Gesamte Ausgabe runterladen - Zentralverband der Ãrzte für ...
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F. G. Wilhelmi de Toledo und H. Klepzig, Fasten<br />
Tanner (7), <strong>der</strong> am Medical College<br />
<strong>der</strong> Vereinigten Staaten in New York<br />
ein 42tägiges Fasten unter Aufsicht des<br />
Rektors dieser medizinischen Akademie<br />
und weiterer dort tätiger Ärzte<br />
selbst durchführte. Amerikanische und<br />
europäische Zeitungen schrieben damals<br />
ausführlich über dieses aufsehenerregende<br />
Experiment, mit dem die<br />
Möglichkeit eines langen, strengen Fastens<br />
ohne gesundheitliche Nachteile<br />
bewiesen wurde.<br />
Neben Henri Tanner muß man auch<br />
Edward Hooker Dewey erwähnen, <strong>der</strong><br />
als praktischer Arzt die therapeutischen<br />
Wirkungen des Fastens entdeckte.<br />
Nie<strong>der</strong>gelassen in Meadville,<br />
Pennsylvania, hat Dewey zwischen<br />
1878 und 1905 zahlreiche Fastenkuren<br />
geleitet, die er in seinen Büchern beschrieb.<br />
In „The True Science of Living"<br />
(8) — in mehrere Sprachen übersetzt<br />
— betonte Dewey den Unterschied<br />
zwischen Hungern und Fasten.<br />
Er vertrat die Meinung, daß man<br />
Kranke mit fieberhaften Infekten nicht<br />
überernähren sollte: Die Verdauungsvorgänge<br />
würden dabei zuviel „vitale<br />
Energie" den Heilungsprozessen entziehen.<br />
Die damalige Schulmedizin lehnte Dr.<br />
Dewey ab, weil es seinen Buchern angeblich<br />
an wissenschaftlicher Objektivität<br />
fehlte. Sein Einfluß auf die Kollegen<br />
aber, wie Dr. Guelpa (9) in Frankreich,<br />
Dr. von Segesser (10) o<strong>der</strong> Dr.<br />
Bertholet (11) in <strong>der</strong> Schweiz, war<br />
ebensogroß wie auf Schüler in den<br />
USA. Der bekannteste davon war<br />
Herbert Shelton (12), selber nicht<br />
Arzt, aber Mitglied einer Reformbewegung<br />
„Natural Hygiene". Eine Weiterentwicklung<br />
dieser Bewegung, die<br />
heute Tausende von Mitglie<strong>der</strong>n zählt,<br />
hat heute das Konzept „Fit for Life"<br />
(13) geprägt.<br />
Deutsche Fastenärzte<br />
Dewey beeinflußte zwei wichtige deutsche<br />
Ärzte: Gustav Riedlin aus Freiburg<br />
und Siegfried Möller aus Dresden.<br />
Diese beiden Ärzte, die schon mit den<br />
damaligen Pionieren <strong>der</strong> „Lebensreform",<br />
wie Bircher-Benner, Schroth<br />
(1800-1851) und Kneipp (1821-<br />
1897), in Kontakt gekommen waren,<br />
veröffentlichten auch selber Bücher<br />
über Fasten. Riedlin schil<strong>der</strong>te das Fasten<br />
mit poetischen Titeln „Die große<br />
Useputzete" (14) o<strong>der</strong> „Fastenkuren<br />
und Lebenskraft" (15). Das Thema<br />
Lebenskraft und die Dualität von Stoff<br />
und Geist spielten bei Riedlin eine<br />
große Rolle. Er unterscheidet zwei<br />
Stufen des Fastens, eine Unterstufe zu<br />
körperlichen Zwecken und als Oberstufe<br />
das spirituelle Fasten.<br />
Siegfried Möller, <strong>der</strong> zunächst Schroth-<br />
Kuren praktizierte, veranlaßte die<br />
Übersetzung von Deweys Buch ins<br />
Deutsche (16). Er sah im Fasten eine<br />
diätetische Askese zur Buße <strong>der</strong> gegen<br />
den Körper begangenen hygienischen<br />
Sünden. Er verfaßte verschiedene Bücher<br />
über Fasten und Ernährung.<br />
Diese Ärzte beeinflußten direkt Otto<br />
Buchinger, <strong>der</strong> wegen schwerer<br />
Krankheit selbst zum Fasten gekommen<br />
war.<br />
Am Anfang des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts publizierten<br />
auch an<strong>der</strong>e Ärzte Bücher<br />
wie Adolf Meier („Fastenkuren —<br />
Wun<strong>der</strong>kuren") (17). Interessanterweise<br />
sah man schon damals wie heute,<br />
daß auch Nichtärzte das Fasten propagierten.<br />
Man kann hier Arnold Ehret<br />
(18) aus Freiburg nennen und Erwin<br />
Hof (19), <strong>der</strong> sich selber als Heildiätetiker<br />
und Fastenleiter verstand und das<br />
Fasten „eine Operation ohne Messer"<br />
nannte.<br />
Fasten zwischen Tradition und<br />
Wissenschaft<br />
Schon um die Jahrhun<strong>der</strong>twende<br />
wurde es ganz deutlich, daß sich aus<br />
<strong>der</strong> traditionellen Praxis des Fastens<br />
das Fasten als medizinische Therapie<br />
herauskristallisierte. Dabei waren die<br />
Trennungen, die wir heute noch erkennen,<br />
schon zu spüren. Einerseits <strong>der</strong><br />
wissenschaftliche Ansatz, wobei Phänomene<br />
objektiv bei Mensch und Tier<br />
beobachtet werden, um <strong>der</strong>en biochemische<br />
und physiologische Zusammenhänge<br />
aufzudecken. 1895 veröffentliche<br />
Erwin Voit aus dem physiologischen<br />
Institut <strong>der</strong> tierärztlichen<br />
Hochschule München seine Publikation<br />
über „Die Bedeutung des Körperfettes<br />
für die Eiweißzersetzung des<br />
hungernden Tieres" (20). Schon damals<br />
bewies er dabei die bremsende<br />
Wirkung des Fettgewebes auf die Eiweißkatabolie.<br />
Nach Tanner und seinem<br />
dokumentierten Selbstfasten wie<strong>der</strong>holten<br />
an<strong>der</strong>e Wissenschaftler diese<br />
Beobachtung von langandauernden<br />
Fastenverläufen: Francis Benedict in<br />
Washington veröffentlichte einen akribischen<br />
Bericht des 31tägigen Fastens<br />
von Monsieur Levanzin „A study of<br />
prolonged fasting" 1915 (21).<br />
Parallel zu dieser Forschungsarbeit, die<br />
die ersten Grundlagen zum Verständnis<br />
<strong>der</strong> Fastenphysiologie darstellt, gab<br />
es auch an<strong>der</strong>e Ärztinnen. Diese sogenannten<br />
Fastenärzte und -ärztinnen<br />
gehörten mehr <strong>der</strong> Strömung <strong>der</strong> Naturheilverfahren,<br />
<strong>der</strong> Diätetik und <strong>der</strong><br />
Lebensreformer an. Meistens hatten<br />
sie das Fasten am eigenen Leib erfahren,<br />
viele aus Krankheitsgründen wie<br />
Otto Buchinger. Die physiologische,<br />
spirituelle o<strong>der</strong> gar esoterische Dimension<br />
des Fastens ließen sie nicht außer<br />
acht. Beson<strong>der</strong>s E. Heun (22) hat die<br />
Psychologie des Fastenerlebnisses herausgearbeitet.<br />
In vielen Büchern beschrieben sie die<br />
Wirkungen des Fastens auf zahlreiche<br />
Krankheiten. Die Indikation Übergewicht<br />
war damals sekundär.<br />
Erwähnenswert sind Otto Buchinger<br />
(23), F. X. Mayr (24), Werner Zabel,<br />
W. Zimmermann (25) und vorher<br />
schon Schroth sowie Herbert Shelton<br />
(26) in den USA. Sie eröffneten Sanatorien<br />
und nahmen stationäre Patienten<br />
auf. Das Fasten wurde durch<br />
„Hilfsmethoden" flankiert: Bewegung,<br />
Darmreinigungsmaßnahmen,<br />
Naturheilverfahren. Typisch für Buchinger<br />
waren „Die heilende Seelenführung"<br />
und das Rö<strong>der</strong>n, typisch für<br />
F. X. Mayr die Bauchbehandlung und<br />
252 Arztezeitschnft für Naturheilverfahren 35, 4 (1994)