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JM 4 APRIL<br />
2016<br />
Zum einen beruht das Urteil auf der fehlerhaften Anwendung<br />
der Auslegungsregeln einerseits und zum anderen<br />
auf der nicht korrekten Prüfung der Voraussetzungen, die<br />
in ständiger Rechtsprechung für eine Drittbezogenheit aufgestellt<br />
worden sind. 4<br />
Das BVerfG hat für die Auslegung von Gesetzen in ständiger<br />
Rechtsprechung folgende Grundsätze aufgestellt:<br />
„Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesbestimmung<br />
ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille<br />
des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der<br />
Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt,<br />
in den diese hineingestellt ist. Nicht entscheidend ist dagegen<br />
die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren<br />
beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder<br />
über die Bedeutung der Bestimmung. Der Entstehungsgeschichte<br />
einer Vorschrift kommt für deren Auslegung nur<br />
insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach<br />
den angegebenen Grundsätzen erhaltenen Auslegung bestätigt<br />
oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg<br />
allein nicht ausgeräumt werden können.“ 5<br />
„… Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers<br />
dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung<br />
aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn<br />
und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der<br />
Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen,<br />
sondern sich gegenseitig ergänzen. Unter ihnen hat keine<br />
einen unbedingten Vorrang vor einer anderen (vgl. BVerfGE<br />
11, 126 [130]; 105, 135 [157]). Ausgangspunkt der Auslegung<br />
ist der Wortlaut der Vorschrift. Er gibt allerdings nicht<br />
immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Gesetzgebers.<br />
Unter Umständen wird erst im Zusammenhang mit<br />
Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten<br />
die im Wortlaut ausgedrückte, vom Gesetzgeber<br />
verfolgte Regelungskonzeption deutlich, der sich<br />
der Richter nicht entgegenstellen darf (vgl. BVerfGE 122,<br />
248 [283] – abw. M.). Dessen Aufgabe beschränkt sich<br />
darauf, die intendierte Regelungskonzeption bezogen auf<br />
den konkreten Fall – auch unter gewandelten Bedingungen<br />
– möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen (vgl.<br />
BVerfGE 96, 375 [394 f.]). In keinem Fall darf richterliche<br />
Rechtsfindung das gesetzgeberische Ziel der Norm in<br />
einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen oder<br />
an die Stelle der Regelungskonzeption des Gesetzgebers<br />
gar eine eigene treten lassen (vgl. BVerfGE 78, 20 [24]<br />
m.w.N.). Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption<br />
dem Gesetz zugrunde liegt, kommt daneben<br />
den Gesetzesmaterialien und der Systematik des Gesetzes<br />
eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu. Die Eindeutigkeit<br />
der im Wege der Auslegung gewonnenen gesetzgeberischen<br />
Grundentscheidung wird nicht notwendig dadurch<br />
relativiert, dass der Wortlaut der einschlägigen Norm auch<br />
andere Deutungsmöglichkeiten eröffnet, soweit diese Deutungen<br />
offensichtlich eher fernliegen. Anderenfalls wäre es<br />
für den Gesetzgeber angesichts der Schwierigkeit, textlich<br />
Eindeutigkeit herzustellen, nahezu unmöglich, sein Regelungsanliegen<br />
gegenüber der Rechtsprechung über einen<br />
längeren Zeitraum durchzusetzen (vgl. BVerfGE 122, 248<br />
[284] – abw. M.).“ 6<br />
Das BVerfG hat damit besonders hervorgehoben, dass<br />
keine Auslegungsregel einen unbedingten Vorrang vor<br />
einer anderen hat. Demgegenüber hat die Entscheidung<br />
des OLG Dresden ausdrücklich gerade dem Wortlaut der<br />
Vorschrift nahezu die allein prägende Wirkung für die<br />
Auslegung zugeschrieben und die Systematik des Gesetzes<br />
– man denke dabei nur an § 22 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII<br />
– sowie die Motive und Beweggründe des Gesetzgebers,<br />
wie sie in den Materialien des Gesetzes zum Ausdruck<br />
kommen, nicht gleichrangig gewürdigt. Dies verstößt<br />
gegen die Gesetzesauslegung nach den Vorgaben des<br />
BVerfG. Das Oberlandesgericht stellt nämlich in seiner<br />
Urteilsbegründung hauptsächlich darauf ab, dass alleine<br />
das Kind in § 24 Abs. 2 SGB VIII als Anspruchsberechtigter<br />
genannt sei und nur die Förderung des Kindeswohls<br />
als Fördergrundsatz erwähnt werde. Diese Auslegung<br />
widerspricht der Gesetzessystematik und verkennt die<br />
verfassungsrecht lichen Hintergründe der Vorschriften.<br />
Entgegen der Ansicht des OLG muss der Fördergrundsatz<br />
des § 22 Abs. 2 Nr. 3 SGB VIII angesichts seiner Bedeutung<br />
für den grundgesetzlichen Auftrag des Schutzes von Ehe<br />
und Familie (Art. 6 GG) in § 24 Abs. 2 SGB VIII nicht noch<br />
einmal explizit erwähnt werden, wenn er in § 22 Abs. 2<br />
SGB VIII als Förderziel eines Kita-Platzes bereits – sozusagen<br />
„vor der Klammer“ – genannt ist. Mit anderen<br />
Worten: Da die Förderziele in § 22 Abs. 2 SGB VIII bereits<br />
zusammenfassend genannt sind, bedarf es einer zusätzlichen<br />
nochmaligen Erwähnung sämtlicher Ziele bei den<br />
nachfolgenden im Regelungszusammenhang stehenden<br />
Vorschriften nicht mehr. Für die Auslegung des § 24 Abs. 2<br />
SGB VIII müssen daher alle in § 22 Abs. 2 SGB VIII genannten<br />
Fördergrundsätze gleichrangig beachtet werden.<br />
Es kommt entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts<br />
auch nicht darauf an, ob das Grundgesetz einen Anspruch<br />
auf einen Kita-Platz unmittelbar verschafft bzw. verschaffen<br />
soll. Im Ergebnis ist es daher unschädlich, dass die<br />
Eltern eines bestimmten Kindes gem. § 24 Abs. 2 SGB VIII<br />
nicht selbst beanspruchen, in der Kita betreut zu werden. 7<br />
4 So auch Rixen, NZFam 2015, 919 f.<br />
5 BVerfG, Urt. v. 21.05.1952 - 2 BvH 2/52 - BVerfGE 1, 299 ff.<br />
6 BVerfG, Urt. v. 19.03.2013 - 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR<br />
2155/11 - BVerfGE 133, 168 ff.<br />
7 Rixen, NZFam 2015, 919.<br />
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