Burschenschaftliche Blätter 2014 - 4
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<strong>Burschenschaftliche</strong><br />
<strong>Blätter</strong><br />
dort enthaltenen Grundrechten wurde<br />
schon 1848 viel Vorarbeit geleistet. Das<br />
Vorparlament, dem auch Carové angehörte,<br />
hatte vor seinem Auseinandergehen<br />
am 4. April 1848 einen Fünfzigerausschuß<br />
gebildet, der in Abstimmung mit der<br />
Bundesversammlung die nun legalen<br />
Wahlen zur „Constituierenden Nationalversammlung“<br />
einleiten sollte. Noch am 4.<br />
April wurde ein Programm veröffentlicht,<br />
das auch einen Katalog „Grundrechte und<br />
Forderungen des deutschen Volkes“ enthielt,<br />
wobei sogar erstmals der Arbeitslosenschutz<br />
angesprochen wurde. Seit Beginn<br />
der Tagung der Nationalversammlung<br />
in der Paulskirche am 18.5.1848 lag<br />
ein Grundrechtskatalog vor. Dieser Grundrechtsteil<br />
wurde nach sechs Monaten, am<br />
20. Dezember 1848, als Teil der künftigen<br />
Reichsverfassung verabschiedet. Eine Verkündigung<br />
im Reichsgesetzblatt Nr. 8 vom<br />
28. Dezember 1848 sollte dafür eine Verbindlichkeit<br />
herstellen, was jedoch nicht in<br />
allen deutschen Ländern geschah (nicht in<br />
Preußen, Hannover und Bayern) und auch<br />
nicht in Österreich. Am 28. März 1849 wurden<br />
die Grundrechte von § 130 bis § 183<br />
(dazu sechs weitere Paragraphen) als Abschnitt<br />
VI. verbindlicher Bestandteil der<br />
Reichsverfassung. Die Grundrechte hatten<br />
in Frankfurt vorübergehend Gesetzeskraft<br />
und wurden am 23. August 1851 durch<br />
Bundesbeschluß aufgehoben. Die Aufbewahrung<br />
des Originals der Frankfurter<br />
Reichsverfassung ist übrigens dem damaligen<br />
Frankfurter Abgeordneten und<br />
Rechtsanwalt Dr. Friedrich Jucho, der zu<br />
den Führern der liberalen Bewegung in<br />
Frankfurt gehörte, zu verdanken. Jucho,<br />
seinerzeit auch aktiv in den Burschenschaften<br />
in Halle (1823), Jena (1824) und Gießen<br />
(1826), war Schriftführer und nahm nach<br />
der Auflösung des Paulskirchenparlaments<br />
die Urschrift der Reichsverfassung in Verwahrung.<br />
1854 wurde ihre Auslieferung<br />
verlangt, die Jucho aber verweigerte, weshalb<br />
er sich einem politischen Prozeß unterwerfen<br />
mußte. Das Original der Frankfurter<br />
Reichsverfassung rettete er nach<br />
England und schickte dieses im Jahr 1870<br />
an Eduard von Simson, den Präsidenten<br />
des Reichstages des Norddeutschen Bundes,<br />
der es später dem Archiv des Deutschen<br />
Reichstages übergab.<br />
In der Reichsverfassung von 1871 wurden<br />
die Grundrechte, bis auf das allgemeine<br />
und freie Wahlrecht, ausgeklammert, wenngleich<br />
ansonsten nach der Reichsgründung<br />
(mit erbkaiserlicher Spitze) zumindest eine<br />
Teilrealisierung der Vorstellungen von<br />
1848/49 erfolgte. Bismarck maß den Grundrechten<br />
des Volkes keine Bedeutung bei,<br />
was unter anderem auf seine Vorbehalte<br />
gegenüber der Revolution von 1848/49<br />
zurückzuführen ist. Eine weitgehend liberale<br />
Gesetzgebungspolitik sollte im Kaiserreich<br />
den rechtsstaatlichen Schutz der Bürger<br />
absichern, Grundrechte konnten nur<br />
auf dem ordentlichen Rechtsweg geltend<br />
gemacht und eingeklagt werden.<br />
Erst in der Weimarer Reichsverfassung von<br />
1919 tauchen die Grundrechte im Zweiten<br />
Hauptteil wieder auf. Die „Grundrechte<br />
und Grundpflichten der Deutschen“ (Art.<br />
109-181) sollten auch hier zunächst nicht<br />
aufgenommen werden, doch der Rat der<br />
Volksbeauftragten setzte diese durch. Die<br />
Weimarer Reichsverfassung stand auf unsicherem<br />
Boden. Grund dafür ist, daß der im<br />
späteren GG von 1949 eingeführte Passus<br />
des Artikel 79 „Änderungen des Grundgesetzes“,<br />
wo in Abs. II die Änderung der Zustimmung<br />
2/3 der Mitglieder des Bundestages<br />
und 2/3 der Stimmen des Bundesrates<br />
bedarf und wo nach Abs. III keine föderativen<br />
Interessen verletzt werden dürfen,<br />
damals fehlte. Somit war es während der<br />
NS-Zeit möglich geworden, die Weimarer<br />
Verfassung 1933 in sämtlichen verfassungsmäßigen<br />
Bestimmungen für ungültig zu erklären<br />
und die rechtsstaatlichen Grundlagen<br />
außer Kraft zu setzen. Die Grundrechte<br />
wichen somit der Hitler-Diktatur und der<br />
Menschenverachtung.<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die<br />
Grundrechte zum wichtigsten Bestandteil<br />
unseres Grundgesetzes und daher ganz an<br />
den Anfang gestellt. In der Präambel des<br />
Grundgesetzes für die Bundesrepublik<br />
Deutschland vom 23. Mai 1949 wird auf die<br />
Verantwortung vor Gott und den Menschen<br />
verwiesen sowie auf die Wahrung der nationalen<br />
und staatlichen Einheit. Erstmals<br />
wurde die Würde des Menschen zum wichtigen<br />
Bestandteil der Verfassung erklärt. So<br />
lautet der Artikel 1 Abs. I des Grundgesetzes:<br />
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.<br />
Sie zu achten und zu schützen ist<br />
Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Das<br />
Bekenntnis des deutschen Volkes zu unverletzlichen<br />
und unveräußerlichen Menschenrechten<br />
als Grundlage jeder menschlichen<br />
Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit<br />
in der Welt geht aus Abs. II hervor<br />
und trägt den grausamen Erfahrungen<br />
mit der NS-Diktatur Rechnung. An folgenden<br />
Beispielen wird die Kontinuität seit<br />
1848, teilweise aber auch seit den<br />
„Grundsätzen und Beschlüssen“ von 1817<br />
deutlich:<br />
1. Zur Freiheit der Person<br />
In den „Grundsätzen und Beschlüssen des<br />
achtzehnten Octobers“ heißt es im Grundsatz<br />
Nr. 28 (K 13): „Das erste und heiligste<br />
Menschenrecht, unverlierbar und unveräußerlich,<br />
ist die persönliche Freiheit. Die<br />
Leibeigenschaft ist das Ungerechteste und<br />
Verabscheuungswürdigste, ein Greuel vor<br />
Gott und jedem guten Menschen…“<br />
Aus dem burschenschaftlichen Leben<br />
In der Frankfurter Reichsverfassung von<br />
1849 heißt es in § 138 I/II: „Die Freiheit der<br />
Person ist unverletzlich. Die Verhaftung einer<br />
Person soll, außer im Falle der Ergreifung<br />
auf frischer That, nur geschehen in<br />
Kraft eines richterlichen, mit Gründen versehenen<br />
Befehls. Dieser Befehl muß im Augenblicke<br />
der Verhaftung oder innerhalb<br />
der nächsten vierundzwanzig Stunden dem<br />
Verhafteten zugestellt werden…“<br />
In der Weimarer Reichsverfassung (WRV)<br />
von 1919 steht dazu im Art. 114: „Die Freiheit<br />
der Person ist unverletzlich. Eine Beeinträchtigung<br />
oder Entziehung der persönlichen<br />
Freiheit durch die öffentliche Gewalt<br />
ist nur auf Grund von Gesetzen zulässig.<br />
Personen, denen die Freiheit entzogen<br />
wird, sind spätestens am darauffolgenden<br />
Tage in Kenntnis zu setzen, von welcher<br />
Behörde und aus welchen Gründen die Entziehung<br />
der Freiheit angeordnet worden<br />
ist; unverzüglich soll ihnen Gelegenheit gegeben<br />
werden, Einwendungen gegen ihre<br />
Freiheitsentziehung vorzubringen.“<br />
Im Grundgesetz (GG) der BRD heißt es in<br />
Art. 2 II: „Jeder hat das Recht auf Leben<br />
und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit<br />
der Person ist unverletzlich. In diese<br />
Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes<br />
eingegriffen werden.“<br />
2. Zum Gleichheitssatz<br />
In den „Grundsätzen“ von 1817 lautet Nr.<br />
7: „Alle Deutschen sind Brüder und sollen<br />
Freunde sein.“ Und im Grundsatz Nr. 19 (K.<br />
10) steht: „Freiheit und Gleichheit ist das<br />
Höchste, wonach wir zu streben haben, und<br />
wonach zu streben kein frommer und ehrlicher<br />
deutscher Mann jemals aufhören kann.<br />
Aber es gibt keine Freiheit als in dem Gesetz<br />
und durch das Gesetz, und keine<br />
Gleichheit als mit dem Gesetz und vor dem<br />
Gesetz.“<br />
FRV, § 137 III lautet: „Die Deutschen sind<br />
vor dem Gesetz gleich.“<br />
WRV, Art. 109 I: „Alle Deutschen sind vor<br />
dem Gesetz gleich.“<br />
GG, Art. 3: „Alle Menschen sind vor dem<br />
Gesetz gleich.“<br />
3. Zur Glaubens- und<br />
Gewissens freiheit<br />
„Grundsätze“ Nr. 6: „Die Lehre von der<br />
Spaltung Deutschlands in das katholische<br />
und das protestantische Deutschland ist irrig,<br />
falsch und unglückselig… Wir Deutsche<br />
haben alle einen Gott, an den wir glauben,<br />
einen Erlöser, den wir verehren, ein Vaterland,<br />
dem wir angehören. – Wenn wir im<br />
Sinne dieser Einheit fromm leben und ehrlich<br />
handeln, so hat keiner von uns den anderen<br />
zur Rechenschaft zu ziehen, und alle<br />
können alles dem Allerbarmer vertrauensvoll<br />
anheimgeben.“<br />
FRV, § 144: „Jeder Deutsche hat volle<br />
Glaubens- und Gewissensfreiheit. Niemand<br />
ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung<br />
zu offenbaren.“<br />
134 Heft 4 - <strong>2014</strong>