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Burschenschaftliche Blätter 2014 - 4

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Geschichte<br />

III. Die Revolution von 1848/49<br />

In Breslau wurde im März 1848, in den ersten<br />

Tagen der Revolution, eine angekündigte<br />

Aufführung des Rossinischen Tell<br />

durch Verfügung des schlesischen Oberpräsidenten<br />

Wilhelm Felix Heinrich Magnus v.<br />

Wedell verboten. Grund dafür war, daß es<br />

im Vorfeld öffentliche Auseinandersetzungen<br />

während einer Versammlung gegeben<br />

hatte. Darüber hinaus traute die Regierung<br />

der ungewöhnlichen Ruhe am Faschingsdienstag<br />

nicht. Die lapidare Meldung der<br />

«Frankfurter Oberpostamts-Zeitung» lautete:<br />

„Durch eine Verfügung vom hiesigen<br />

königl. Polizei-Präsidium ist die für heute angekündigte<br />

Aufführung der Oper ‚Wilhelm<br />

Tell’ untersagt worden.“ An diesem Tag<br />

verbreitete sich in Breslau „das Gerücht, der<br />

bekannte Volksmann Graf Reichenbach<br />

würde im Theater erscheinen und eine Demonstrationsrede<br />

an das Publikum halten.<br />

Die ‚gefährliche‘ Oper mußte auf Befehl der<br />

Polizei in letzter Stunde abgesetzt werden<br />

und da eine andere Vorstellung in der Eile<br />

nicht möglich war, so fiel sie ganz aus.“<br />

Am 24. März 1848 wurde die Oper dann<br />

aber doch aufgeführt: „An dem Abend dieses<br />

Tages war das Breslauer Theater der<br />

Schauplatz einer seltenen Feier und eines<br />

Volks-Enthusiasmus, wie wir ihn seit 1813 in<br />

Breslau nicht gesehen haben.“ Mit diesen<br />

Worten beginnt der Bericht des Breslauer<br />

Kaufmanns Karl Friedrich Hempel<br />

(1789–1851) über die Geschehnisse. Im<br />

Folgenden beruft er sich auf eine nicht<br />

näher definierte Schilderung:<br />

„Es schien“, sagt ein Berichterstatter, „nicht<br />

ein Theater-Publikum sich versammelt zu<br />

haben, nicht Menschen, die gleichgültig<br />

und zufällig nebeneinander sitzen und da<br />

gekommen sind, um einige Stunden durch<br />

Sinnenreiz zu tödten. Nein! eine<br />

einzige große Familie war es,<br />

die sich versammelt hatte, um<br />

ein heiliges, für alle Glieder<br />

gleichen Antheil bietendes Fest<br />

zu feiern; die morschen Schranken<br />

der verschiedenen Stände<br />

schienen gefallen und alle wollten<br />

nur für einen Zweck für ein<br />

edles Gefühl sich einen. Ein<br />

Volksfest war es, dessen Sinn<br />

man nicht allein in der freudigen<br />

Stimmung erkannte, sondern<br />

auch in allen Äußerlichkeiten,<br />

wie die glänzenden Toiletten<br />

der Damen, geschmückt<br />

mit Bändern deutscher und des<br />

Landes Farben, das schönste<br />

Zeugniß gaben.“<br />

Das Theater selbst war festlich<br />

decorirt und erleuchtet; in der<br />

Mitte, der Bühne gegenüber,<br />

entfaltete sich mächtig das<br />

Banner Deutschland in seiner<br />

dreifarbigen Pracht. Als der<br />

Vorhang sich erhob, war auf<br />

der Bühne das sämtliche<br />

Opern-Personal im altdeutschen Costum<br />

und welches Fahnen deutscher Farben<br />

trug, in einem Halbkreis aufgestellt. (sic!)<br />

Herr Heese, ein junger talentvoller Schauspieler,<br />

als Genius der jungen deutschen<br />

Freiheit, trat vor und sprach, eine dreifarbige<br />

Fahne in der Hand, schön und erhebend<br />

den hierauf sich beziehenden Prolog<br />

von Lasker. Nachdem dieser mit dem allgemeinsten<br />

Beifall aufgenommen worden,<br />

sang Herr Rieger den Festgesang „Ich bin<br />

ein Deutscher, kennt ihr meine Farben“,<br />

ebenfalls von unserem Landsmann Lasker<br />

gedichtet. Das Publikum, förmlich electrisirt,<br />

sang im vollen Chor den Refrain mit<br />

und verlangte stürmisch die Wiederholung,<br />

die dann auch, gleichen Enthusiasmus erzeugend,<br />

erfolgte. Hierauf begann die<br />

Oper „Wilhelm Tell“, die von unserem<br />

peinlichen, engherzigen Ober-Präsidenten<br />

noch vor wenigen Tagen aufs strengste verboten<br />

worden und deren flammensprühende<br />

Musik ganz für die heutige Stimmung<br />

geeignet war. Nach dem ersten Akt<br />

stimmte die Versammlung zum dritten Mal<br />

den Laskerschen Festgesang an und nach<br />

dem zweiten Akt verlangte es die Marseillaise<br />

und beruhigte sich nicht eher, bis das<br />

<strong>Burschenschaftliche</strong><br />

<strong>Blätter</strong><br />

Orchester nachgab und das französische<br />

Volkslied spielte. Letzteres wurde später<br />

von der gesamten Presse scharf getadelt.<br />

Aus anderen deutschen Städten sind keine<br />

derartigen Zwischenfälle überliefert. Das<br />

liegt nicht etwa daran, daß die Oper nicht<br />

gespielt wurde. Vielmehr gab es 1848 zahlreiche<br />

Aufführungen. In Frankfurt am Main<br />

etwa wurde die Oper am 30. März 1848 am<br />

Vorabend der Versammlungseröffnung in<br />

der Frankfurter Paulskirche im Stadttheater<br />

aufgeführt. Erst 1849 ging die Zahl der Aufführungen<br />

etwas zurück. Die Oper wurde<br />

aber zumindest an vier Hofopern gespielt.<br />

Aber auch außerhalb der Theater wurde<br />

Rossinis Musik 1848 für politische Zwecke<br />

eingesetzt, vermutlich weil seine Musik immer<br />

noch sehr populär war. Am 7. August<br />

1848 kam es im Orangeriehaus zu Bessungen<br />

bei Darmstadt zu einer „Großen musikalischen<br />

Aufführung zum Besten der deutschen<br />

Kriegsflotte“, zu dem der Melomanen-Verein<br />

einen Trinkchor – vermutlich aus<br />

Le Comte Ory – von Rossini beisteuerte.<br />

Damit wurde Rossinis beliebter, aber gänzlich<br />

unpolitischer Chor für eine eminent politische<br />

Sache vereinnahmt, handelte es<br />

sich doch um ein Benefizkonzert zugunsten<br />

der von der Frankfurter Nationalversammlung<br />

gewollten deutschen Kriegsmarine im<br />

Zusammenhang mit dem Schleswig-Holsteinischen<br />

Krieg (1848–1851).<br />

IV. Schluß<br />

Die wenigen, aber markanten Beispiele haben<br />

gezeigt, daß die Musik Rossinis und<br />

die Aufführungen seiner Opern durchaus<br />

geeignet waren, in revolutionären<br />

Zeiten als Brandbeschleuniger zu dienen.<br />

Das ist für die „gefährliche“ Oper „Wilhelm<br />

Tell“ leicht verständlich, „weil die Bezüge<br />

zur aktuellen politischen Situation so einfach<br />

hergestellt werden konnten“. Daß<br />

dazu aber nicht nur geeignete Stoffe und<br />

martialische Musikstücke dienten, verblüfft<br />

auf den ersten Blick, läßt sich aber aus dem<br />

spöttischen, ironischen Charakter leicht erklären.<br />

Auch wenn die Unruhen in Breslau<br />

nicht die Auswirkungen von Aubers La Muette<br />

de Portici hatten, die es immerhin zum<br />

Auslöser der belgischen Revolution<br />

brachte, so zeigt sich doch auch hier eindrücklich<br />

die gesellschaftliche und poli -<br />

tische Bedeutung von Musik im 19. Jahrhundert.<br />

Unser Autor Professor Dr. Bernd-Rüdiger Kern studierte Rechtswissenschaft<br />

an der Universität Heidelberg und war nach dem<br />

ersten juristischen Staatsexamen 1974 Assistent am Institut für<br />

Rechtsgeschichte an der Universität Berlin. Anschließende Tätigkeit<br />

als Referendar am Kammergericht Berlin und zweites Staatsexamen<br />

im Februar 1978. Danach Assistent bei Prof. Laufs in<br />

Heidelberg und Promotion im Jahre 1980 sowie Habilitation 1988<br />

in Tübingen. Von 1993 an Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches<br />

Recht, Rechtsgeschichte und Arztrecht der Universität Leipzig.<br />

Seit Oktober <strong>2014</strong> ist Professor Dr. Bernd-Rüdiger Kern emeritiert.<br />

Heft 4 - <strong>2014</strong> 147

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