Gesamte Ausgabe runterladen - Zentralverband der Ãrzte für ...
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G. Brubacher, Kurze Geschichte des Hungerns<br />
rung im 12. vorchristlichen Jahrtausend<br />
ist vermutlich auf eine solche Wan<strong>der</strong>ung<br />
zurückzuführen. Als Wan<strong>der</strong>ung<br />
eines Hirtenvolkes seien hier die Wan<strong>der</strong>ungen<br />
<strong>der</strong> jüdischen Sippen von Ur<br />
nach Kanaan und dann weiter nach<br />
Ägypten und zurück genannt.<br />
Ackerbautreibende Völker können<br />
nicht so einfach in an<strong>der</strong>e Regionen<br />
ausweichen. Sie müssen, um einer Katastrophe<br />
zu entgehen, Vorräte anlegen,<br />
das heißt, sie müssen mehr arbeiten,<br />
als unmittelbar zum Leben notwendig<br />
ist. Nun beträgt in subsistierenden<br />
Gesellschaften die tägliche Arbeitszeit<br />
im Jahresdurchschnitt für alle<br />
arbeitsfähigen Personen etwa drei<br />
Stunden (S. J. C. Gaulin, M. Konner,<br />
1977). Diese Zeit genügt, um alle<br />
Glie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft, also auch<br />
Kin<strong>der</strong> und Greise, mit Nahrung zu<br />
versorgen, reicht aber nicht aus, um<br />
Vorräte anzulegen. Die Einführung<br />
<strong>der</strong> Vorratshaltung fiel zeitlich mit<br />
dem Beginn <strong>der</strong> Staatenbildung zusammen,<br />
und es kann vermutet werden,<br />
daß hier ein innerer Zusammenhang<br />
besteht. Man brauchte offenbar<br />
die Staatsgewalt, welche dafür sorgte,<br />
daß <strong>der</strong> einzelne zusätzliche Arbeit leistete,<br />
um Vorräte anzusammeln. Wer<br />
in <strong>der</strong> Folge über Vorräte verfügte, besaß<br />
die Macht. Nahrung wurde im<br />
Lauf <strong>der</strong> Geschichte immer wie<strong>der</strong> als<br />
Machtmittel eingesetzt und später<br />
Geld, mit dessen Hilfe Nahrung erworben<br />
werden kann.<br />
Es würde zu weit führen, zu versuchen<br />
eine Übersicht darüber zu geben, wie<br />
und wo Nahrung im Lauf <strong>der</strong> Geschichte<br />
als Machtmittel eingesetzt<br />
wurde. Unsere Zeitgeschichte bietet<br />
hier genügend Anschauungsmaterial.<br />
Stichwortartig seien einige Beispiele<br />
genannt: die Belagerung, das Embargo<br />
und die Zerstörung von Lebensmittelvorräten<br />
und <strong>der</strong> fruchtbaren<br />
Erde; unterkalorische Nahrungszufuhr<br />
bei Gefangenen und Konzentrationslagerinsassen;<br />
die unterkalorische Versorgung<br />
von Zwangsarbeitern und sogenannten<br />
„freien" Arbeitern (die<br />
Drohung eines noch stärkeren Nahrungsentzuges<br />
zwingt immer wie<strong>der</strong>,<br />
die verlangte Arbeit auszuführen); die<br />
Erzeugung von Hungersnöten zur<br />
Hochhaltung <strong>der</strong> Preise.<br />
Dieses Vorgehen ist beson<strong>der</strong>s bei<br />
Nahrungsknappheit wirksam. Wenn<br />
heute noch etwa 8% <strong>der</strong> gesamten<br />
Menschheit unmittelbar vom Verhungern<br />
bedroht sind, so ist dies nicht einer<br />
mangelnden Nahrungsmittelproduktion<br />
zuzuschreiben, son<strong>der</strong>n dem<br />
Umstand, daß dieser Teil <strong>der</strong> Menschheit<br />
zu arm ist, um sich die notwendige<br />
Nahrung zu kaufen. Es sollte darum<br />
alles getan werden, damit sich die Bevölkerung<br />
dieser ärmsten <strong>der</strong> Entwicklungslän<strong>der</strong><br />
die notwendige Nahrung<br />
beschaffen kann, sei es dadurch, daß<br />
die reicheren ihnen ihre Ware zu einem<br />
Preis abkauft, welcher ihnen erlaubt,<br />
genügend Nahrung zu beschaffen,<br />
o<strong>der</strong> daß ihnen Nahrung zu einem<br />
Preis angeboten wird, <strong>der</strong> ihren finanziellen<br />
Möglichkeiten entspricht.<br />
Es wurde bereits darauf hingewiesen,<br />
daß Naturkatastrophen und ebenso<br />
kriegerische Ereignisse und politische<br />
Wirren und in Zukunft wohl auch sogenannte<br />
Ökokatastrophen die Nahrungsmittelversorgung<br />
in Frage stellen.<br />
Es versteht sich von selbst, daß in jenen<br />
Gebieten, wo Hunger infolge solcher<br />
Ereignisse herrscht, nur eine direkte<br />
Lebensmittelhilfe eine Hungerkatastrophe<br />
verhin<strong>der</strong>n kann.<br />
Literatur<br />
Braudel, F.: Sozialgeschichte des 15. bis.<br />
18. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Der Alltag, Kindler,<br />
München (1985) 41, 73.<br />
Brothwell, P., D. Brothwell: Manna und<br />
Hirse. Philipp von Zabern, Mainz<br />
(1984) 252.<br />
Eaton, S. B., M. Konner: Paleolithic Nutrition.<br />
NewEngl. J. Med. 312 (1985) 283-<br />
289.<br />
Ganzin, M.: Gerechte Nahrungsmittelversorgung<br />
für alle. Unesco Kurier 16/5<br />
(1975) 4-11, 36-37.<br />
Gaulin, S. J. C, M. Konner: On the<br />
Natural Diet of Primates, Including<br />
Humans. In: Nutrition and the Brain 1,<br />
edited by R. J. Wurtman and /. J. Wurtman.<br />
Raven Press, New York (1977) 43.<br />
Schelp, F.-P.: Akute und chronische<br />
Unterernährung in <strong>der</strong> Dritten Welt.<br />
Vortrag, gehalten am 2. April 1993 in<br />
Basel.<br />
Whiting, M. G.: A cross-cultural nutrition<br />
survey. Doctoral thesis, Havard School<br />
of Public Health (1958), zitiert in Gaulin,<br />
S. J. C, M. Konner (1977) 56-57.<br />
Anschrift des Verfassers:<br />
Dr. phil. G. Brubacher, a. o. Prof. em.<br />
Rudolf-Wackemagel-Str. 38, CH-4125<br />
Riehen.<br />
290 Arztezeitschnft für Naturheilverfahren 35, 4 (1994)