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Rechtliche Würdigung der Empfehlungen und Leitlinien des ...

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§ 7 Abs. 2 Nr. 3 AtomG geht schließlich noch einen Schritt weiter, indem er auf den<br />

‚Stand von Wissenschaft <strong>und</strong> Technik’ abstellt. Mit <strong>der</strong> Bezugnahme auch auf den Stand<br />

<strong>der</strong> Wissenschaft übt <strong>der</strong> Gesetzgeber einen noch stärkeren Zwang dahin aus, daß die<br />

rechtliche Regelung mit <strong>der</strong> wissenschaftlichen <strong>und</strong> technischen Entwicklung Schritt hält.<br />

Es muß diejenige Vorsorge gegen Schäden getroffen werden, die nach den neuesten wissenschaftlichen<br />

Erkenntnissen für erfor<strong>der</strong>lich gehalten wird. Läßt sie sich technisch noch<br />

nicht verwirklichen, darf die Genehmigung nicht erteilt werden; die erfor<strong>der</strong>liche Vorsorge<br />

wird mithin nicht durch das technisch gegenwärtig Machbare begrenzt (...). Diese<br />

Formel wirft freilich für die Behörden noch mehr Erkenntnisprobleme auf als die Formel<br />

vom Stand <strong>der</strong> Technik. Sie kommen bei sich wi<strong>der</strong>sprechenden Sachverständigengutachten<br />

in aller Regel nicht umhin, zu wissenschaftlichen Streitfragen Stellung zu nehmen.<br />

(...) Insbeson<strong>der</strong>e mit <strong>der</strong> Anknüpfung an den jeweiligen Stand von Wissenschaft <strong>und</strong><br />

Technik legt das Gesetz damit die Exekutive normativ auf den Gr<strong>und</strong>satz <strong>der</strong> bestmöglichen<br />

Gefahrenabwehr <strong>und</strong> Risikovorsorge fest.“<br />

2.1 Allgemein anerkannte Regeln <strong>der</strong> Technik<br />

Soweit ersichtlich, gibt es keine ausdrückliche gesetzliche Definition <strong>des</strong> Begriffes „allgemein<br />

anerkannte Regeln <strong>der</strong> Technik“. In <strong>der</strong> Begründung zu § 3 <strong>des</strong> Gerätesicherheitsgesetzes, das<br />

mittlerweile durch das Gesetz über technische Arbeitsmittel <strong>und</strong> Verbraucherprodukte abgelöst<br />

worden ist, ist er wie folgt erläutert worden: 56<br />

„Die in Betracht kommenden Regeln <strong>der</strong> Technik sind dann allgemein anerkannt, wenn<br />

die Fachleute, die sie anzuwenden haben, davon überzeugt sind, daß die betreffenden<br />

Regeln den sicherheitstechnischen Anfor<strong>der</strong>ungen entsprechen. Es genügt nicht, daß bloß<br />

in dem Fachschrifttum die Ansicht vertreten o<strong>der</strong> in Fachschulen die Ansicht gelehrt<br />

wird, die Regeln entsprächen den technischen Erfor<strong>der</strong>nissen. Die technische Regel muß<br />

in <strong>der</strong> Fachpraxis erprobt <strong>und</strong> bewährt sein. Es ist unerheblich, ob einzelne Fachleute<br />

diese Regelung nicht anerkennen o<strong>der</strong> überhaupt nicht kennen. Maßgebend ist die Durchschnittsmeinung,<br />

die sich in Fachkreisen gebildet hat.“<br />

Bereits im Jahre 1910 hatte das Reichsgericht den Begriff <strong>der</strong> „allgemein anerkannten Regeln<br />

<strong>der</strong> Baukunst“ <strong>und</strong> die darin aufgehobenen beharrenden Elemente sehr viel plastischer wie<br />

folgt umschrieben: 57<br />

„Der Begriff <strong>der</strong> allgemein anerkannten Regel <strong>der</strong> Baukunst ist nicht schon dadurch erfüllt,<br />

daß eine Regel bei völliger wissenschaftlicher Erkenntnis sich als richtig <strong>und</strong> unanfechtbar<br />

darstellt, son<strong>der</strong>n sie muß auch allgemein anerkannt, d. h. durchweg in den Kreisen<br />

<strong>der</strong> betreffenden Techniker bekannt <strong>und</strong> als richtig anerkannt sein. (...) [Es genügt<br />

nicht], daß die Notwendigkeit gewisser Maßnahmen in <strong>der</strong> Wissenschaft (Theorie) erkannt<br />

<strong>und</strong> gelehrt wird, sei es auf Hochschulen, sei es in Büchern. Die Überzeugung von<br />

<strong>der</strong> Notwendigkeit muß vielmehr auch in die ausübende Baukunst <strong>und</strong> das Baugewerbe<br />

(in die Praxis) eingedrungen sein <strong>und</strong> sich dort befestigt haben, ehe im Sinne <strong>des</strong> Gesetzes<br />

von allgemeiner Anerkennung <strong>der</strong> betreffenden Regel gesprochen werden darf. Wenn<br />

auch Erreichung größtmöglicher Sicherheit für das Publikum bei Bauten Zweck <strong>der</strong> Gesetzesbestimmung<br />

ist, so trifft dies doch den Baubeflissenen noch nicht, wenn er versäumt,<br />

was von den auf <strong>der</strong> Höhe <strong>der</strong> Wissenschaft Stehenden, vielleicht nach neuerer<br />

Erkenntnis, als For<strong>der</strong>ung hingestellt wird, son<strong>der</strong>n erst unter <strong>der</strong> Voraussetzung, daß<br />

diese Erkenntnis auch Gemeingut <strong>der</strong> ausübenden Kunst o<strong>der</strong> <strong>des</strong> Gewerbes geworden<br />

ist. Es ist ohne weiteres klar, daß mit Rücksicht auf die große Verschiedenheit in <strong>der</strong><br />

Vorbildung von Personen, denen nach dem bestehenden Rechtszustand Leitung <strong>und</strong><br />

Ausführung von Baulichkeiten anvertraut sein können, strafbare Vernachlässigung von<br />

Regeln <strong>der</strong> Baukunst nur da angenommen werden soll, wo sie Gr<strong>und</strong>sätze verletzt, über<br />

<strong>der</strong>en Bestehen im Gewerbe kein Zweifel herrscht. Selbstverständlich muß auch hier das<br />

56 BT-Drs. V/7834 vom 19.7.1966, 6.<br />

57 RG, RGSt 44, 75, 79 f. – Hervorhebungen im Original.<br />

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