Originalarbeitenchem <strong>der</strong> Apostel PAULUS mit LYDIAdie erste europäische Christin taufte –schon seit <strong>der</strong> Antike ein deutschenTorfen fast identisches Peloid vor, undin den Thermen <strong>der</strong> Eugeniden beiAbano, Montegrotto und Battaglia beiPadua wird <strong>der</strong> seit gotischer ZeitFango genannte Heilschlamm schonseit vorrömischer Zeit genutzt. Nichtzu vergessen sind auch die Bade- undReisegewohnheiten einiger europäischerHerrscherhäuser im 18. undfrühen 19. Jahrhun<strong>der</strong>t, <strong>der</strong>en Angehörigees gewohnt waren, sich nichtnur in Baden-Baden, Wiesbaden, Emso<strong>der</strong> Karlsbad, son<strong>der</strong>n auch in Dax inSüdfrankreich o<strong>der</strong> St. Amand-les-Eaux in Französisch-Flan<strong>der</strong>n balneologischmit <strong>der</strong> dortigen „Boue“ pflegenzu lassen.Diese damals auf die Aristokratiebeschränkte Möglichkeit des Ba<strong>der</strong>eisenssteht nun auch – durch diegeschmacklosen Begriffe wie „Wellness“,„Thalassotherapie“ etc. verbrämt,– teutonischen Kassenpatientenoffen, das Akzeptieren gekürzter,Kompaktkur genannter Heilverfahren,günstige Vertragsabschlüsse und dieVeranlassung durch überregional denkendeÄrzte vorausgesetzt. Geschickteund ökonomisch vorteilhaft unterbautePropaganda lockt nun mit kurortologischenNeuheiten, die in Wahrheitgar nicht neu sind, nach BadHéviz in Ungarn, Pistyan in <strong>der</strong>Slowakei, Franzensbad in Böhmen,Pomorie in Bulgarien o<strong>der</strong> in dieBä<strong>der</strong> <strong>der</strong> Krim, und natürlich geht<strong>der</strong> gehobene Mittelständler nachAbano, vielleicht sogar nach Dax imVorland <strong>der</strong> französischen Pyrenäen.Ein Begriff taucht dort als eine Artvon Lockmittel auf: <strong>der</strong> „ThermalMud“, die alte „Boue Thermale“ unsererfranzösischen Freunde, und <strong>der</strong>Mil<strong>der</strong>ung Suchende denkt: Das ist es,und nichts an<strong>der</strong>es!In unserer auf Eichung, Normungund Standardisierung gerichteten ordentlichenWesensart fragen wir uns:Was ist das, dieser „thermal mud“?Der Verfasser hat sich zu dieserFrage ein paar Gedanken gemacht,und er erlaubt sich, diese dem erlebnishungrigenGesundheitstouristenund natürlich den Fachgenossen vorzulegen.Einige Grundfakten <strong>der</strong>Peloid-Balneologie und-TerminologieInterdisziplinäre Wissensgebietewie die Balneologie zeichnen sichdadurch aus – man könnte auch sagen:leiden darunter –, dass sich in demOrchester, das sie sinnbildhaft repräsentiert,Dissonanzen erkennen lassen,welche daher rühren, dass die betei-1/2 SeiteCefakÄrztezeitschrift für Naturheilverfahren 47, 4 (2006)207
Originalarbeitenligten Instrumentengruppen im Gegensatzzu <strong>der</strong> Intention des auf Harmoniebedachten Komponisten dieTendenz haben, die an<strong>der</strong>en Gruppenzu verdrängen und zu übertönen. Dieseim Sinne einer Kakophonie wirksameRivalität spiegelt sich in <strong>der</strong> Balneologie,<strong>der</strong> <strong>der</strong> Vergleich mit demZusammenspiel innerhalb eines Orchestersgilt, als Unterschied in Lehrmeinungen,Denkweisen und Technikenwi<strong>der</strong>; und sie ist beson<strong>der</strong>s dannungünstig und unpraktisch, wenn sichaus dieser Unterschiedlichkeit bei Versuchenzur Begriffsdefinition Denkweisenaus bestimmten Teildisziplinendurchzusetzen versuchen. Dieentsprechenden Definitionsversuchesind dann meist einseitig, im Extremfalleentbehren sie <strong>der</strong> Logik.Der Volksmund hält für einensolchen Tatbestand den Spruch von<strong>der</strong> Vielzahl <strong>der</strong> Köche, die den Breiver<strong>der</strong>ben, bereit, und im vorliegendenFalle ist es ja in <strong>der</strong> Tat ein Brei,ein breiartiges Medium, <strong>der</strong> Heilschlamm,um den es geht. Der Gedankean den Urschlamm, aus demalles Leben kommt und dessen Heilkraftin <strong>der</strong> Lage ist, Leben zu verjüngen,mindestens Lebensqualität zuverbessern, Schmerzen erträglicher zugestalten, drängt sich hierbei auf. Und<strong>der</strong> bibelfeste Peloidforscher behauptetja sogar, dass <strong>der</strong> Bibelspruch mitdem am Anfang stehenden Wort falschübersetzt worden sein muss, denn esheißt nichtΕΝ ΑΡΧΗ ΗΝ Ο ΛΟΓΟΣ(Am Anfang war das Wort)son<strong>der</strong>nΕΝ ΑΡΧΗ ΗΝ Ο ΠΗΛΟΣ(Am Anfang war <strong>der</strong> Schlamm).Es ist wohl überflüssig zu bemerken,dass dieses keinesfalls dieMeinung <strong>der</strong> Theologen wie<strong>der</strong>gibtund nicht als ernsthafter Einwurf betrachtetwerden sollte.Ungeachtet dieser Seitenbemerkungdürfte feststehen, dass <strong>der</strong> überwiegendeTeil <strong>der</strong> Wissenschaftler <strong>der</strong>Meinung ist, dass Begriffssysteme,mit welchen sie umgehen, eine logischeund folgerichtige Ordnung besitzenmüssen. Nur dem Genie billigenwir zu, dass es ohne jegliche Ordnungauskommt. Aber natürlich ist,dass <strong>der</strong> Weg zur Befriedigung diesesOrdnungsstrebens nun einmal mitunterschiedlichen Steinen gepflastertsein kann; und außerdem verläuft erbei dem einen schnurgerade, beiman<strong>der</strong>en mäandrierend.Für die Fachleute, die sich mit <strong>der</strong>Peloidwissenschaft befassen, trifftdiese Betrachtung in beson<strong>der</strong>emMaße zu, zumal da ihre beruflicheHerkunft deutlich verschiedenartig ist.Denn es handelt sich bei diesen Fachleutendoch um–applikativ in <strong>der</strong> Kurortmedizin tätigeTherapeuten, die beson<strong>der</strong>s an<strong>der</strong> spezifischen Wirkungsweise <strong>der</strong>Heilmittel bei definierten Krankheitsfällen(Indikationen) interessiertsind,– um Pharmakologen, die viel lieberwissen möchten, auf welchen Ingredienziendie Wirkung des peloidischenHeilmittels beruht.– Die Vertreter <strong>der</strong> Peloidchemie werdenzu dieser Frage möglicherweisemit Erkenntnissen aus dem Gebiet<strong>der</strong> Huminstoff-Forschung beitragenkönnen, während– die Beiträge <strong>der</strong> Fachleute auf demGebiet <strong>der</strong> physikalischen Therapiesich auf die Fakten bezüglich Konsistenz,Rheologie, Quellvermögen,Wärmeleitfähigkeit etc. konzentrierenwerden, so dass sie– den Physiotherapeuten daraufhinraten können, wie sie das peloidischeMedium am besten aufbereiten,temperieren und <strong>der</strong> betreffendenIndikation am besten anpassenkönnen.– Mikrobiologen, Hygieniker, Vertreter<strong>der</strong> Gesundheitsbehörden werdensich hinwie<strong>der</strong>um auf die Fragen<strong>der</strong> gesundheitsrechtlichen Behandlungund Beobachtung desMaterials und <strong>der</strong> Anwendungenund Installationen konzentrieren;darüber hinaus kann die Mikrobiologiebei bestimmten Peloiden einenwichtigen Beitrag zum Einsatz bestimmterOrganismengruppen bei<strong>der</strong> Aufbereitung zum Zwecke <strong>der</strong>Erhöhung <strong>der</strong> Wirksamkeit <strong>der</strong>selbenliefern.– Die Geowissenschaftler werden, dasie für die Erkennung des spezifischenMaterials, das therapeutischzum Einsatz kommt, zuständig sind,bei <strong>der</strong> Exploration und Exploitation<strong>der</strong> petrographisch-faziell,möglicherweise auch geobotanischgeochemisch– und sonst kaum –deutlich unterscheidbaren Natursubstanzendas entscheidene Wortsprechen müssen. Darüber hinaussind sie für die Ermittlung <strong>der</strong> rohstoffwirtschaftlichenMachbarkeit<strong>der</strong> Gewinnung, Lagerung und Entsorgungunverzichtbare Gehilfen.Mit an<strong>der</strong>en Worten: Das balneologischeFragenspektrum ist beantwortbar,indem eine interdisziplinäreArbeitsgruppe zum Zwecke seinerEntwirrung zum Einsatz kommt. Stetswird am Anfang <strong>der</strong> entsprechendenTätigkeit dabei die Natursubstanz unddie mit ihr zusammenhängende naturräumlicheFixierung des in ein Naturheilmittelzu transferierenden Materialsstehen, und deshalb ist dieser Teildes interdisziplinären Teams zuerstgefragt.Denn – und das muss allen an<strong>der</strong>enÜberlegungen vorangestellt werden– diese Rohmaterialien, aus denendie Heilmittel-Gruppe <strong>der</strong> Peloidebesteht, sind Gesteine, und zwar teilsstark wasserhaltige Lockergesteine –die dann Eupeloide heißen (Lüttig,1990, Deutscher Bä<strong>der</strong>verband 1991,Deuntscher Bä<strong>der</strong>verband 1999) –,teils in die Form feinkörniger Lockergesteinedurch Zerkleinern + Mahlen(= Dressing) gebrachte Festgesteine –dann Parapeloide genannt. Durchdiesen „Tatbestand“ gerät, ähnlich wiein <strong>der</strong> Heil- und Mineralwasserkunde,in letzterem Falle wegen ihrer hydrogeologisch-hydrochemischenMerkmale,die Geologie (im weitestenSinne) in den Kreis <strong>der</strong> balneologi-208Ärztezeitschrift für Naturheilverfahren 47, 4 (2006)