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Burschenschaftliche Blätter 2014 - 4

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<strong>Burschenschaftliche</strong><br />

<strong>Blätter</strong><br />

den 18./19. Oktober 1817. Das Wartburgfest<br />

sollte ursprünglich keine politische Veranstaltung<br />

sein, sondern dem gegenseitigen<br />

freundschaftlichen Austausch und dem<br />

geselligen Beisammensein „vaterländischer“<br />

Hochschulen dienen. Ein Volksfest,<br />

vergleichbar mit dem Hambacher Fest mit<br />

etwa 20.000-30.000 Besuchern, war es<br />

auch nicht, denn es nahmen insgesamt<br />

etwa nur 500 Studenten (von damals insgesamt<br />

8.500 an deutschen Hochschulen immatrikulierten)<br />

teil, die von allen Hochschulen<br />

Deutschlands angereist waren. Das Einladungsschreiben<br />

hatte gewisse Einschränkungen<br />

verlauten lassen, denn es richtete<br />

sich an die protestantischen deutschen<br />

Hochschulen. Die katholischen Universitäten<br />

sowie Wien und Graz waren nicht eingeladen.<br />

Zu den Hauptakteuren und wichtigsten<br />

Festrednern gehörten Heinrich Hermann<br />

Riemann (1793–1872), vormals Teilnehmer<br />

an den Befreiungskriegen und Ritter<br />

des Eisernen Kreuzes, der Philosophie-<br />

Burkhard Mötz für den Preisträger ,Deutsche Burschenschaft’ am Rednerpult.<br />

Parlamentsdirektion/Bildagentur Zolles KG/<br />

Mike Ranz<br />

und Theologie student Ludwig Rödiger sowie<br />

Wilhelm Carové (1789– 1852), der später<br />

auch im Vorparlament von 1848 saß und<br />

somit weitreichenden Einfluß hatte, da er<br />

seine Erfahrungen vom Wartburgfest in die<br />

Paulskirchenversammlung mitnahm.<br />

Während des Festes wurde allmählich<br />

deutlich, daß hier doch politisch etwas bewegt<br />

werden sollte. Das kam schon in Reden<br />

zum Thema „Vaterland“ zum Ausdruck,<br />

mehr aber noch während einer spektakulären<br />

Bücherverbrennung von etwa 25-<br />

30 Werken (Makulaturbänden) mit angeblich<br />

„undeutschem“ Inhalt, darunter jener,<br />

in denen das Ancien régime sowie der Wiener<br />

Kongreß verherrlicht wurden. Den<br />

Flammen zum Opfer fiel auch der Code Napoléon<br />

als Symbol französischer Vorherrschaft.<br />

Der Wunsch nach Einheit und Freiheit<br />

Deutschlands stand im Mittelpunkt. Bedeutsam<br />

waren aber auch die Resultate<br />

dieses Festes: die Gründung der „Allgemeinen<br />

Deutschen Burschenschaft“ am 19.<br />

Oktober 1818 in Jena sowie die<br />

„Grundsätze und Beschlüsse des achtzehnten<br />

Octobers, gemeinsam beraten, reiflich<br />

erwogen, einmütig bekannt und den studierenden<br />

Brüdern auf anderen Hochschulen<br />

zur Annahme, dem gesamten Vaterlande<br />

aber zur Würdigung vorgelegt von<br />

den Studierenden<br />

zu Jena“. Als Heinrich<br />

Hermann Riemann,<br />

einer der<br />

Festredner vom Oktober<br />

1817, gemeinsam<br />

mit Karl<br />

Müller auf Anregung<br />

des Jenaer<br />

Historikers Luden<br />

diese „Grundsätze<br />

und Beschlüsse“<br />

1817 als politische<br />

Programmatik dieses<br />

Wartburgfestes<br />

verfaßte, die sowohl<br />

vom Anführer<br />

der radikalen<br />

„ G i e ß e n e r<br />

Schwarzen“, Karl<br />

Follen, als auch von<br />

Heinrich von Gagern,<br />

dem späteren<br />

Paulskirchenpräsidenten,<br />

mitdiskutiert<br />

und weiterentwickelt<br />

wurden, begann<br />

ein Meilenstein<br />

innerhalb der<br />

Geschichte der<br />

Grundrechte. Die<br />

„Grundsätze und<br />

Beschlüsse“ von<br />

1817 wurden offiziell<br />

nie verabschiedet,<br />

galten aber damals<br />

schon mehr als<br />

ein bloß studentisches Programm. Es war<br />

das erste geschlossene Programm des<br />

deutschen Liberalismus und ein wichtiger<br />

Anstoß zum deutschen Verfassungsstaat.<br />

Wesentliche Bestandteile sind nämlich neben<br />

den Forderungen nach deutscher Einheit<br />

die Thematisierung von Menschenund<br />

Bürgerrechten, von sozialen und gewerblichen<br />

Anliegen, wie zum Beispiel die<br />

Aus dem burschenschaftlichen Leben<br />

Bauernbefreiung und die Forderungen<br />

nach wirtschaftlicher Freizügigkeit und Gewerbefreiheit.<br />

„Wir wollen uns der untersten<br />

Klassen der Gesellschaft umso lebendiger<br />

annehmen, je tiefer sie im Elend<br />

sind“. Dieser Aufruf aus den „Grundsätzen<br />

und Beschlüssen“ verdeutlicht die soziale<br />

Seite des Programms. Es waren Impulse,<br />

die auch die Frankfurter Reichsverfassung<br />

von 1848/49 später entscheidend prägten,<br />

worauf noch einzugehen ist. Schon hier ist<br />

ein Votum für bürgerliche Freiheit, Vorurteilslosigkeit<br />

und Anerkennung der wahren<br />

Menschenwürde erkennbar. Das waren die<br />

zentralen Leitgedanken dieses Festes.<br />

Deutlich geht aus den „Grundsätzen und<br />

Beschlüssen“ aber auch die klare Absage<br />

an Wien und Metternichs Politik hervor.<br />

Statt dessen wurden Forderungen nach politischer<br />

und wirtschaftlicher Einheit<br />

Deutschlands laut. So heißt es im „Grundsatz“<br />

Nr. 1 (K. I), der wie eine Präambel zu<br />

verstehen ist: „Ein Deutschland ist, und ein<br />

Deutschland soll sein und bleiben. Je mehr<br />

die Deutschen durch verschiedene Staaten<br />

getrennt sind, desto heiliger ist die Pflicht<br />

für jeden frommen und edlen deutschen<br />

Mann und Jüngling, dahin zu streben, daß<br />

die Einheit nicht verloren gehe und das Vaterland<br />

nicht verschwinde.“ Die nicht verabschiedeten,<br />

aber als Druck überlieferten<br />

„Grundsätze und Beschlüsse“ enthielten in<br />

ihren Formulierungen bereits Bestandteile,<br />

die in weitere deutsche Verfassungen Eingang<br />

fanden und dort fortentwickelt wurden.<br />

Sie bildeten eine Ausgangsbasis für<br />

die Frankfurter Reichsverfassung von 1849,<br />

die Weimarer Verfassung von 1919 und das<br />

Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland<br />

von 1949. So wird in den „Grundsätzen<br />

und Beschlüssen“ schon die Glaubensund<br />

Religionsfreiheit angesprochen<br />

(„Grundsatz“ Nr. 6), die Gleichheit vor dem<br />

Gesetz und die Freiheit in den Grundsätzen<br />

Nr. 7 und in Nr. 19, die Freizügigkeit in Nr.<br />

11, das Eigentumsrecht in Nr. 20, das Freiheitsrecht<br />

im Sinne des heutigen Artikels 2<br />

GG in den „Grundsätzen“ Nr. 28 und 29,<br />

die Meinungs- und Pressefreiheit im<br />

„Grundsatz“ Nr. 31. Aber auch allgemeine<br />

rechtliche und politische Forderungen lagen<br />

dem Wartburgprogramm zugrunde.<br />

Neben dem bereits zitierten Grundsatz Nr.<br />

1, woraus deutlich die Vorstellung von der<br />

Zukunft Deutschlands hervorgeht, werden<br />

im „Grundsatz“ 32 (K 14) die Öffentlichkeit<br />

der Rechtspflege und der Schwurgerichtsbarkeit<br />

sowie die Schaffung eines einheitlichen<br />

Gesetzbuchs und die Abschaffung der<br />

Patrimonialgerichtsbarkeit gefordert. Weiterhin<br />

behandeln diese „Grundsätze und<br />

Beschlüsse“ des Wartburgfestes den Ausbau<br />

der deutschen Wehrkraft unter Förderung<br />

des Landwehrgedankens (Nr. 10), die<br />

Absage an die Ableistung des Kriegsdienstes<br />

bei einem bewaffneten Konflikt zwischen<br />

deutschen Staaten (Nr. 9) sowie die<br />

Ablehnung jedes Amtes in der Geheimpolizei,<br />

in gesetzeswidrigen, außerordentlichen<br />

132 Heft 4 - <strong>2014</strong>

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