DIN – der Verlag heißt Beuth. - Baukammer Berlin
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Baukultur<br />
Andrä: Die öffentliche Hand setzt Baurecht,<br />
aber sie will es nicht mehr durchsetzen.<br />
Man kann das damit vergleichen,<br />
dass man zwar Verkehrsregeln aufstellt,<br />
aber auf die Verkehrspolizei verzichtet.<br />
Nach dem Einsturz <strong>der</strong> Eissporthalle in<br />
Reichenhall wurden viele Versammlungs-<br />
und Sporthallen überprüft. Nicht<br />
weniger als fünf Prozent <strong>der</strong> über 1000<br />
Hallen, die von Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Bundesvereinigung<br />
<strong>der</strong> Prüfingenieure überprüft<br />
wurden, waren einsturzgefährdet und<br />
mussten geschlossen werden. Das heißt,<br />
dass sich mehrere 10000 Bürger in<br />
Lebensgefahr befanden, die erst durch<br />
das Ereignis des Einsturzes in Reichenhall<br />
und das anschließende Erwachen<br />
abgewendet wurde. Der Verzicht des<br />
Staates auf die Durchsetzung von Baurecht<br />
wirkt sich also auf die Sicherheit<br />
<strong>der</strong> Bürger aus.<br />
PAZ: In einem Interview mit dem „Focus“<br />
unterstellten Sie dem Staat, dass die<br />
öffentliche Hand keine Verantwortung<br />
mehr für die Sicherheit tragen möchte.<br />
Eine provokante These!<br />
Andrä: Der Prüfingenieur war originär<br />
hoheitlich tätig. Diese hoheitliche Funktion<br />
wurde ihm nun aber in einer Reihe von<br />
Bundeslän<strong>der</strong>n aberkannt. Dabei wurde<br />
stets das Argument ins Feld geführt,<br />
»Wir befinden uns<br />
auf dem gleichen Weg<br />
wie die ehemalige DDR«<br />
dass man die Eigenverantwortlichkeit<br />
<strong>der</strong> Bürger stärken müsse, und dass man<br />
dies nur dadurch erreichen könne, dass<br />
staatliche Kontrollen abgebaut werden.<br />
Der Bürger könne einen Prüfingenieur ja<br />
aus Privatinteresse selbst einschalten.<br />
Selbst die Bankenkrise, die ja hinsichtlich<br />
<strong>der</strong> Eigenverantwortlichkeit Bände<br />
spricht, hat hier zu keinem Umdenken<br />
geführt.<br />
PAZ: Der Preisdruck in <strong>der</strong> Bauwirtschaft<br />
ist mit verantwortlich für den zunehmenden<br />
Pfusch. Inwieweit verstärkt die<br />
öffentliche Hand in ihrer Funktion als<br />
Bauherr diese Entwicklung noch?<br />
Andrä: Die öffentliche Hand verstärkt<br />
diese Entwicklung durch ihre Vergabepraxis,<br />
bei <strong>der</strong> im En<strong>der</strong>gebnis <strong>der</strong> billigste<br />
Bieter – unabhängig von Qualifikation<br />
und Leistungsbereitschaft – den Auftrag<br />
erhält. Das ist natürlich am einfachsten,<br />
weil man dann kein fachlich qualifiziertes<br />
Personal, das in unabhängiger Stellung<br />
32 | <strong>Baukammer</strong> <strong>Berlin</strong> 3/2010<br />
nur <strong>der</strong> Sache verpflichtet ist, mehr vorhalten<br />
muss, son<strong>der</strong>n die Entscheidungen<br />
auch Betriebswirten und Juristen<br />
überlassen kann. Es ist dringend erfor<strong>der</strong>lich,<br />
das Vergaberecht zu reformieren,<br />
wenn weiterer Schaden von unserem<br />
Staat abgewendet werden soll.<br />
PAZ: Hat <strong>der</strong> spektakuläre Einsturz <strong>der</strong><br />
Kölner U-Bahn Auswirkungen auf die<br />
Handhabung <strong>der</strong> Bauaufsicht gehabt?<br />
Andrä: Bei <strong>der</strong> Fortführung <strong>der</strong> Baumaßnahme<br />
in Köln selbst sind zweifellos<br />
Gerade hat Deutschland den „Tag <strong>der</strong><br />
Architektur“ gefeiert. Wie<strong>der</strong> wurde das<br />
Recht unserer Zeit auf eigenen, unverwechselbaren<br />
Ausdruck beschworen.<br />
Doch was ist all das in Beton gegossene<br />
Millimeterpapier unserer bauwütigen<br />
Epoche gegen die Schönheit <strong>der</strong> verschwindenden<br />
europäischen Stadt?<br />
Alles hat seine Zeit, und so kann man<br />
auch die Jahre, in denen die schönsten<br />
bürgerlichen Wohnungen gebaut wurden,<br />
klar bestimmen. Wie jede große Zeit<br />
in dem unruhigen, verän<strong>der</strong>ungssüchtigen<br />
Europa dauerte sie nicht lang, etwa<br />
zwischen 1880 und 1910. Diese Jahre<br />
werden Grün<strong>der</strong>zeit genannt, weil<br />
damals die großen deutschen Industrieunternehmen<br />
und Banken gegründet<br />
wurden, es waren goldene Jahre in<br />
<strong>der</strong> an glücklichen Epochen armen deutschen<br />
Geschichte.<br />
wichtige Weichenstellungen getroffen<br />
worden, um weitere Fehlermöglichkeiten<br />
zu reduzieren. Ein grundsätzlicher Wille<br />
<strong>der</strong> Bauministerien, aus <strong>der</strong> Bauaufsicht<br />
wie<strong>der</strong> ein Instrument zu machen, das<br />
wirkungsvoll vorbeugende Maßnahmen<br />
zur Schadensvermeidung und zum<br />
Schutz <strong>der</strong> Bürger ergreifen kann, ist bisher<br />
aber nicht erkennbar.<br />
Mit freundlicher Genehmigung des Autors<br />
und <strong>der</strong> Preußischen Allgemeinen Zeitung.<br />
Ein Schlaglicht auf die deutsche Baukultur:<br />
Und wir nennen diesen Schrott<br />
auch noch schön<br />
Martin<br />
Mosebach,<br />
1951 in Frankfurt<br />
am Main geboren,<br />
wo er auch lebt,<br />
ist ein Erzähler,<br />
Romancier und<br />
Essayist, <strong>der</strong> in<br />
Werken, wie<br />
„Westend“ (1992). „Die Türkin“ (1999),<br />
„Der Nebelfürst“ (2001) o<strong>der</strong> „Der Mond<br />
und das Mädchen“ (2007) die Stadt Frankfurt<br />
immer wie<strong>der</strong> aufs Neue zum Zentrum<br />
senes literaischen Schaffens gemacht hat.<br />
Zu seinen zahlreichen Auszeichnungen<br />
zählt <strong>der</strong> Büchner-Preis (2007).<br />
Martin Mosebach<br />
Chesterton nennt das eigentliche Zeitalter<br />
<strong>der</strong> Demokratie das neunzehnte Jahrhun<strong>der</strong>t.<br />
Die Grün<strong>der</strong>zeitwohnungen<br />
sind dann auch die Übertragung des<br />
Schloss-Ideals in bürgerliche Verhältnisse.<br />
Je<strong>der</strong> sollte in einem Schloss wohnen<br />
können. Nun, nicht je<strong>der</strong>, aber doch viele,<br />
jedenfalls unvorstellbar viel mehr<br />
Menschen als in allen vorangegangenen<br />
Jahrhun<strong>der</strong>ten. Was bis dahin nur zu<br />
einem Schloss gehörte - die hohen Dekken,<br />
<strong>der</strong> reiche Stuck, die Flügeltüren,<br />
das knirschende Parkett, die Enfilade,<br />
die Suite <strong>der</strong> Repräsentationsräume und<br />
die davon geschiedenen privaten Zimmer<br />
-, das wurde nun in großen Wohnvierteln<br />
tausendfach für Beamte und Professoren,<br />
für Ärzte und Anwälte verwirklicht,<br />
die bis dahin, auch wenn sie wohlhabend<br />
waren, in den beschränkten<br />
Kammern und Stübchen <strong>der</strong> ehrwürdigen<br />
dichtgedrängten Altstadthäuser<br />
gelebt hatten, in bestrickend schönen<br />
und phantasieanregenden Gemäuern,<br />
denen aber die ständische Subalternität<br />
deutlich an die schmalbrüstigen Fassaden<br />
geschrieben war.<br />
Und nun dies herrliche Meer von Platz<br />
um die Bewohner. Je<strong>der</strong> Raum war in seinen<br />
Proportionen genau konzipiert: Die<br />
Stuck-Panneux an den Wänden rahmten<br />
die in ihnen gehängten Bil<strong>der</strong> ein zweites<br />
Mal und waren auch ohne Bil<strong>der</strong> ein<br />
Schmuck und eine Glie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Flächen;<br />
<strong>der</strong> Stuck akzentuierte die Dekkenmitte<br />
und bildete einen Sockel für<br />
den Kronleuchter. Mit kassettierten<br />
Türen und Lamperien, Holzwerk um die<br />
Fenster und kaminförmigen Heizungsverkleidungen<br />
waren die Zimmer einge-