58 TENNIS SERENA WILLIAMS SIEG! Williams nach dem 19. Grand-Slam- Triumph an den Australian Open in Melbourne. «ICH BIN IN DEN LETZTEN JAHREN ALS TENNIS SPIELERIN UND ALS MENSCH REIFER GEWORDEN» «Hallo, hier spricht Serena», beginnt sie ihr Video auf Time.com. In ihrem Workout-Trainingsanzug und allein auf einem Sofa sitzend sieht sie ziemlich entspannt aus. Dann erklärt sie, warum sie nach Indian Wells, «das Turnier, an dem ich 1999 meinen ersten Sieg auf der Tour feierte», aber auch «den Ort, an dem ich einen Teil meiner selbst verloren habe» zurückkehren will. Sie erinnert sich, wie die Fans sie und ihre Schwester Venus ausbuhten, nachdem sich Venus in letzter Sekunde von ihrem Halbfinal-Match 2001 zurückgezogen hatte. Das Pfeifkonzert hörte auch nicht auf, als Serena zu ihrem Einzelfinal antrat. Deshalb schwor sich die Familie Williams, nie wieder an dieses Turnier zurückzukehren. Serenas Vater Richard wollte gar rassistische Beschimpfungen gehört haben und stand demonstrativ mit zu einem Black- Power-Gruss geballter Faust auf. «Wir waren Aussenseiter», sagt Serena. Es war nicht das erste Mal, dass sich die Familie Williams mit der negativen Seite eines afroamerikanischen Aufsteigers in einer weissen Sportart auseinandersetzen musste. Nachdem so viel Zeit vergangen ist, sieht es jedoch aus, als würde Serena versuchen, offene Fragen zu klären, alte Wunden zu verschliessen und sich selbst einzugestehen, wie viel sie bereits erreicht hat. Richard Williams nannte Serena und ihre Schwester einst «Ghetto-Cinderellas», weil sie sich aus dem kriminellen Milieu von Compton, einem Vorort von Los Angeles, hochgearbeitet hatten. Seine Prophezeiung, sie, und nicht Venus, würde einst als beste Tennisspielerin aller Zeiten in die Geschichte eingehen, hat sich weitgehend bewahrheitet. Trotzdem verspürte Serena Ende 2012 bei einem Platzinterview das Bedürfnis, die US-Fans um Unterstützung für den bevorstehenden Final zu bitten. «Leute, ich bin Amerikanerin. Die Einzige, die noch im Tableau verblieben ist. Für Amerika!» Weil sie schon so lange auf der Tour ist, fliegen Serena immer mehr Herzen und Respektbezeugungen der amerikanischen Öffentlichkeit zu. Alles bestens. Aber warum will sie jetzt oder überhaupt wieder in Indian Wells starten? Diese Wende kommt für alle überraschend. «Ich bin in den letzten Jahren als Tennisspielerin und als Mensch reifer geworden», erklärt sich Williams im «Time»-Magazin-Auftritt. «Aus diesem Grund will ich zurückkehren. Das Tennis hat sich verändert, und auch ich habe mich verändert.» Die Geschichte wird zeigen, dass die Williams- Schwestern das Tennis mehr verändert haben als der Sport sie selbst. Im Gegensatz zu ihrer Schwester Venus kämpft Serena vehement darum, nicht von anderen definiert zu werden. Oder sich einschränken zu lassen. «Nein, das wird sie nie zulassen», schmunzelt Mouratoglou wissend. GEGEN DEN STROM Serena und Venus wohnen immer noch zusammen in einem Haus in Florida. Aber Serena ist die erste US-Tennisspielerin der jüngeren Geschichte, die gegen den Strom schwimmt und sich einen Teil des Jahres in Europa aufhält. Sie hat in Paris eine Wohnung gekauft, lernt Französisch und trainiert in der Akademie von Mouratoglou. Mehr als Venus geniesst sie ihren Status als Berühmtheit, übt sich als Schauspielerin, schreibt eine Autobiografie und preist ihre Unter-100-Dollar- Modelinie endlos in den 24-Stunden-Shops eines amerikanischen Fernsehsenders an. Serena ist in allen sozialen Netzwerken vertreten. Einst war sie mit dem Filmproduzenten Brett Ratner liiert. Später gestand sie, dass ihre Krise 2012 die Folge einer Depression nach der gescheiterten Beziehung zu Rapper Common war. Gelegentlich erwähnt Serena, dass sie sich ernsthaft nach einem Kind sehnt, weshalb sie in Betracht zieht, ihre Eizellen einfrieren zu lassen, um sich nach dem Ende ihrer Tenniskarriere der Familienplanung zu widmen. «Alles hat seinen Preis», meint sie. Williams scheint es offensichtlich nicht zu stören, dass sie von Paparazzi verfolgt wird, wenn sie in einer Disco in New York City mit Caroline Wozniacki, ihrer neben Venus besten Freundin auf der Tour, Platten auflegt oder an den Oscar-Partys über den roten Teppich schreitet. Einzige Ausnahme bildet die Tatsache, dass Serena der weit verbreiteten Annahme, sie und Mouratoglou hätten eine intime Beziehung, stets widersprochen FOTOS: QUINN ROONEY/GETTY IMAGES, MARK SELIGER/MANAGEMENT + ARTISTS SCHWEIZER ILLUSTRIERTE <strong>SPORT</strong>· März 2015
WAHRE LIEBE Serena mit dem Jack-Russel-Terrier «Jackie». Sie hat zudem einen Malteser-Hund namens «Lorelei».