8 Drei Jahre ONE WEEK. NO MEDIA!9Drei Jahre ONE WEEK. NO MEDIA!Drei JahreONE WEEK. NO MEDIA!„Da war echt was los“„Ich finde die Aktion ONEWEEK. NO MEDIA! totalüberflüssig. Medien sind doch wasTolles. Ich verstehe absolut nicht,warum ich darauf verzichten soll.“Das sagte nicht etwa ein teilnehmenderSchüler, sondern ein Vater.Wie läuft es ab, wenn Kinder undJugendliche mit ihren Familieneine Woche lang auf Medienverzichten – wo doch jeder zweiteNeuntklässler einen eigenen Fernseherhat und die 10 bis 13-Jährigentäglich über drei Stunden vordem Fernseher sitzen, die Zeit vordem Computer und der Playstation<strong>no</strong>ch nicht eingerechnet?„Wir haben eine Fahrradtourgemacht und geredet wie schonlange nicht mehr“, berichtete Svenaus der sechsten Klasse der Jahn-Realschule Bad Cannstatt.Eine Lehrerin an der GrundschuleBurgholzhof, die in unmittelbarerNähe der Schule wohnt, sagte unsim Auswertungsgespräch, dass inder medienfreien Woche auf denStraßen deutlich mehr Kindergemeinsam gespielt haben: „Dawar echt was los.“ Eine Kollegindieser Lehrerin erzählte, dassnach dem Ende der medienfreienWoche zwei Klassen den Wunschgeäußert hätten, die medienfreieZeit zu verlängern – zumindest wasdas Fernsehen angeht. Schön seigewesen, viel Zeit zu haben. Dassdie Eltern mehr Zeit, mehr Ruhe,mehr Muße gehabt hätten. Dass amAbend viele Freunde draußen zumSpielen auf der Straße gewesenseien.Ein Lehrer war mit seinen Schülernins Schullandheim gefahren.Er berichtete, dass die Kinder dieMedien überhaupt nicht vermissthätten. Die Gewohnheiten imAlltag daheim könnten so natürlichnicht durchbrochen werden, dochmit ONE WEEK. NO MEDIA!würden Energiepotentiale geweckt.Aufkommende Langeweile sei fürihn so ein Energiepotential. Siewirke nur deshalb so bedrohlich,weil die Kinder nicht wüsstenwohin mit ihrer Energie. Für ihnist klar: Passiver Medienkonsumschläfert ein, medienfreie Zeitvitalisiert.2007 bis 2009 haben in über 40Schulklassen und Jugendgruppenmedienfreie Wochen stattgefunden.Alle Schulformen – Grundschule,Hauptschule, Realschule, Förderschulenund Gymnasien – warenvertreten. Am besten funktioniertedie Aktion in der Altersgruppevon acht bis zwölf Jahren, also beiSchülern der zweiten bis sechstenKlasse. Wenn die Kinder jüngersind, verstehen sie den Sinn derAktion nicht ganz. Sind sie älter,ist die Aktion zu uncool, weilelektronische Interaktion in der sogenannten Peergroup, der GruppeGleichaltriger, einen extrem hohenStellenwert hat.Auffallend war, dass in der Gruppeder unter Zwölfjährigen nichtdie Computerspiele den größtenTeil der Medienzeit einnehmen,sondern das Fernsehen.Ein Lehrer stellte an einem Montagmorgenden Schülern seinersechsten Klasse die Aufgabe, einenAufsatz über ihr spannendstesWochenenderlebnis zu schreiben.Einige Schüler haben den Film„Das Kettensägenmassaker“, deram Sonntagabend davor um 23Uhr ausgestrahlt wurde, in diesemAufsatz „verarbeitet“.Schockiert war nicht nur derLehrer, sondern auch die Eltern,denen diese blutrünstigen Aufsätzeauf dem Elternabend vorgelesenwurden. Es motivierte sie zusätzlich,an der medienfreien Wocheteilzunehmen.Viele Kinder und Jugendlichehaben die Aktion deutlich ernsterge<strong>no</strong>mmen als ihre Eltern. Sohaben Kinder erzählt, ihre Elternhätten in der Projektwoche denFernseher eingeschaltet. Fast alledieser Kinder haben für sich trotzfehlender Unterstützung die Wocheohne Medien durchgezogen. Auchwenn einige Eltern die Aktionnicht unterstützt haben: die Mehrheitfand sie gut.Ein Jugendlicher berichtete, dassseine Familie in der Woche dieMahlzeiten getrennt einge<strong>no</strong>mmenhabe, weil der Vater die Aktion ablehnte,seine Schwester auch nichtmitmachen wollte und die beidendarum wie immer vor dem Fernseherzu Abend gegessen hätten.Er selbst sei in der medienfreienWoche mit der Mutter in der Küchegesessen. Mahlzeiten vor demlaufenden Fernseher – in vielenFamilien traurige Wirklichkeit.Die Auswertungsbögen der medienfreienWoche berichten vonvielen Vorsätzen, zumindest die gemeinsamenMahlzeiten medienfreizu gestalten.Die vorliegende Dokumentationüber drei Jahre ONE WEEK.NO MEDIA! in Stuttgart undUmgebung will die Erfahrungenund Erlebnisse der Initiatoren, derteilnehmenden Eltern, Lehrer, Kinderund Jugendlichen wiedergeben.Nicht mehr und nicht weniger.Der Leser soll sich selbst ein Bildmachen.ONE WEEK. NO MEDIA! hattevon Anfang an nicht die Intention,Medien zu verteufeln. Im Gegenteil:die Initiative will Projekteanregen, in denen mit Medienaktiv und kreativ umgegangenwird. Ursprüngliches Ziel war, dieDiskussion zum Thema Medienkonsumanzustoßen. Im Projekt istdann eher die Erkenntnis gewachsen,dass Medien zivilisiert werdenmüssten.Grundsätzlich haben wir dieErfahrung gemacht, dass übermäßigerMedienkonsum ein Problemaller Schichten und Schulformenist. Hauptschüler und Menschenin sozialen Problemlagen warenam schwersten zu motivieren, siehaben oft nur zwei bis drei Tage aufMedien verzichtet. Dort wo ohnehinweniger Medien konsumiertwerden, traf die Aktion auf ehergute Akzeptanz. Wo hingegen vieleMedien konsumiert werden, wurdedas Projekt tendenziell schlechterange<strong>no</strong>mmen.Welche Initiative schafft es,Menschen dazu zu bewegen, eineWoche oder länger auf Medienzu verzichten? Was kann eineMutter motivieren, den Fernseherdauerhaft aus dem Kinderzimmerzu entfernen? Was lässt zwei Jungenaus reiner Langeweile einen Rapsongschreiben?Der temporäre Verzicht auf Medienkann ein wirksames Instrumentsein, um einen bewussten undverantwortungsvollen Umgang mitaudiovisuellen Medien zu fördern.Alle Beteiligten – also Schüler,Lehrer und Eltern – beteiligtensich überwiegend gleichermaßenund konnten sich daher gegenseitigunterstützen. Das war ein wesentlicherErfolgsfaktor für das Gelingendes Projektes.Es wurde sehr deutlich, dass dasLeben aus erster Hand deutlichmehr Spaß macht als das Leben auszweiter Hand. Eine medienfreieWoche kann jede Menge Impulsefür eine nachhaltige Korrekturvon übermäßigem Medienkonsumgeben. Sie kann festgefahrene Freizeitverhaltensmuster,die sich aufMedien konzentrieren, aufbrechen.Das soziale Miteinander in einerFamilie, Klasse oder Gruppe neuund aktiver gestalten. Es wird jedeMenge Zeit freigesetzt, die aktivgefüllt werden muss. Dadurch wirdder Blick zwangsläufig auf soziale,sportliche und kulturelle Aktivitätenin unmittelbarer Umgebunggelenkt. Angebote sind ausreichendvorhanden, die Teilnehmer müssendiese nur suchen und finden.Die Zeit ohne Medien fördertEigenaktivität und Kreativität undermöglicht auch schlicht Ruhe undSchlaf. Verzicht als Grundidee isteine alte Methode. Aber die Ideeentfaltet immer wieder Kraft undspendet Energie für das Durchhalten.Das Projekt ONE WEEK. NOMEDIA! ist nun soweit ausgereift,dass alle Interessierten die Wocheohne Medien in Eigenregie durchführenkönnen. Hilfestellungenund Instrumente stehen weiterhinunter www.one-<strong>week</strong>-<strong>no</strong>-<strong>media</strong>.de zur Verfügung. Die Initiatorenwünschen sich, dass Schulen, dieangekündigt haben, die medienfreieWoche in ihr Schulprofil aufzunehmen,dies nachhaltig umsetzenund dass die medienfreie Wochedauerhaft viele Nachahmer findet.Martin Tertelmann
10 ONE WEEK. NO MEDIA! Was ist das?11ONE WEEK. NO MEDIA! Was ist das?ONE WEEK. NO MEDIA!Was ist das?ONE WEEK. NO MEDIA! ist eine Projektinitiativeder Evangelischen Gesellschaft Stuttgart (eva) und vonrelease, die sich gegen übermäßigen und unkontrolliertenMedienkonsum richtet.Sie will Medienkompetenz undeinen gesunden Umgang mit audiovisuellenMedien vermitteln.Ausgangspunkt sind besorgniserregendeStudien und Veröffentlichungen,die auf den direktenZusammenhang von übermäßigemMedienkonsum und gesundheitlichenStörungen hinweisen – wieÜbergewicht, Bewegungsmangel,Verschlechterung der Schulleistungen,verminderte sozialeKompetenz, Zunahme der GewaltundAggressionsbereitschaft undSuchtverhalten.Die Initiative richtet sich an Kinderund Jugendliche, deren Elternund Erziehungsberechtigte undan Pädagogen. Sie alle sollen dasProjekt gemeinsam durchführenund eine Woche lang auf Medienverzichten. Das fördert den Dialogund kann das soziale Miteinanderneu ordnen.Eine medienfreie Woche soll dasBewusstsein für den eigenen Medienkonsumund einen verantwortungsvollenUmgang damit fördernund außerdem das Risiko einerSpielsucht verringern.Die Jugendlichen, die übermäßigMedien konsumieren, werden ehernicht freiwillig auf sie verzichten –doch genau sie sind die Kernzielgruppeder Aktion ONE WEEK.NO MEDIA!. Ziel ist es, sie überSchulklassen und Gruppenverbändezu erreichen und einzubinden.Aktiv statt passivONE WEEK. NO MEDIA! willdie Medien nicht verteufeln. Zielist es, die Beteiligten vom passivenMedienkonsum zum aktiven,kreativen Handeln zu bewegen.Das kann mit und ohne Mediengeschehen.Statt passivem Musikkonsum –aktiv eigene Musik und Texteschaffen.Statt passivem Konsum von Filmenund Bildern –aktiv und kreativ eigene Bilderproduzieren.Statt anderen Menschen bei Abenteuernzuzuschauen –eigene Abenteuer erleben.Statt sich in virtuellen Welten zubewegen –in der realen Welt handeln.Statt anderen Menschen beim Lebenzuzuschauen –selber leben.Lust auf eigenes aktivesLebenIm Juli 2007 haben 28 Schülerder Klasse 6a der Jahn-RealschuleStuttgart-Bad Cannstatt eineWoche lang auf audiovisuelleMedien verzichtet. Im Juni und Juli2008 haben 34 Schulklassen undGruppen im Großraum Stuttgartdie medienfreie Woche durchgeführt.Verzichtet haben nicht nurdie Schüler, sondern auch ihreLehrer, Eltern und teilweise ihreGeschwister. Die Teilnehmer hattenmit einem Mal jede Menge Zeit,die zu füllen war. Deshalb habensie gemeinsam gespielt, gelesen,miteinander geredet, Gedichteund Rapsongs geschrieben, sindgeschwommen, haben gechilltoder einfach geschlafen und sichausgeruht.Die medienfreie Woche ist auchüber diesen kurzen Zeitraumhinaus wirksam: Eine Mutter hatsich anschließend entschlossen, denFernseher aus dem Kinderzimmerihres Sohnes zu verbannen. MitSchrecken hatte sie während dereinwöchigen Abwesenheit vonFernseher, Computer, Playstationund Handy gemerkt, was an aktiverFreizeitgestaltung möglich war.Über die Wiederentdeckung vonSport, Spiel, Kunst, Kultur undsozialem Miteinander wird die Lustauf eigenes aktives Leben geweckt.Durch den zeitweiligen Verzichtgeraten attraktive Alternativenzum übermäßigen Medienkonsumwieder ins Blickfeld. Und tretenidealerweise dauerhaft an die Stelledes passiven Konsums.
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