Burschenschaftliche Blätter 2014 - 4
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<strong>Burschenschaftliche</strong><br />
<strong>Blätter</strong><br />
ger einen Zwiespalt zwischen dem im Alltag<br />
erlebten und seiner Wunschvorstellung von<br />
diesem Land, seinem Wunsch, wie dieses<br />
Land eigentlich aussehen sollte. Die Menschen<br />
sind verunsichert. Demographie,<br />
Rente, Verschuldung, fehlschlagende oder<br />
schon fehlgeschlagene Integration. All dies<br />
sind Unsicherheitsfaktoren, die sich in das<br />
Bild der Normalität eingeschoben haben.<br />
Langsam aber stetig – und wie es scheint<br />
auch unaufhaltsam.<br />
Psychologisiert drückt sich dieser Zwiespalt<br />
zwischen erhoffter Normalität und entnormalisierter<br />
Realität im Hervorkehren des<br />
neuen Spießers aus. Auch der Versicherer<br />
Ergo wirbt neuerdings mit flexiblen Versicherungsleistungen<br />
für das Alter und benennt<br />
als Kundenkreis all jene, die noch<br />
nicht wissen, wo sie in dreißig Jahren stehen.<br />
Dies dürften meiner Meinung nach<br />
ziemlich viele Menschen in Deutschland<br />
sein.<br />
Tradition und Werte sind nicht<br />
mehr Normalität<br />
Sehr geehrte Farbenbrüder, die Normalität,<br />
die sie und ich am heutigen Abend leben –<br />
die Eingebundenheit in eine Werte- und<br />
Überzeugungsordnung, die auf eine nunmehr<br />
zweihundertjährige Tradition zurückblicken<br />
kann – diese Normalität ist nicht die<br />
Normalität der Mehrheit dieser unseren<br />
Gesellschaft. Ich gehe noch weiter und behaupte:<br />
Diese Normalität existiert bereits<br />
nicht mehr – höchstens noch in unseren<br />
Köpfen. Sie ist nurmehr eine Scheinnormalität.<br />
Sie ist Trugbild und Wunschvorstellung<br />
einer marginalen Gruppe von Menschen<br />
– uns.<br />
Wer diese Worte zu drastisch und hart<br />
empfindet, sie vielleicht auch einfach als<br />
falsch verstanden wissen möchte, der<br />
schaue sich doch einmal genau in unserem<br />
Deutschland um. Sowohl der Heilige Vater<br />
Benedikt XVI. als auch der derzeitige Bischof<br />
von Dresden-Meißen sind Mitglied<br />
einer CV-Verbindung. Unlängst wollte ein<br />
junger Dresdner CVer zur katholischen Studentengemeinde<br />
in Dresden und wurde<br />
vom dortigen Studentenpfarrer mit den<br />
Worten barsch abgewiesen, solche Leute<br />
wie Sie brauche man hier nicht.<br />
Ich weiß, daß dies eine ausgesprochene<br />
Lappalie ist und in letzter Zeit viel gravierendere<br />
Ereignisse die korporative Welt erschüttert<br />
haben. Aber es ist nicht mehr nur<br />
der politische Gegner der uns militant ans<br />
Leder will, es grassiert eine weitgehende<br />
Antipathie, zumindest ein großer Rechtfertigungs-<br />
und Distanzierungszwang. Dies<br />
stimmt mich nicht gerade optimistisch, was<br />
die zaghafte Verschiebung der politischen<br />
Kräfteverhältnisse in diesem Land betrifft.<br />
Der derzeitige Erfolg der Alternative für<br />
Deutschland mag in diesem Zusammenhang<br />
aus der Analyse fallen. Ich glaube dies<br />
aber nicht. In Deutschland habe – wie<br />
schon häufig gesagt wurde – eine Verschiebung<br />
des politischen Spektrums stattgefunden:<br />
von rechts nach links. Mit der Sozialdemokratisierung<br />
der Unionsparteien sei<br />
am rechten Rand eine Leerstelle entstanden,<br />
diese aufzufüllen neuen politischen<br />
Fraktionen große Möglichen biete.<br />
Ist dem aber wirklich so? Was eindeutig<br />
stattgefunden hat, ist der Verlust von Konservativität.<br />
Der gesunde Menschenverstand,<br />
das Hinterfragen von politischen<br />
Vorstellungen ist unmodern geworden.<br />
Hier ist die wahre Leerstelle entstanden.<br />
Aktionismus und Reformismus sind wesentlicher<br />
Bestandteil unseres politischen Lebens<br />
geworden. Ob Bildungsreformen,<br />
Euro-Rettung oder Rentenreform, politische<br />
Entscheidungsträger haben die Konsequenzen<br />
ihres Handelns längst aus dem<br />
Blick verloren. Unser repräsentatives Parlamentssystem<br />
fokussiert den Blick allzu sehr<br />
auf die kommende Wahl und weniger auf<br />
langfristiges politisches Engagement.<br />
Jene, die sich früher von einem realitätsbezogenen<br />
Gegengewicht zu allzu „visionären“,<br />
veränderungslastigen politischen<br />
Handeln vertreten fühlten, sind<br />
heute politisch heimatlos geworden. Die<br />
Union, seit dem Agieren Merkels spätestens<br />
offensichtlich, hat ihre konservative<br />
Wurzeln gekappt und ist einzig am Machterhalt<br />
interessiert: um jeden Preis – die<br />
Konzessionen, die die Union bereit ist einzugehen,<br />
sind unübersehbar. Verwalten<br />
und Aussitzen – zwei Schlagworte, die die<br />
derzeitige Politik der Kanzlerin gut beschreiben.<br />
Diese Leerstelle setzt die Alternative für<br />
Deutschland an zu erobern. Dabei spricht<br />
sie jene Konservative an, die sich nicht<br />
mehr vertreten fühlen. Ja vielleicht fängt<br />
auch die Gruppe derer – um zu den adaptierten<br />
theologischen Begriffen zurückzukehren<br />
– , die sich bisher keiner bestimmten<br />
politischen Richtung anzuschließen bereit<br />
gewesen sind, vielleicht stellen sich die<br />
politischen Agnostiker langsam die Frage,<br />
wohin es mit diesem Land gekommen ist.<br />
Vielleicht erwächst daraus eine große<br />
Chance. Aber um die politisch Indifferenten<br />
aufzurütteln, sie mithin zur schweigenden<br />
und dann auch rufenden Mehrheit zu machen,<br />
dafür ist der Lebensstandard zu groß,<br />
sind die auf uns hereinbrechenden Probleme<br />
noch nicht zu sehr ins Bewußtsein<br />
dieser Menschen gerückt.<br />
Aus dem burschenschaftlichen Leben<br />
Und mit Verweis auf die friedliche Revolution<br />
vor 25 Jahren: Die Menschen gingen<br />
auf die Straße, als die Probleme manifest<br />
waren, für jeden ersichtlich. Als die Verschuldung<br />
der „DDR“ ein unerträgliches<br />
Maß angenommen, die Sowjetunion ein<br />
Eingreifen ausgeschlossen hatte. Die Friedliche<br />
Revolution kam letztlich erst dann, als<br />
der Musterstaat des real-existierenden Sozialismus<br />
bereits im Sterben begriffen war.<br />
Dieser Hinweis soll die damaligen Massendemonstrationen<br />
und den Mut der auf die<br />
Straße gehenden nicht schmälern.<br />
Probleme werden verschoben<br />
Aber so lange zu warten, bis die Probleme<br />
omnipräsent sind und erst dann zu handeln<br />
ist höchst gefährlich. Ich habe eingangs die<br />
Unterscheidung zwischen progressiv und<br />
an der Ratio orientiertem Konservatismus<br />
vorgenommen. Ich komme darauf noch<br />
einmal zurück. Die Zeiten eines grassierenden<br />
Positivismus, der eine klare und vollständige<br />
Erkennbarkeit der Welt postulierte,<br />
sind Gott sei dank vorüber. Ob in<br />
Physik, Mathematik oder Philosophie, überall<br />
stoßen die Wissenschaften an Grenzen<br />
der Erkennbarkeit, die zumindest eine gewisse<br />
Demut erheischt und den grenzenlosen<br />
Zukunftsoptimismus des 19., aber auch<br />
noch des 20. Jahrhunderts Lügen straft.<br />
Gleichwohl hat sich viel von diesen utopischen<br />
Vorstellungen auch in heutiger Zeit<br />
erhalten. Wenn ich hier zwischen konservativen<br />
und progressiven Denken unterscheide,<br />
dann sollen einige Beispiele zur<br />
Verdeutlichung dienen. Die kürzlich im<br />
Bundestag beschlossene Rentenreform bediente<br />
sich in ihrer Begründung der Formel:<br />
Die Reform sei nötig, eine bestehende Gerechtigkeitslücke<br />
zu schließen. Dies mag<br />
vielleicht sogar zutreffend sein. Der nüchterne<br />
Blick auf die Finanzierbarkeit des Umlagefinanzierten<br />
Rentensystems, auf seine<br />
jetzt schon bedenkliche Finanzielle Ausstattung,<br />
auf die jetzt schon Absehbaren aber<br />
gerne Verdrängten Probleme durch die zunehmende<br />
Überalterung durch den mit<br />
dem schamlosen Euphemismus benannten<br />
demographischen Wandel, dieser nüchterne<br />
Blick wurde einfach übergangen. Ralf<br />
Stegner, Sprachrohr des linken SPD-Flügels,<br />
log sogar gänzlich unbelastet – und<br />
wohl selbst noch von seinem zum Besten<br />
gegebenen Unsinn überzeugt – als er darauf<br />
hinwies, daß das beste Mittel gegen Altersarmut<br />
jetzt gute Lohnabschlüsse seien.<br />
Zum Verständnis des Umlagesystems:<br />
wenn jetzt viel in die Rentenversicherung<br />
durch verbesserte Lohnabschlüsse eingezahlt<br />
wird, vergrößert sich der Kuchen zu<br />
verteilender Mittel an Rentner jetzt. Daß<br />
dieser Kuchen durch die vermehrt spürbar<br />
werdende demographische Krise zukünftig<br />
zunehmend kleiner wird und immer weniger<br />
immer mehr einzuzahlen haben um ein<br />
gleichbleibendes Rentenniveau zu erhalten,<br />
daran ändern bessere Tarifabschlüsse<br />
nicht das Geringste. Höchstens ließe sich<br />
dergleichen auffangen, würden vermehrt<br />
Rücklagen in der Rentenversicherung geschaffen.<br />
Rücklagen, die gerade zur Finanzierung<br />
besagter Rentenversicherung für<br />
die nächsten zwei Jahre herangezogen<br />
werden.<br />
142 Heft 4 - <strong>2014</strong>