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JM 4 APRIL<br />

2016<br />

Zur Öffentlichkeit gehört jeder, der nicht mit demjenigen,<br />

der das Werk verwertet, oder mit den anderen Personen,<br />

denen das Werk in unkörperlicher Form wahrnehmbar oder<br />

zugänglich gemacht wird, durch persönliche Beziehungen<br />

verbunden ist. Liegt eine öffentliche Wiedergabe durch die<br />

Hintergrundmusik in Wartezimmern von Zahnarztpraxen<br />

vor, greift diese in das Verwertungsrecht des Urhebers gem.<br />

§ 22 UrhG ein und es besteht nach § 78 Abs. 2 Nr. 3 UrhG<br />

ein Anspruch des ausübenden Künstlers auf eine angemessene<br />

Vergütung.<br />

B. Inhalt und Gegenstand der Entscheidung<br />

Die Klägerin ist die Gesellschaft für musikalische Aufführungs-<br />

und mechanische Vervielfältigungsrechte<br />

(GEMA), Beklagter ist ein Zahnarzt, der eine Zahnarztpraxis<br />

betreibt. 2 Kläger und Beklagter schlossen im<br />

August 2003 einen urheberrechtlichen Lizenzvertrag,<br />

aus dem die Klägerin den Beklagten auf Zahlung in Anspruch<br />

nimmt. In diesem Vertrag räumte die Klägerin<br />

dem Beklagten das Recht zur „Nutzung an Werken ihres<br />

Repertoires sowie des Repertoires der VG Wort und der<br />

GVL zur Wiedergabe von Hörfunksendungen in seiner<br />

Praxis gegen Zahlung einer Vergütung“ ein. 3 Unter Berufung<br />

auf das EuGH-Urteil vom 15.03.2012 (C-135/10),<br />

wonach Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen „keine<br />

öffentliche Wiedergabe“ darstellt, kündigte der Beklagte<br />

im Dezember 2012 den Lizenzvertrag mit der Klägerin<br />

fristlos. 4<br />

den „Erwerbszeck des Nutzers“, das „Erreichen eines<br />

neuen Publikums“ und dessen „Aufnahmefähigkeit“.<br />

Hinsichtlich der Hintergrundmusik in Wartezimmern von<br />

Zahnarztpraxen ist für den BGH das Kriterium der Adressatenanzahl<br />

entscheidend, das gegen die öffentliche<br />

Wiedergabe spricht. Eine „unbestimmte Zahl potenzieller<br />

Adressaten“ liegt nach dem EuGH vor, wenn die „Wiedergabe<br />

für Personen allgemein erfolgt“ und „nicht auf<br />

bestimmte Personen beschränkt ist“. Das Kriterium „recht<br />

viele Personen“ verlangte keine „allzu kleine oder gar unbedeutende<br />

Mehrzahl betroffener Personen“. 9 Erfüllt sind<br />

diese Merkmale sicher bei der Rundfunkübertragung, die<br />

sich an einen größeren Personenkreis in einem Hotel oder<br />

einer Gastwirtschaft richtet. Auf eine Rundfunkübertragung<br />

in dem Wartezimmer einer Arztpraxis trifft dies –<br />

legt man die Kriterien des EuGH an – nicht zu, da Zahnarztpatienten<br />

„eine bestimmte Gesamtheit potenzieller<br />

Leistungsempfänger“ bilden und die „Zahl der Patienten,<br />

für die ein Zahnarzt denselben Tonträger hörbar“ macht,<br />

„unerheblich oder unbedeutend“ ist. So sind in der Regel<br />

„aufeinander folgende Patienten“ „nicht Hörer derselben<br />

Tonträger“. 10<br />

D. Auswirkungen für die Praxis<br />

Das BGH-Urteil vom 18.06.2015 zeigt erneut die enorme<br />

Bedeutung des EuGH für die Rechtsprechung deutscher Gerichte<br />

auf dem Gebiet des Urheberrechts. Es setzt die Vorgaben<br />

des EuGH präzise um und trägt zur „Harmonisierung<br />

des europäischen Urheberrechts“ bei. 11<br />

C. Kontext der Entscheidung<br />

Der BGH entschied zu Recht, dass der Beklagte zur Kündigung<br />

des Lizenzvertrags mit der Klägerin gem. § 313<br />

Abs. 3 Satz 2 berechtigt war, da „dessen Geschäftsgrundlage<br />

mit dem Urteil des EuGH vom 15.03.2012 entfallen<br />

und dem Beklagten eine Fortsetzung des Vertrags bis zum<br />

Ende der Laufzeit nicht zumutbar war“. 5 Es ist anerkannt,<br />

dass eine „Änderung einer gefestigten höchstrichterlichen<br />

Rechtsprechung“ „eine Anpassung eines Vertrages<br />

rechtfertigen kann“. 6 Zum Zeitpunkt des Abschlusses des<br />

Lizenzvertrages im August 2003 stellte die Übertragung<br />

von Hörfunksendungen in Wartezimmern von Arztpraxen<br />

nach der BGH-Rechtsprechung eine öffentliche Wiedergabe<br />

gem. § 15 Abs. 3 UrhG dar. 7 Diese „Rechtslage“ hat<br />

sich durch das EuGH-Urteil vom 15.03.2012 geändert. 8<br />

Der EuGH folgt einer von der deutschen Rechtsprechung<br />

„abweichenden Definition der öffentlichen Wiedergabe“<br />

unter Zugrundelegung diverser Kriterien. Er berücksichtigt<br />

bei seiner Definition das „Tätigwerden eines Nutzers“,<br />

die „unbestimmte Zahl potenzieller Adressaten“,<br />

das Merkmal „recht viele Personen als Adressaten“,<br />

2 BGH, Urt. v. 18.06.2015 - I ZR 14/14 Rn. 1.<br />

3 BGH, Urt. v. 18.06.2015 - I ZR 14/14 Rn. 2.<br />

4 BGH, Urt. v. 18.06.2015 - I ZR 14/14 Rn. 4.<br />

5 BGH, Urt. v. 18.06.2015 - I ZR 14/14 Rn. 10.<br />

6 BGH, Urt. v. 18.06.2015 - I ZR 14/14 Rn. 12; Palandt/Grüneberg, BGB,<br />

75. Aufl. 2016, § 313 Rn. 35.<br />

7 BGH, Urt. v. 18.06.2015 - I ZR 14/14 Rn. 14.<br />

8 BGH, Urt. v. 18.06.2015 - I ZR 14/14 Rn. 20.<br />

9 BGH, Urt. v. 18.06.2015 - I ZR 14/14 Rn. 43; Dreier/Schulze, UrhG,<br />

5. Aufl. 2015, § 15 Rn. 29.<br />

10 BGH, Urt. v. 18.06.2015 - I ZR 14/14 Rn. 45.<br />

11 Wandtke/Wandtke, Urheberrecht, 4. Aufl. 2014, Einleitung Rn. 53.<br />

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