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Burschenschaftliche Blätter 2014 - 4

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Schwerpunkt<br />

schaftsfeindlichen Büchern dem Feuer<br />

übergeben.<br />

Turnen und Burschenschaft war<br />

anfangs identisch<br />

Die Burschenschaft hatte in den Freiheitskriegen<br />

ihre Wurzeln, in der unter dem Einfluß<br />

von Jahns, Fichtes und Ernst Moritz<br />

Arndts Volkstumslehre, christlicher Erweckung<br />

und patriotischer Freiheitsliebe<br />

stehenden antinapoleonischen Kampf<br />

deutscher Studenten. Diese Studenten begriffen<br />

die Freiheitskriege gegen Napoleon<br />

als einen Zusammenhang von innerer Reform,<br />

innenpolitischem Freiheitsprogramm<br />

und Sieg über die Fremdherrschaft und<br />

stellten sich bewußt in die Traditionen der<br />

Mannhaftigkeit und Kampfbereitschaft. Zugleich<br />

wurden sie dadurch besonders hervorgehobene<br />

Bewahrer und Fortsetzer der<br />

deutschen Nation. Dieser Beginn der Nationalbewegung,<br />

die Burschenschaft, war<br />

die erste gesamtnationale Organisation<br />

des deutschen Bürgertums überhaupt, deren<br />

Breite sich ermessen läßt vor dem Hintergrund,<br />

daß ihr mit bis zu 3.000 Mitgliedern<br />

1818/19 etwa ein Drittel der Studentenschaft<br />

Deutschlands angehörte.<br />

Als die ehemaligen Freikorpskämpfer und<br />

nunmehrigen Studenten nach 1815 ihr nationales<br />

Engagement in neue soziale Lebensformen<br />

umsetzten und die neue, zur<br />

nationalen Militanz neigende Burschenschaft<br />

gründeten, waren Turnen und Burschenschaft<br />

weitgehend identisch: ein turnender<br />

Student war Burschenschafter und<br />

umgekehrt. Nationale Einheit, Freiheit und<br />

sogar soziale Egalisierung waren eins. Der<br />

Burschenschafter Robert Wesselhöft<br />

schrieb in seiner 1828 erschienenen Schrift<br />

„Teutsche Jugend in weiland Burschenschaften<br />

und Turngemeinden“: „Turnplätze<br />

und Burschenschaften wurden sofort<br />

eng miteinander vereint. Die Idee, daß geistige<br />

und leibliche Ausbildung der Zweck<br />

des Lebens auf der Hochschule sei, hob<br />

mehr und mehr jedes steife, träge Vorurteil<br />

gegen das Turnen auf. In der Burschenschaft<br />

wie auf dem Turnplatze gab es keinen<br />

Unterschied der Stände.“ Diese<br />

Gleichsetzung wurden Turnwesen wie Burschenschaft<br />

1819 zum Verhängnis, als nach<br />

der Ermordung des Lustspieldichters und<br />

Spötters über die Burschenschaft Kotzebue<br />

durch den Theologiestudenten Carl Ludwig<br />

Sand und die nachfolgenden Karlsbader<br />

Beschlüsse die Verfolgung der Burschenschaft<br />

begann. Jeder Turner stand nun im<br />

Ruch des Umsturzes und der Revolution,<br />

wer turnte, der war potentiell gefährlich<br />

und ein möglicher Staatsfeind.<br />

Die insgeheim weiterbestehenden Burschenschaften<br />

turnten ob des erhöhten<br />

Verfolgungsdrucks immer weniger und<br />

schließlich nicht mehr. 1865, bei der 50-<br />

Jahr-Feier der ersten Burschenschaft in<br />

Jena, spielte das Turnen bereits keine Rolle<br />

mehr. Und im Kaiserreich<br />

sollte das<br />

so bleiben – obwohl<br />

die meisten Burschenschaften<br />

einen<br />

Passus über<br />

„Leibesübungen“<br />

in ihren Satzungen<br />

hatten.<br />

Die Körperertüchtigung<br />

rückte in den<br />

Hintergrund<br />

Warum hatte sich<br />

die Einstellung der<br />

Burschenschafter<br />

so gewandelt? Eine<br />

Antwort ist vielschichtig.<br />

Das Bürgertum,<br />

das seit<br />

der Mitte des 18.<br />

Jahrhunderts im<br />

Mittelpunkt der<br />

Gesellschaft gestanden<br />

hatte und<br />

überall der Träger<br />

der Modernisierung<br />

gewesen war,<br />

verlor seine Geschlossenheit<br />

und<br />

fraktionierte sich.<br />

Die handarbeitende<br />

Bevölkerung<br />

wurde mehr und<br />

mehr zu industriellen<br />

Lohnarbeitern<br />

mit dem eigenen<br />

sozialen Bewußtsein<br />

einer „Arbeiterklasse“,<br />

die sich selbst zu organisieren<br />

begann. Um so mehr setzten sich die<br />

Schichten, die nicht zu ihr gehören wollten,<br />

von dieser ab und „orientierten sich<br />

gesellschaftlich nach ‚oben‘“. Das Bürgertum<br />

von Besitz und Bildung suchte die<br />

Nähe des Adels und seiner Sozialvorstellungen,<br />

grenzte sich nicht mehr von ihm<br />

ab, sondern aristokratisierte sich, adelige<br />

Umgangsformen und Ehrbegriffe flossen<br />

mit älteren, elitaristischen Vorstellungen<br />

des Studententums vom „civis academicus“<br />

und seinen Sonderrechten zusammen<br />

und wurden zum zentralen verhaltenssteuernden<br />

Prinzip. Dies war eine mentale<br />

Neuorientierung, die von Fortschrittsgläubigkeit<br />

begleitet war, vom Glauben an die<br />

Notwendigkeit der stetigen Modernisierung.<br />

Nicht mehr philosophische Systeme,<br />

sondern Ökonomie, Naturwissenschaften<br />

und Technik gaben den Ton an.<br />

<strong>Burschenschaftliche</strong><br />

<strong>Blätter</strong><br />

Bürgerlicher Habitus verdrängte den revolutionären Turner-Gedanken.<br />

Dem entsprach aber andererseits ein mit einem<br />

Hang zur Historisierung, Romantisierung<br />

und Archaisierung verbundener Antimodernismus,<br />

der sich ebenso aus sozialen<br />

Abstiegsängsten wie ökonomischen und<br />

sozialmoralischen Vorbehalten speiste. Der<br />

Soziologe Norbert Elias – selbst Verbindungsmitglied<br />

in Breslau – faßte dies als<br />

die Herausbildung der „Gesellschaft der<br />

Satisfaktionsfähigen“ zusammen, deren<br />

Mitglieder über das Privileg verfügten, im<br />

Falle einer auch nur angenommenen Beleidigung<br />

unter Hintansetzung des staatlichen<br />

Gewaltmonopols Genugtuung mit der<br />

Waffe zu verlangen. In diesem Zusammenhang<br />

kam dem Turnen keinerlei Bedeutung<br />

in den Burschenschaften mehr zu. Vielmehr<br />

bildeten sich seit den späten 1850er Jahren<br />

spezielle akademische Turnvereine, die im<br />

Laufe der Zeit aber gleichfalls mehr und<br />

mehr korporativen Charakter annahmen,<br />

äußerlich den Burschenschaften immer<br />

ähnlicher wurden und sich in eigenen Verbänden<br />

(„Vertreter-Convent der Turnerschaften<br />

auf deutschen Hochschulen“,<br />

„Akademischer Turnbund“) zusammenschlossen.<br />

Eine breite Renaissance Jahns setzte in der<br />

Studentenschaft und damit auch in den<br />

Burschenschaften erst nach dem verlorenen<br />

Ersten Weltkrieg ein. Zuvor war das<br />

Turnen endgültig vom „Sport“ verdrängt<br />

worden. In den Ostseeuniversitäten Kiel,<br />

Rostock, Greifswald, Danzig und Königsberg<br />

trieb man Segelsport, der als „weißer<br />

Heft 4 - <strong>2014</strong> 125

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