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20 FUSSBALL RICARDO RODRIGUEZ<br />
Manchmal kann<br />
Körpersprache die<br />
schönsten Komplimente<br />
ausdrücken.<br />
Als der beste Fussballer<br />
der Welt,<br />
Lionel Messi, am<br />
1. Juli 2014 in São Paulo zum wiederholten<br />
Mal vergeblich versucht hatte, an Ricardo<br />
Rodriguez vorbeizukommen, verwarf er die<br />
Hände und blickte ratlos in den Himmel. Der<br />
Schweizer aber spielte weiter, als wäre nichts<br />
passiert, als hätte er bei den C-Junioren<br />
einem anderen Buben den Ball abgenommen.<br />
Die Fussballwelt begriff trotz der bitteren<br />
Schweizer Niederlage im WM-Achtel final<br />
spätestens da, dass Ricardo Rodriguez einer<br />
der besten linken Aussenverteidiger<br />
der Welt ist.<br />
Was man in Deutschland längst wusste.<br />
Seit er im Januar 2012 mit 19 Jahren beim<br />
Bundesligisten VfL Wolfsburg angeheuert<br />
hatte, steigerte er sich kontinuierlich. Die<br />
Vorurteile, die man dem Zuzug aus Zürich in<br />
Deutschland anfänglich entgegenbrachte,<br />
zerstreute er schnell. Heute ist er ein Star<br />
beim Bundeliga-Spitzenklub. «Rici», dessen<br />
Brüder Roberto (24, FC St. Gallen) und Francisco<br />
(20, FC Zürich) ebenfalls Profifussballer<br />
sind, fehlte als Einziger des Teams vergangene<br />
Saison keine Minute. Und aus der Nati<br />
ist der in Schwamendingen aufgewachsene<br />
Sohn eines Spaniers und einer Chilenin sowieso<br />
nicht mehr wegzudenken.<br />
Dabei hing seine Karriere am seidenen<br />
Faden, noch ehe sie begann: Gleich nach der<br />
Geburt am 25. August 1992 musste bei ihm<br />
eine lebensbedrohliche Zwerchfell-Hernie<br />
operiert werden. Rici meisterte nicht nur diesen<br />
Test. Messis Geste drückte nicht weniger<br />
aus als: Rodriguez gehört mit erst 22 Jahren<br />
zur Fussball-Weltklasse.<br />
Ricardo Rodriguez, mit welcher Hand<br />
schreiben Sie?<br />
Mit der rechten.<br />
Und sind aber im Fussball ein ausgesprochener<br />
Linksfuss. Merkwürdig, oder?<br />
Stimmt, das habe ich mir noch gar nie überlegt.<br />
Das war aber schon immer so, von klein<br />
auf. Auch mein Vater sagte ganz früh zu mir:<br />
Du kannst mit dem linken Fuss viel besser<br />
«MEINE<br />
STÄRKE? AUCH<br />
WENNS<br />
HEKTISCH<br />
WIRD, WEICHE<br />
ICH NIE VON<br />
MEINEM<br />
AUFTRAG AB»<br />
spielen. Mittlerweile habe ich aber auch mit<br />
r echts einigermassen zu kicken gelernt …<br />
Aber es schon richtig, ich spiele den Ball<br />
wenn irgend möglich immer mit links.<br />
Zu Ihren grössten Auftritten gehören<br />
jene, in denen Sie ausgesprochene Weltklasse-Linksfüsser<br />
wie Argentiniens<br />
Angel de Maria im WM-Achtelfinal oder<br />
Bayerns Arjen Robben damals in der<br />
Champions-League-Quali mit dem FCZ<br />
komplett abmeldeten. Nur ein Zufall?<br />
Jedenfalls in Bezug auf den Fuss. Es ist für<br />
mich sogar schwieriger, gegen einen Linksfuss<br />
zu verteidigen. Er kann leichter gegen<br />
innen ziehen, ohne dass ich den Ball mit meinem<br />
stärkeren Fuss attackieren kann. Während<br />
der Rechtsfüsser eigentlich nur aussenherum<br />
gehen kann, wenn ich ihn gut zustelle.<br />
Nun werden Sie immer öfter für solche<br />
Leistungen gelobt und von Fachleuten<br />
oder Fachmagazinen unter die besten<br />
Verteidiger der Welt eingereiht. Was<br />
macht Sie so stark?<br />
Ich glaube, zuallererst ist es mein extremer<br />
Erfolgswillen. Trotz dieses Ehrgeizes bleibe<br />
ich auf dem Platz in jeder Situation sehr ruhig.<br />
Auch wenn es hektisch wird, weiche ich<br />
nicht von meinem Auftrag ab. Und dann bin<br />
ich einer, der Eier hat, sich nie einschüchtern<br />
lässt.<br />
Ein Ergebnis Ihrer Zeit in der Bundesliga?<br />
Nicht unbedingt. Ich war schon früher «en<br />
freche Siech», auch neben dem Fussballplatz.<br />
Schon meine Mitspieler im Juniorenalter<br />
wunderten sich manchmal, wie wenig<br />
mir die Gegenspieler imponieren konnten.<br />
Und Sie schnappten sich damals schon<br />
alle stehenden Bälle?<br />
Ja, schon als kleiner Junior bei Schwamendingen<br />
habe ich die Freistösse und Penaltys<br />
geschossen. Das ist quasi ein Talent, das<br />
ich von Geburt an hatte. Aber ich habe auch<br />
sehr früh angefangen, stehende Bälle ausdauernd<br />
zu trainieren. Zielschiessen zusammen<br />
mit meinen Brüdern und Freunden im<br />
Hinterhof, täglich, jede freie Minute. Wir waren<br />
richtige Strassenfussballer.<br />
In der Schule dagegen soll Ihre Ausdauer<br />
weniger gross gewesen sein.<br />
Stimmt. Ich war nicht gut in der Schule. «Es<br />
hät mi halt eifach chli aagschisse.» Ich hatte<br />
den Kopf immer und überall beim Fussball.<br />
Bereuen Sie das heute?<br />
(überlegt länger) Nein, eigentlich nicht. Ich<br />
habe mir meinen Lebenstraum erfüllt. Mir<br />
fehlt nichts.<br />
Sie haben vergangene Saison insgesamt<br />
48 Spiele fast immer über die volle Distanz<br />
bestritten. Werden Sie nie müde?<br />
Doch. Mein Kopf war auch Ende des Jahres<br />
noch bereit, aber mein Körper benötigte<br />
dringend eine Pause. Wegen der WM hatte<br />
ich kaum Ferien. Ich verletzte mich dann ja<br />
am hinteren Oberschenkel, und es war eine<br />
sehr merkwürdige Verletzung. Ich weiss heute<br />
noch nicht, was es eigentlich ist. Ich spüre<br />
es immer noch ein wenig, die Ärzte bekamen<br />
es nie ganz in den Griff. Das war wohl ein<br />
Warnsignal meines Körpers an mich.<br />
Wie beugen Sie solchen Übermüdungsverletzungen<br />
vor?<br />
Mir reicht das Mannschaftstraining nicht. Ich<br />
FOTO: SVEN SIMON<br />
SCHWEIZER ILLUSTRIERTE <strong>SPORT</strong>· März 2015