Burschenschaftliche Blätter 2014 - 4
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Aus dem burschenschaftlichen Leben<br />
Nehmen wir das Beispiel Mindestlohn. Das<br />
Versprechen ist denkbar einfach: jeder, der<br />
Arbeit hat, soll einen Lohn bekommen, von<br />
dem ihm ein Leben ohne Aufstockung<br />
durch Hartz IV – um das sozioökonomische<br />
Existenzminimum zu erreichen – möglich<br />
ist. In einer Marktwirtschaft ist die Preisbildung<br />
von Angebot und Nachfrage abhängig.<br />
Dieser Preisbildungsmechanismus wird<br />
hier durchbrochen. Der höhere Lohn, auf<br />
das Produkt, in den meisten Fällen wohl auf<br />
die Dienstleistung darauf geschlagen, muß<br />
bezahlt werden. Und dies zahlt der Kunde,<br />
letztlich wir. Daß der Mindestlohn von der<br />
Mehrheit für gut befunden, daß jetzt aber<br />
Preissteigerungen von den Konsumenten<br />
bezahlt werden müssen, das ist eine so<br />
große Überraschung, die nur unwissende<br />
Menschen überraschen konnte. Und es sind<br />
unglaublich viele überrascht.<br />
Über den Euro ist schon so viel gesprochen<br />
worden, das es weh tut, daß die Probleme<br />
mit ihm immer noch nicht ausgestanden<br />
sind. Es hat die mahnenden Stimmung gegeben,<br />
die darauf hinwiesen, daß eine<br />
funktionierende Währungsunion Grundlagen<br />
braucht, die mit der Einführung des Euros<br />
nicht gegeben waren und die zwangsläufig<br />
zu den gravierenden Umverteilungslasten<br />
führen mußten, wie sie heute bestehen.<br />
Wunsch und Realität trafen sich, der<br />
Wunsch, die Utopie hat gewonnen und<br />
wurde schließlich doch von der Realität eingeholt.<br />
Seit vier Wochen in Folge finden sich in<br />
Dresden zunehmend mehr Menschen bereit,<br />
um auf die Konsequenzen der nicht<br />
vorhandenen deutschen Einwanderungspolitik<br />
aufmerksam zu machen. Die Mechanismen,<br />
wie mit dieser politischen Artikulation<br />
öffentlich umgegangen werden wird,<br />
sind bereits jetzt zu antizipieren: Die Menschen<br />
werden in ihren Sorgen nicht ernst<br />
genommen werden, unter dem Hinweis<br />
auf den Kampf gegen Rechts wird die berechtigte<br />
Forderung desavouiert, die politische<br />
Auseinandersetzung wird sich darauf<br />
einigen, daß es eigentlich kein Problem<br />
gäbe, die Demonstrationen nur unbegründete<br />
Ängste artikuliere, die es aufzuklären<br />
gelte. Und in Konsequenz wird es kein Einwanderungsgesetz<br />
geben, keinen Diskurs<br />
über die deutsche Einwanderungspolitik.<br />
Die Realität wird die deutsche Gesellschaft<br />
erst in Jahren einholen, wenn die Probleme<br />
für jeden offensichtlich geworden<br />
sind.<br />
Nehmen wir den Umgang mit der Türkei:<br />
Die Wunschvorstellung, daß sich dieses<br />
Land demokratisiert und an Europa<br />
annähert, bis hin zu einer Aufnahme in die<br />
Europäische Union. Mit großen Beifall<br />
wurde das Handeln Erdogans in Deutschland<br />
begrüßt, gegen Militär und Justiz vorzugehen.<br />
Hierin wurde fälschlicherweise ein<br />
positives politisches Handeln gegen einen<br />
schlechten, autoritativen Auswuchs der Türkei<br />
gesehen, der dieses Land noch von Europa<br />
trennte. Daß Erdogan die Axt an die<br />
Wurzeln der kemalistischen Ordnung anlegte<br />
und sein politisches Handeln die Türkei<br />
von Europa wegführen würde, haben<br />
nur wenige gesehen und diese sind unter<br />
fadenscheinigen Gründen nicht in der medialen<br />
Öffentlichkeit beachtet wurden.<br />
Heute wiederum sind viele überrascht.<br />
Nehmen wir noch einmal das Schlachtanlagenbeispiel.<br />
Vegetarisch und vegan waren<br />
gestern. Pleistozän ist heute Mode. Die Intension<br />
des 37-Grad-Beitrages: selbst bei<br />
genauer Befolgung der Tierschutzvorschriften<br />
ist eine artgerechte Haltung nicht gegeben,<br />
die Massenproduktion bleibt ein Ärgernis,<br />
eine Zumutung, die eigentlich nicht<br />
hingenommen werden darf. Schöner wäre<br />
es, wenige Tiere lebten auf einem Hof,<br />
könnten über grüne Wiesen gackern, die<br />
Sauen könnten sich im Schlamm suhlen, ihr<br />
Leben leben, bevor sie vom Menschen verspeist<br />
würden. Über viele Jahrhunderte war<br />
dies wohl die Regel. Das müssen herrliche<br />
Zeiten gewesen sein! Es gab in der Bauernfamilie<br />
vielleicht zwei Mal im Jahr einen<br />
Braten, zu Weihnachten und Ostern. Und<br />
ansonsten höchstens am Sonntag eine Fleischeinlage<br />
im Eintopf. Ich komme aus Mitteldeutschland<br />
und kenne die Erzählungen<br />
meiner Mutter. Wie es bei ihr gewesen ist,<br />
sich ein Nutellaglas mit ihren Schwestern<br />
über ein Jahr lang zu teilen, bis das nächste<br />
von der Verwandtschaft aus dem Westen<br />
geschickt wurde.<br />
Fleischkonsum auf heutigem Niveau mit einer<br />
idyllischen Tierhaltung gleicht der Quadratur<br />
des Kreises. Sie ist nicht möglich.<br />
Diese Beispiele ließen sich durch ungeheuer<br />
viele weitere ergänzen, ich glaube<br />
aber, es wird deutlich, worum es mir geht.<br />
Das konservative Problem<br />
Politisches Handeln hat Konsequenzen und<br />
diese Konsequenzen zu benennen ist Aufgabe<br />
eines rationalen Bewertens der Wirklichkeit.<br />
Dies wäre die Aufgabe der Konservativen<br />
in diesem Land, damit ein Gegenpol<br />
zu all den Weltverbesserern und Gutmenschen<br />
entsteht. Einen Gegenpol, den<br />
dieses Land in den letzten Jahrzehnten so<br />
nötig gehabt hätte. Beschauen wir uns die<br />
<strong>Burschenschaftliche</strong><br />
<strong>Blätter</strong><br />
Wirklichkeit einmal genau, kommen wir zu<br />
dem Schluß, daß viele der Probleme in unserem<br />
Land jenen Kulminationspunkt überschritten<br />
haben, der ein Zurück noch ermöglichen<br />
würde.<br />
Daher ist der Konservatismus auch so unattraktiv.<br />
Er entwickelt keine Visionen einer<br />
besseren Welt. Er bewertet höchstens, was<br />
sich bewährt, was erfolgreich ist und was<br />
Wert ist überwunden zu werden. Doch einen<br />
Konservatismus mit Visionen zu finden<br />
wäre Aufgabe unserer Generation. Es wäre<br />
eigentlich die Aufgabe der Generation vor<br />
uns gewesen, aber darüber brauche und<br />
möchte ich mich nicht hier näher auslassen.<br />
Daß sich der klare, nüchterne Geist, der gesunde<br />
Menschenverstand, der auf die Konsequenzen<br />
politischer Handlungen hinweist,<br />
so sehr ins Abseits hat stellen lassen,<br />
daß er sich dem herrschaftsfreien Diskurs,<br />
der letztlich ein autoritärer, gegen den<br />
Konservatismus gerichteter geworden ist,<br />
unterworfen hat, ist schade. Oder um<br />
eine deterministische Sichtweise ins Spiel<br />
zu bringen. Vielleicht war es auch unumgänglich.<br />
Vielleicht wurde er einfach nur<br />
geschichtlich überholt, überflüssig gemacht.<br />
Begünstigt hat diese Entwicklung zweifelsohne<br />
die innere Zerrissenheit unseres Lagers.<br />
Man kämpft lieber Gegeneinander,<br />
glaubt sich nach innen zu konsolidieren,<br />
und marginalisiert sich damit noch weiter.<br />
Ich finde es sehr schade, daß die ursprüngliche<br />
Planung zum Langemarck-Gedenken,<br />
einen breiten interkorporativen Dialog um<br />
die Frage der Zukunft des Konservatismus,<br />
nicht in die Tat umgesetzt wurde. Ich bin<br />
sozusagen das übriggebliebene Relikt dieser<br />
Planung.<br />
Und doch mahne ich für die Zukunft eine<br />
solche Veranstaltung an. Ohne sie, ohne<br />
unser Handeln, wird der Riß zwischen Realität<br />
und erhoffter Normalität immer größer,<br />
ohne daß er noch überbrückt werden kann.<br />
In diesem Zusammenhang wird gerne die<br />
Metapher benutzt: Es ist fünf vor zwölf. Dieses<br />
Bild hat sich erschöpft. Außerdem bin<br />
ich der Überzeugung, daß es bereits um<br />
eins ist.<br />
Eine andere Metapher halte ich für aussagekräftiger.<br />
Der Ertrinkende greift nach<br />
dem letzten Strohhalm. Wir sind die Ertrinkenden.<br />
Dies muß nicht heißen, daß keine<br />
rettende Planke uns doch noch zur Hilfe<br />
schwimmt. Nur ist die Hoffnung darauf meines<br />
Erachtens nicht mehr sehr groß.<br />
Farbenbruder David Steinmann (Georgia Erfurt 2011)<br />
war von 2007 bis 2010 Mitglied der Aachen-Dresdner Burschenschaft Cheruscia.<br />
Heft 4 - <strong>2014</strong> 143