Burschenschaftliche Blätter 2014 - 4
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Schwerpunkt<br />
Das kraftzerrende Wandern durch die Alpen bereitet dennoch Freude.<br />
Regelung ist der gerade im hochalpinen<br />
Gelände besonders geforderte Sicherheits -<br />
aspekt. Dies bedeutet wiederum, daß das<br />
Team bestens aufeinander abgestimmt<br />
sein und miteinander harmonieren muß –<br />
denn das Team ist nur gemeinsam stark. An<br />
Moral und Motivation mangelte es uns<br />
nicht und in den folgenden Tagen peitschten<br />
wir uns gegenseitig nach vorne. Unsere<br />
Ausgangsposition war mehr als verheißungsvoll.<br />
Auch bei der 2. und 3.<br />
Etappe landeten wir am Ende Vorne und<br />
erreichten inmitten der starken internationalen<br />
Phalanx jeweils als sechstes Team das<br />
Ziel. Ob das wohl gut geht?<br />
Die Losung nach der 4. Etappe:<br />
Einfach nur ankommen!<br />
Bereits der vierte Tag holte uns auf dem<br />
Boden der Tatsachen zurück. Die Etappe<br />
von Prettau über die 2.600 Meter hohe<br />
Bretterscharte bis nach Sand in Taufers mit<br />
knapp 2.000 Höhenmetern im Aufstieg und<br />
rund 2.400 Höhenmetern im Abstieg läutete<br />
den Wendepunkt ein. Nach dem Gipfel<br />
streikten meine Knie. Statt zügig bergab<br />
zu rennen konnte ich nur noch gehen. Jeder<br />
Schritt schmerzte. Wir verloren wertvolle<br />
Minuten und erreichten am Ende als<br />
17. Team das Ziel. Die Moral war im Keller.<br />
Doch es half nichts, es mußte ja irgendwie<br />
weiter gehen! Regeneration, Massage, Behandlung<br />
durch den Physio, Knieverband<br />
mit rosafarbenem Tape, Kompressionsstrümpfe.<br />
Jetzt wurden alle Register gezogen!<br />
Als äußeres Zeichen dessen: bei der<br />
nun folgenden 5. Etappe – ein Bergsprint<br />
über 1.000 Höhenmeter – gingen wir mit<br />
Stöcken an den Start, um uns auch mit den<br />
Armen nach oben zu schieben und so die<br />
Gelenke zu schonen.<br />
Unser Plan schien aufzugehen. Bei der 6.<br />
Etappe, wieder knapp 40 Kilometer mit<br />
über 2.000 Höhenmetern im Auf-und Abstieg<br />
– bissen wir nochmal kräftig auf die<br />
Zähne. Immer mehr Teams hatten in der<br />
vergangen Tagen aufgeben müssen. Sogar<br />
das bis dato in Führung liegende Team aus<br />
Schweden schied aufgrund einer Verletzung<br />
aus dem Rennen. Doch wir wollten<br />
den Transalpin Run auf jedem Fall schaffen<br />
und einfach nur noch ankommen! Nach einem<br />
heftigen Schlußanstieg über 1.400<br />
Höhenmetern hoch auf den Kronplatz<br />
folgte ein langes Bergabstück, das den<br />
Knochen wieder sehr zusetzte. Total erschöpft<br />
erreichten an diesem Tag das Ziel<br />
in St. Vigil. Wieder liefen wir als sechstes<br />
Team ein. Das erhoffte Comeback? Jetzt<br />
waren es noch zwei Etappen und 74 Kilometer<br />
bis zum Ziel.<br />
<strong>Burschenschaftliche</strong><br />
<strong>Blätter</strong><br />
Im Wettstreit Alpen vs. Mensch<br />
siegte letztlich Mutter Natur<br />
Doch trotz aller Willensstärke und gegenseitiger<br />
Motivation war es letztlich die Natur,<br />
die mir zeigte, wo die Grenzen verliefen.<br />
Ausgerechnet die vorletzte von insgesamt<br />
acht Etappen war es, die mich verletzungsbedingt<br />
zum Aufgeben zwang. Nach<br />
mehr als 230 Kilometern und knapp 10.000<br />
Höhenmetern in sechs Tagen war Schluß.<br />
Die Knie streikten, der rechte Oberschenkel<br />
war gezerrt. Laufen war nicht mehr möglich,<br />
nur noch ein gebrechliches Gehumpel. Mit<br />
Sport hatte dies nichts mehr zu tun. Jetzt<br />
eine langwierige Verletzung riskieren? Das<br />
kann es nicht wert sein, sagte mir die Vernunft.<br />
Ich ließ meinen Teampartner ziehen.<br />
Das herrliche Panorama der Dolomiten –<br />
ich konnte es an diesem Tag nur aus der<br />
passiven Zuschauerperspektive genießen.<br />
Im sportlichen Wettstreit Alpen vs. Mensch<br />
siegte letztlich Mutter Natur. Und dies hatte<br />
wohl seine Richtigkeit.<br />
Geteiltes Leid gleich halbes<br />
Leid – geteilte Freude gleich<br />
doppelte Freude<br />
Mit diesem Schicksal war ich nicht alleine.<br />
Von 100 Männerteams in der Hauptkategorie<br />
erreichten am Ende gerade mal 49<br />
Teams zu zweit das Ziel in Sexten in Südtirol.<br />
Mein Teampartner lief auch bei der<br />
letzten 8. Etappe außerhalb der offiziellen<br />
Wertung weiter, um in Sexten die ersehnte<br />
Finisher-Medaille zu bekommen und diese<br />
stellvertretend für uns beide entgegenzunehmen.<br />
Oben an den berühmten Drei<br />
Zinnen der Dolomiten – ich war mit dem<br />
Begleitfahrzeugt vorgefahren und hatten<br />
die letzten Kilometer bis zum Paß als Wanderer<br />
zurückgelegt – feuerte ich meinen<br />
Teampartner lautstark an und motivierte<br />
auch alle weiteren Läufer, die diesen allerletzten<br />
Anstieg zu bezwingen hatten. Die<br />
Sonne strahlte. Nach etlichen Tagen im<br />
Regen und allen Widrigkeiten auf der<br />
Strecke wurden die Läufer heute für Ihre<br />
Strapazen entschädigt. Ich freut mich für<br />
jeden Einzelnen, der es bis hierhin geschafft<br />
und nun nur noch die wenigen Kilometer<br />
bergab bis nach Sexten zu laufen<br />
hatte.<br />
Und ich war nicht alleine. Weitere „Versehrte“<br />
waren extra nach oben gewandert,<br />
taten es mir gleich und gemeinsam<br />
peitschten wir die gesund gebliebenen<br />
Läufer des 10. Gore-Tex Transalpin Run<br />
nach vorne. Wir freuten uns gemeinsam<br />
mit ihnen über ihr geglücktes Abenteuer,<br />
das auch das unsrige war. Hier war geteilte<br />
Freude gleich doppelte Freude. Und<br />
neben der Erkenntnis, daß der Körper<br />
keine Maschine ist und die eigene Gesundheit<br />
vor dem sportlichen Erfolg zu<br />
stehen hat, war es im Nachhinein vor allem<br />
diese emotionale Erfahrung, die den<br />
Transalpin Run im Nachhinein für mich zu<br />
einem ganz besonderen Erlebnis gemacht<br />
hat.<br />
Matthias Müller<br />
(Dresdensia-Rugia Geißen 2005, Raczeks<br />
Breslau zu Bonn 2008)<br />
Heft 4 - <strong>2014</strong> 115