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FOTO: ALBERTO E. RODRIGUEZ/GETTY IMAGES<br />
büsste – im Gegenteil, sie wurde noch stärker.<br />
Weil sie freier spielte. Williams sagte,<br />
nachdem sie aufgehört hatte, sich einzureden,<br />
sie müsse unbedingt den 18. Grand-<br />
Slam-Titel gewinnen, sei etwas Unglaubliches<br />
passiert. «Es lief wieder. Es ist einfach<br />
passiert. Es ist alles eine Frage des Selbstvertrauens.»<br />
«WIR WURDEN OFT VERLETZT»<br />
Ihre langjährige Gewohnheit, am Morgen<br />
mit dem Gedanken aufzuwachen: Wie kann<br />
ich die Beste bleiben?, konnte Serena noch<br />
nicht ablegen. Einige ihrer längeren Abwesenheiten<br />
von der Tour, darunter ihr Spitalaufenthalt<br />
nach der Lungenembolie-Operation,<br />
waren für sie «eine Erleichterung. Ich<br />
weiss, das klingt verrückt.»<br />
Williams hat nun 28 ihrer insgesamt 65 Titel<br />
gewonnen, seit sie sich als 30-Jährige neu<br />
orientiert hat. Ihren Sieg an den Australian<br />
Open kürzlich erzielte sie erstaunliche<br />
16 Jahre nach ihrem ersten Grand-Slam-<br />
Titel. «Das ist für mich das Eindrücklichste an<br />
allem», sagt Martina Hingis. «Ich hätte nie<br />
gedacht, dass sie so lange dranbleibt», sagt<br />
bewundernd Roger Federer.<br />
Williams will mindestens bis zu den Olympischen<br />
Spielen 2016 weitermachen. Trotzdem<br />
fällt auf, dass sie sich bereits über die<br />
Grundlinie hinaus Gedanken über ihr weiteres<br />
Leben macht. In der Familie wurde Serena<br />
stets als das «verwöhnte» Nesthäkchen<br />
gehänselt. Doch jetzt wächst sie über sich<br />
hinaus. Als sie in Kenia Kinder traf, deren<br />
Lernwille so gross war, dass sie ihre Aufgaben<br />
mit Stöcken in den Dreck schrieben, weil<br />
sie weder Papier noch Bleistift hatten, half sie<br />
mit, zwei Schulen zu finanzieren. Eine dritte<br />
Einrichtung ist geplant. Serena sponsert<br />
zudem acht College-Stipendien für amerikanische<br />
Teenager. Sie will Menschen motivieren,<br />
die «von Haus aus nicht viel haben, aber<br />
es trotzdem schaffen können. Jeder kann es<br />
schaffen, wenn er an sich selbst glaubt.»<br />
Williams 71-jähriger Vater Richard will sich<br />
ein Beispiel an ihr nehmen. Seine aufrüttelnde<br />
Autobiografie gab er letztes Jahr nur<br />
heraus, weil «Serena mir sagte, es könnte<br />
jemandem helfen». Richard, der selbst immer<br />
wieder Opfer von Rassendiskriminierung<br />
war, vor allem während seiner Kindheit<br />
IM ELEMENT Serena Williams, die selbst eine<br />
Modelinie hat, an der Oscar-Party des<br />
US-Magazins «Vanity Fair» in West-Hollywood.<br />
«SERENA,<br />
ICH WILL,<br />
DASS DU MICH<br />
ÜBERHOLST,<br />
DASS DU<br />
DEN 19. TITEL<br />
HOLST»<br />
CHRIS EVERT<br />
im Süden der USA, gestand, dass er bei den<br />
Lesungen manchmal in Tränen ausbrach.<br />
«Ich konnte kaum glauben, dass man mich<br />
akzeptierte. Das Einzige, was ich wusste,<br />
war, dass mich die Leute für verrückt hielten.<br />
Wir haben viel Schlimmes erlebt und wurden<br />
oft verletzt», fügt er hinzu. Doch was, wenn<br />
man die Perspektive wechselt? Was, wenn<br />
man sich an der Zahl der Triumphe anstatt<br />
der Niederlagen misst? Wäre es nicht<br />
möglich, dass dadurch Raum für Freude und<br />
Zufriedenheit entsteht?<br />
Mouratoglou sagt, Serena habe kürzlich<br />
damit angefangen, Videos von den Spielen<br />
anderer Tennisgrössen und von ihren eigenen<br />
Matches anzuschauen. Die Aufnahmen<br />
sind teilweise fünf, manche sogar zehn Jahre<br />
alt. Sie will herausfinden, was für eine Spielerin<br />
und was für ein Mensch sie damals war<br />
und inwiefern sie sich verändert hat.<br />
Nach ihrem diesjährigen Sieg an den<br />
Australian Open wurde sie von den TV-<br />
Kameras eingefangen, als sie ausser sich<br />
vor Freude einen Korridor hinunterrannte,<br />
flankiert von Dutzenden von Fans. Beim<br />
Gespräch mit Chris Evert im US-TV waren die<br />
Differenzen, die es über die Jahre zwischen<br />
ihnen gegeben hatte, kein Thema. Evert hatte<br />
Serena in einem offenen Brief aufgefordert,<br />
endlich aufzuhören, ihr einmaliges Talent<br />
zu verschleudern, als sie mit Motivationsproblemen<br />
kämpfte. Serena sass entspannt<br />
neben Evert und erzählte, wie Chris ihr vor<br />
Beginn des Turniers gesagt hatte: «Serena,<br />
ich will, dass du mich überholst, dass du den<br />
19. Titel holst und dass du es hier tust.»<br />
«Ich hatte diese Worte immer in meinem<br />
Ohr, es war so selbstlos, so toll», gestand<br />
Williams gegenüber Evert. «Danke für die<br />
Unterstützung und Ermutigung.» Williams<br />
hat sich wieder klar an der Tennisspitze<br />
etabliert und scheint fast unbesiegbar zu<br />
sein.<br />
Wenn sie im Mai in Paris und danach in<br />
Wimbledon spielt, wird sie sich mit Sicherheit<br />
auf ihr Mantra besinnen und sich einreden,<br />
dass sie kein weiteres Match mehr gewinnen<br />
muss, weil sie sich schon mehr als bewiesen<br />
hat. Jeder kann glauben, was er will.<br />
Die Aussenseiterin kommt aus der Kälte.<br />
Aber in der unersättlichen Kämpferin Serena<br />
lodert ein Feuer.<br />
März 2015· SCHWEIZER ILLUSTRIERTE <strong>SPORT</strong>