mächte und <strong>de</strong>r Teufel; Gebet <strong>als</strong> unvermitteltes<br />
Stehen vor Gott und meditatio mortis<br />
continua; Ehe und Ehelosigkeit; das Leid und<br />
Kreuz Jesu und das Leid <strong>de</strong>r Menschen; das politische<br />
Programm Jesu; Frie<strong>de</strong>n und Gewalt in <strong>de</strong>n<br />
Worten und Taten Jesu; Wun<strong>de</strong>r; die Sakramente;<br />
stellvertreten<strong>de</strong>r Tod und Auferstehung Jesu).<br />
Dass „die naive Re<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Liebe Gottes“ (99),<br />
die über Gottes in <strong>de</strong>r Bibel überaus betonte Heiligkeit<br />
nichts mehr zu sagen weiß, bei Berger<br />
nicht durchgeht, kann dann nicht mehr verwun<strong>de</strong>rn.<br />
Die Bibel for<strong>de</strong>rt nach Berger von ihren Lesern<br />
fundamental die Bereitschaft, sich <strong>de</strong>r Fremdheit<br />
<strong>de</strong>r Texte auszusetzen, in <strong>de</strong>r sich die Fremdheit<br />
Jesu wi<strong>de</strong>rspiegelt (vgl. hierzu die zugespitzten<br />
Ausführungen unter <strong>de</strong>m Titel: „Hard way to<br />
heaven: Das Ärgerliche an Jesus“; 88-91, und <strong>de</strong>n<br />
Vergleich zwischen Jesus und an<strong>de</strong>ren Religionsstiftern,<br />
500-517). Das wichtigste Prinzip <strong>de</strong>r<br />
Bergerschen Hermeneutik lautet: „Nicht wir kritisieren<br />
<strong>de</strong>n Text und rücken ihn für unsere Bedürfnisse<br />
zurecht, <strong>de</strong>r Text kritisiert uns (14)“.<br />
Zur Auslegung <strong>de</strong>r Schrift gehört die Bereitschaft,<br />
ohne leiten<strong>de</strong> Interessen und Vorurteile<br />
<strong>de</strong>n Text selbst zu hören. Dazu beruft sich Berger<br />
u.a. auf Martin Buber: „Der Mensch empfängt. Er<br />
empfängt nicht einen Inhalt, son<strong>de</strong>rn eine Gegenwart<br />
<strong>als</strong> Kraft“ (vgl. 30).<br />
Um die Bergersche Theologie zu verstehen,<br />
ist es wichtig, seine Unterscheidung zwischen<br />
<strong>de</strong>m naturwissenschaftlich-aufklärerischen und<br />
<strong>de</strong>m von ihm so genannten „mystischen Weltbild“<br />
wahrzunehmen: Während das dominieren<strong>de</strong><br />
Weltbild rationaler Wissenschaftlichkeit mit<br />
<strong>de</strong>n ihm eigenen Engführungen zu <strong>de</strong>r historischkritischen<br />
Vorgehensweise geführt habe, wie sie<br />
heute in ihrer ganzen Unübersichtlichkeit vorliegt,<br />
erlaubt das von Berger favorisierte „mystische<br />
Weltbild“ eine organische, ganzheitliche<br />
Schau auf die menschliche Lebenswirklichkeit<br />
<strong>als</strong> Schöpfung Gottes. „Mystik ist nicht mehr und<br />
nicht weniger <strong>als</strong> das Achten auf die erstrangige<br />
Wirklichkeit Gottes. Die biblischen Schriften<br />
über Jesus wur<strong>de</strong>n ausnahmslos in einem mystischen<br />
Horizont verfasst und können daher auch<br />
nur in einem mystischen Horizont verstan<strong>de</strong>n<br />
wer<strong>de</strong>n“ (15). Und: „Mystik geht von <strong>de</strong>r begrün<strong>de</strong>ten<br />
Annahme aus, dass die Wirklichkeit umfassen<strong>de</strong>r<br />
ist <strong>als</strong> sie (natur-)wissenschaftlich feststellbar<br />
ist. Mystik ist die Definition <strong>de</strong>r Welt unter<br />
Einschluss <strong>de</strong>r Existenz Gottes und <strong>de</strong>r Annahme<br />
<strong>de</strong>r Möglichkeit von Interaktion mit allen ‚Personen’<br />
und Mächten <strong>de</strong>r unsichtbaren Welt“ (68).<br />
Autoritäten, auf die Berger immer wie<strong>de</strong>r zurückgreift,<br />
sind – für einen Neutestamentler eher<br />
ungewöhnlich – Bernhard von Clairvaux (und die<br />
monastische Spiritualität, beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r Zisterzienser<br />
mit ihrer Licht-Theologie), Nicolaus Cusanus<br />
und <strong>de</strong>r unverfrem<strong>de</strong>te Martin Luther. Hinzu<br />
kommen liturgische Texte aus <strong>de</strong>r Tradition<br />
<strong>de</strong>r Kirche und mit und in ihnen das Rechnen mit<br />
frem<strong>de</strong>n und eigenen Glaubenserfahrungen <strong>als</strong><br />
einem locus theologicus, in <strong>de</strong>m sich <strong>de</strong>r sensus<br />
fi<strong>de</strong>i zu Wort mel<strong>de</strong>t: „Mystik erkennt Mystik.<br />
Die Wahrnehmung mystischer Faktizität tritt daher<br />
gleichrangig neben Faktizität im Sinne <strong>de</strong>r<br />
mo<strong>de</strong>rnen Naturwissenschaft“ (15).<br />
Freilich weiß auch Berger um die Gefahr, hier<br />
das Kind mit <strong>de</strong>m Ba<strong>de</strong> auszuschütten. Dennoch<br />
verfällt er wie<strong>de</strong>rholt in holzschnittartige Antithesen,<br />
die <strong>de</strong>r Komplexität <strong>de</strong>r Fragen nicht gerecht<br />
wer<strong>de</strong>n. Einleitend schreibt er z.B.: „Jesus<br />
versteht man eben nicht nur mit <strong>de</strong>m Kopf. Wer<br />
etwas von ihm wissen will, muss sich auf die kongeniale<br />
Erkenntnisweise <strong>de</strong>r Mystik einlassen.<br />
Herz und Gefühl wer<strong>de</strong>n nicht <strong>de</strong>r Psychologie<br />
überlassen, son<strong>de</strong>rn ihr entrissen“ (16). Und<br />
stimmt es wirklich: „Je<strong>de</strong>r Kompromiss gebiert<br />
Missstän<strong>de</strong>“ (551)? So fruchtbar es sein kann, „gewissermaßen<br />
fünf Minuten vor Gotthold Ephraim<br />
Lessings Säkularisierung <strong>de</strong>s Lichts zurückzugehen“<br />
(39), so wenig zielführend ist die doch zu<br />
pauschale Verurteilung <strong>de</strong>r wissenschaftlichen<br />
Rationalität, die freilich einer kritischen Selbstaufklärung<br />
bedarf – ein Prozess, zu <strong>de</strong>m Klaus<br />
Berger selbst einen guten Beitrag liefert. Mit an<strong>de</strong>ren<br />
Worten: Um die Thesen Rudolf Bultmanns<br />
zu wi<strong>de</strong>rlegen und ihre schier erdrücken<strong>de</strong> Wirkungsgeschichte<br />
aufzuarbeiten (Berger spricht<br />
zurecht von „Forschungsklischees“, 50), bedarf<br />
INFO 34 · 2/2005