22 FUSSBALL RICARDO RODRIGUEZ muss mehr machen, auch neben dem Fussballplatz. Massage, Regeneration, Gymnastik, das brauche ich einfach. Sogar zu Hause mache ich regelmässig meine Übungen. Sie sind als Aussenverteidiger ein unermüdlicher Läufer. Kein Drang, weiter vorn zu spielen? Ich finde eigentlich nicht, dass ich ein grosser Läufer bin. Ich mache das eher mit Köpfchen, sehe, wann ich laufen muss und wann es nichts bringt. Die Spielweise von Stephan Lichtsteiner, der dauernd am Rennen ist, vorwärts, zurück, die ist nichts für mich. Ich bin gern hinten und habe meine Zone im Griff. Wenn ich nach vorn gehe, dann nur, wenn ich eine reelle Chance auf eine erfolgreiche Offensivaktion sehe. Die Mittelfeld-Aussenseite reizt Sie nicht? Da musst du ja noch mehr rennen! (lacht) Im Ernst: Ich habe das auch schon gespielt, oder auch schon in der Innenverteidigung, eigentlich auf fast allen Positionen. Aber auf jener des Aussenverteidigers fühle ich mich eindeutig am wohlsten. In die Glamourwelt des grossen Fussballs passt Ricardo Rodriguez eigentlich nicht. Fast scheu wirkt er im Gespräch, als wäre ihm jede andere Bühne als der Fussballplatz eine Qual. Sein Privatleben hält er unter Verschluss. Wären da nicht seine langen Haare, die er in der Öffentlichkeit konsequent zu einem Knoten am Hinterkopf, seinem Markenzeichen, zusammengebunden hat, er würde fast farblos wirken. Was ihn keineswegs stört. Rodriguez will wegen seines Spiels beachtet werden. Immerhin so viel weiss man: Mit seiner gut 20-jährigen Zürcher Freundin Nicole ist er seit etwas mehr als zwei Jahren zusammen. Sie spielen als Aussenverteidiger im Hintergrund, fast etwas «versteckt» – entspricht das Ihrem Naturell? Vielleicht. Es gibt tatsächlich Dinge, die ich lieber mache, als Interviews zu geben. Ich stehe nicht so gern im Vordergrund. Ihr älterer Bruder Roberto hat unlängst gesagt, in Wolfsburg seien Sie gegen aussen offener geworden. Stimmt, da habe ich mich wirklich verbessert. Ich habe die Notwendigkeit erkannt. Aber WELTMEISTER! Mit den Kollegen Chappuis, Seferovic und Nimeley (v. l.) bejubelt Rodriguez 2009 in Nigeria den U17-WM- Finalsieg gegen die Gastgeber. «ICH LEBE NICHT EINFACH IN DEN TAG HIN- EIN. VIELLEICHT HAT DAS MIT DEM ZU TUN, WAS ICH ERLEBT HABE» ich gebe auch heute noch nicht sehr gern Inter views, vor allem nicht im Fernsehen oder im Radio. Was du da gesagt hast, hast du gesagt, das kannst du nicht zurücknehmen. Und ich bin kein geschliffener Redner. Meine Brüder tun sich da leichter. Letztes Jahr waren wir als Studiogäste im SRF-Sportpanorama. Ehrlich, allein wäre ich da nicht hingegangen. Ich sass dort und staunte: Wie die beiden geplappert haben! Zu Hause allerdings bin ich schon etwas anders. Da rede ich gern und viel. Ich sage da auch immer offen, wenn mir etwas nicht passt. Fragen Sie ruhig mal meine Brüder. Zuletzt gingen die Spekulationen hoch. Manchester, Real, Chelsea, Bayern – alle sollen Interesse an Ihnen haben. Und doch haben Sie Anfang Jahr beim wenig glamourösen VfL Wolfsburg bis 2019 verlängert. Wegen der guten Chancen auf die Champions League? Sicher auch. Ich habe mich mit meinen Beratern lange unterhalten. Dass es nun so gut läuft, war schon ein Argument, zu verlängern. Und nun ist noch Schürrle gekommen. Das zeigt: Man will etwas Grosses aufbauen. Sie sind neu der bestverdienende Mannschaftssportler der Schweiz. Erledigen Sie die Bezahlung Ihrer Rechnungen selbst? Ich habe da schon meine Leute, die mir behilflich sind. Und ich lasse mich in solchen Dingen auch gern von meiner Familie beraten, besonders vom älteren Bruder. Ab und zu leiste ich mir was Schönes. Aber am liebsten gebe ich Geld für meine Familie aus. Ich möchte ihnen ermöglichen, ein schönes Leben zu führen. Das ist mir das Wichtigste. Sie fahren einen Porsche. Darf man das als Angestellter des VW-Werksklubs? Sicher, es gibt keine Vorschriften. Höchstens, dass man ausserhalb des Klubgeländes parkieren muss, wenn man nicht mit einem VW kommt. Das hab ich auch schon gemacht, es ist nicht weit. Ausserdem fahre ich auch einen VW, einen Touareg. Können Sie in Wolfsburg eigentlich unbehelligt auf die Strasse, oder sind Sie inzwischen zu berühmt? Es kennt mich hier mittlerweile jeder. Wolfsburg ist klein. Aber die Leute sind anständig und zurückhaltend, höchstens Kinder kommen mal und wollen Autogramme. Wenn ich keine Lust habe, angesprochen zu werden, ziehe ich mir eine Kappe tief über die Augen. Aber es nützt wenig, man kennt mich trotzdem. Meine Frisur halt … Über Ihr Privatleben reden Sie kaum. Trotzdem haben Sie sich mit Ihrer Freundin Nicole im Oktober, als Sie verletzt waren, auf die Tribüne gesetzt, gut sichtbar für alle Fotografen. Bewusst? Es war eigentlich eher Zufall, dass es sich so ergab. Aber wir sind jetzt doch schon etwas länger zusammen, und weil wir wussten, dass irgendwann sowieso Handy-Fotos gemacht würden, die dann an die Öffentlichkeit kommen, liessen wir es geschehen. Das Berühmtsein hat seine Kehrseite, wie der Vorfall an Silvester in einem FOTOS: TOTO MARTI/BLICK<strong>SPORT</strong>/RDB, ACTION IMAGES/PIXATHLON SCHWEIZER ILLUSTRIERTE <strong>SPORT</strong>· März 2015
GLÄUBIG Auf dem Arm trägt Ricardo ein Marien-Tattoo, am Hals ein Kreuz. Er hat schon viel durchgemacht. Die OP-Narbe am Bauch zeugt davon.